Ganz schön viel los ist seit 12. Mai beim heuer in Kurzform WALD/4-Festival getauften Viertelfestival Niederösterreich. Aus 47 Kunst- und Kulturprojekten, die an 45 Orten im Waldviertel in Form von 110 Veranstaltungen präsentiert werden, zieht skug einen besonderen Querschnitt.
Verlebendigung toter Erde, von Bahnhöfen und Wirtshäusern
Oft geht es dabei auch um Wiedererweckungen und Wachküssungen. Die »Verlebendigung von toter Erde« haben sich die Betreiber des Wegwartehofs in Merkenbrechts im Bezirk Zwettl zum Ziel gesetzt. Am 17. Juni wird ab 14:00 Uhr in einer Art prozessualem Gesamtkunstwerk der Bodenversiegelung und somit dem Verlust von fruchtbarem Boden entgegengewirkt. Die Förderung agrikultureller und menschlicher Entwicklung mittels biologischer Landwirtschaft erscheint, wenngleich noch viel zu randständig praktiziert, als sinnvoller Ausweg aus dem massig C02 produzierenden Kunstdüngerdesaster. Schön, dass in diesem Kontext aus der Bewunderung der »Roa«, des für eine Biodiversität so wichtigen Feldrains bzw. unbebauten Streifens zwischen zwei Feldern, ein Projekt entsprossen ist. Die »Roa« fungiert gemäß dem Kollektiv Subetasch auch als Sinnbild für andere »Gstettn«, das Niemandsland an der Grenze. Solche Nicht-Orte und Schwellenzonen im nördlichen Waldviertel fließen ein in einen performativen »Live-Film«, der Video, Klang, Texte und Tanz zu einem Gesamtkunstwerk fügt: am 4. August, ab 20:30 Uhr in der Bobbin Fabrik in der Roseggergasse 2 in Gmünd samt Aftershow-DJs.
Ein Monat davor, am 7. Juli ab 19:30 Uhr, sorgt ein lauschiges Freiluftkino für die abendliche/nächtliche Belebung des Bahnhofareals in Drosendorf. Unter dem Motto »Ränder verändern« denkt die Landuni Drosendorf die Ränder des Schienennetzes weiter. Diese Universität im ländlichen Raum feiert das Ende des Sommersemesters und regt zur Horizonterweiterung an. Etwa mit der »Intervention #1: Grenzrand zuschütten!«, einem interaktiven Workshop, der sich mit der österreichisch-tschechischen Grenze bei der Gemeinde Luden auseinandersetzt. Die zweite Intervention ist das bereits erwähnte Fest dieser ruralen Hochschule und die »Intervention #3: Schienenrand – Freiraum zur Nutzung!« sucht nach Möglichkeiten, diesen einzigartigen Bahnhof, der leer an Menschen und Ideen ist, nachhaltiger aufleben zu lassen.
Auch sollte dem überbordenden Fraß landwirtschaftlicher Flächen in Österreich endlich Einhalt geboten werden. Einkaufszentren an den Ortsrändern erhöhen fatalerweise den PKW-Verkehr samt CO2-Ausstoß und verursachen das Sterben von Ortszentren. Widerstand regt sich. Unter dem Titel »Rand#e#wu« inszeniert der Filmclub Drosendorf verlassene Gasthäuser als Orte der Begegnung. Mittels Kulinarik, Lesungen und Kino werden leerstehende Gasthäuser zu temporären sozialen Orten. Leider nur vier Stunden lang, jeweils von 18:00 bis 22:00 Uhr. Auftakt ist am 23. Juni im Gasthaus Waitz in Zissersdorf und zum Glück wird die Wirtshaustour mit Lesungen des legendären Außenseitersoziologen Roland Girtler an vier weiteren Orten fortgesetzt. 24. Juni: Gasthaus Schmuttermeier in Unterthürnau (ebenfalls Bezirk Horn), 29. Juni: Gasthaus Keller in Modsiedl, 30. Juni: Gasthaus Pfabigan in Rabesreith (jeweils Bezirk Waidhofen/Thaya) und 1. Juli: Altes Dorfgasthaus Mayer in Fronsburg (zurück im Bezirk Horn).
Erinnerungskulturen
Der Kulturverein lepschi lädt unter dem Motto »Woran wir uns erinnern – Über Leben« ins Museum Truckerhaus in Gutenbrunn. In der Fotoausstellung »The good, the bad and the Roma« zeigt der niederländische Fotograf Peter van Beek ausdrucksstarke Porträts von europäischen Roma und Sinti. Auch das »fahrende Volk« der Jenischen wird in Erinnerung gerufen sowie die jüdische Vergangenheit in Gutenbrunn und das jüdische Leben in ländlichen Regionen, multimedial mittels Monitoren, Hörstationen und Tafeln. Die vernichtete Vergangenheit der Minoritäten im südlichen Waldviertel wird derart dem Vergessen entrissen und im Begleitprogramm feiert die großartige Musiktradition der vertriebenen und ermordeten Roma und Sinti bzw. der jüdischen Bevölkerung mehr als eine Wiederauferstehung.
Nach Timna Brauer oder Pavel Shalman gastieren Nifty’s, die Klezmer mit Surf-Rock- und Jazz-Einsprengseln hochleben lassen, am 25. Juni, 15:00 Uhr auf der Truckerhaus-Bühne. Ein weiteres Projekt des Verein lepschi macht den Alltag der seit dem Ende der Habsburger-Monarchie bestehenden Staatsgrenze zu Tschechien erfahrbar: »Geschichten aus dem Grenzland«/»Příběhy z hranice« wurden bereits in Dobersberg und Nová Bystřice erzählt. Es gibt eine gute Koexistenz, nachzuvollziehen am 18. Juni ab 17:00 Uhr im Truckerhaus zu Gutenbrunn, wo Petr Pokovbas Filme »Grenzland«/»pohraničí« und »Ein Land, eine Heimat«/»Jedna země, jeden domov« gezeigt werden.
Spurensuche in Krems und Neupölla
»Der zweite Blick. Zwangsarbeiter*innen in Krems«, initiiert vom NÖ Kulturforum Krems, widmet sich noch bis 15. August im Volkshaus Krems Lerchenfeld den Zwangsarbeiter*innen in Krems, welche das Nazi-Regime aus den okkupierten Gebieten Osteuropas ins Reich verschleppen ließ, um die an diversen Fronten kämpfenden heimischen Wehrmachtsoldaten zu ersetzen. Arbeitsbücher und Personalkarten der Zwangsarbeiter*innen erinnern daran. Um die von der Zeit verwaschenen Fotos und Schriften zu entziffern, ist genaues Hinsehen nötig, was auch eine Installation beim Eingang der voestalpine Krems verdeutlicht.
Auch Neupölla, gelegen im Bezirk Zwettl, hatte einen jüdischen Bevölkerungsanteil. Eine Ausstellung im dort befindlichen Ersten österreichischen Museum für Alltagsgeschichte erinnert an das Schicksal der Greißlerei Biegler in Neupölla und ebenso an den jüdischen Vorbesitzer Paul Josef Robitschek des arisierten Kremser Weingutes Sandgrube 13, die seit Jahrzehnten als Hauptbühne des Festivals Glatt und Verkehrt fungiert. Unter der künstlerischen Leitung von Friedrich Polleroß ist dies gemäß dem Signet »Jüdische Familiengeschichten« eine sehr wesentliche regionale Rückschau in Sachen Jüdische Alltagsgeschichten. Im Mai fand bereits unter dem Motto »Koscher & Jiddisch« ein Vortrag mit Erlebniskochkurs statt. Am 7. Juli um 19:00 Uhr gibt es in diesem Museum wider die Verdrängung eine weitere spannende Veranstaltung: »Deutsch –Tschechisch – Jiddisch. Sprachvermischungen in Ostösterreich« lautet der Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Stefan Newerkla über tschechische und jiddische Spuren in der österreichischen Umgangssprache.
Sündenbocktradition
Wo heutzutage Migrant*innen und Kriegsflüchtlinge als Sündenböcke herhalten müssen, wurden seitens der Obrigkeiten im 16. und 17. Jahrhundert tausende Menschen, denen unter anderem die Verursachung von Seuchen unterstellt wurde, als Hexen verfolgt und auf öffentlichen Richtstätten grausam ermordet. »Hyänenbrut« ist eine Intervention zur Hexenverfolgung, die am 7. und 8. Juli am Hauptplatz von Gföhl über die Bühne gehen wird. Die Künstlerinnen Ellice Renner, Sarah Fichtinger, Akino Distelberger und Olivia Hild haben sich intensiv mit den österreichischen Hexenprozessen, insbesondere jenen im Waldviertel, befasst. Hervorgehoben wird der soziopolitische Kontext, der erklärt, warum die Hexenverfolgung zu Massenvernichtungen ausarten konnte. Das Frauenkollektiv stellt dabei wichtige Fragen: »Was hat die Etablierung des Kapitalismus damit zu tun und gibt es Parallelen zur global steigenden Zahl an Femiziden?« »Hyänenbrut« ist ein Drei-Stationen-Drama, das via Soundinstallation, einer Art Denkmal und einem Kurzfilm Hintergründe schildert, aber auch die damaligen Widerstände und bis heute spürbaren Auswirkungen der Hexenverfolgung auf unsere Gesellschaft und den weiblichen Körper im Fokus hat.