© Mitzi Gugg
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Von Menschen und Moosen

Die Entdeckung der Pflanzlichkeit: Socken-Setting zum Lümmel-Liegen – die performative Installation »This is not a garden. vegetal encounters« wird vom 20. bis 23. Juli 2023 im Rahmen des impulstanz Festivals im Museumskontext zu erleben sein. Ein skug-Interview mit Lisa Hinterreithner und Musikerinnen.

Für die Performance-Installation »This is not a garden« hat die Künstlerin Lisa Hinterreithner 2022 gemeinsam mit den Musiker*innen Lisa Kortschak (Half Darling) und Elise Mory (möström, Half Darling) einen alten, holzvertäfelten Turnsaal in eine dämmrige Atmosphäre pflanzlicher Langsamkeit und transkorporaler Assemblierung eingetaucht. Die drei haben in-situ für skug über Pflanzenzeitlichkeit, Arten der Berührung und das Wecken neuer Bedürfnisse im Umgang mit nicht-menschlichen Organismen nachgedacht. 

skug: Wie habt ihr euch dem Thema Pflanzen angenähert? Wie würdest du das Konzept Garten beschreiben?

Lisa Hinterreithner: Markus Gradwohl und ich haben gemeinsam diskursiv-theoretisch recherchiert, und Teile dieser Recherche manifestieren sich nun in einem Audio-Podcast. Der Phänomenologe Michael Marder, der sich mit Pflanzenintelligenz und Pflanzenwissen und den sozialen Kompetenzen von Pflanzen beschäftigt hat, formuliert das Konzept Garten als etwas Eingehegtes, dadurch auch etwas Be- und Eingeschränktes, etwa so: »The Garden is something that we guard.« 

Historisch – von einer westlichen Perspektive aus – betrachtet hat der Garten eine komplexe Geschichte durchlaufen. Der Garten hat während der Kolonialisierung und des Imperialismus – und darum geht es auch in unserem Podcast – eine wichtige Rolle gespielt, um das eigene westliche Kulturverständnis in die Welt zu tragen. Ein Garten ist damit nichts Harmloses oder Unschuldiges, sondern eine instrumentalisierte Einhegung von Pflanzen.

Spannend war es für mich, welche Rolle zum Beispiel auch Gras in dem US-amerikanischen Settlement-Movement gespielt hat. Der europäische Rasen, der lawn, war in den Kolonien wichtig, um das europäische Verständnis von Natur und Garten in die Neue Welt zu tragen – egal, ob er dort überhaupt richtig wachsen konnte.

Elise Mory: Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Eines meiner Lieblingsbücher handelte von einem Mädchen in der Stadt, das eine Blume findet und dann beginnt, im Hof einen kleinen Garten anzulegen. Aus irgendeinem Grund war das eines meiner Lieblingsbücher. Die Faszination am Anpflanzen habe ich bis heute: das Beobachten eines lebendigen Prozesses, dieses Hegen und Pflegen. Aber ich mache gerne auch einmal nichts und sehe zu, was passiert. In meiner neuen Wohnung stehen am Balkon Töpfe mit Erde und ich bin total daran interessiert, was da herauswachsen wird.

Und an diese Geschichte muss ich auch die ganze Zeit denken: In Holland habe ich einmal in einem Schrebergartenhaus gewohnt. Mein Nachbar war ein Kleinbürger wie aus dem Bilderbuch und der wollte mich bei der Schrebergartenpolizei anzeigen, einfach weil ich die Pflanzen so wuchern ließ und den Garten nicht kultiviert habe. Mit dem Titel der Performance »This is not a garden« habe ich sehr viel anfangen können, weil er auch eine Abgrenzung zu sehr vielem ist, das ich nicht mit dieser Arbeit assoziiert haben möchte. Das wird keine Baumumarmungsperformance.

Lisa Kortschak: Tragisch finde ich, dass die Flora, die einen sehr großen Anteil des Lebens auf dem Planeten ausmacht, so stark von unserer Spezies dominiert wird. Die urbane Dimension der Flora ist eher zahm, in der Stadt erleben wir eine sehr kontrollierte Perspektive.

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Von diesen Überlegungen ausgehend, was ist jetzt die Abgrenzung zum Garten, die auch im Titel »This is not a garden« angesprochen wird. An welchen Punkten bewegst du dich als Choreografin bei der Performance bewusst in andere Richtungen?

Lisa Hinterreithner: Eine Kernfrage war: Mit welchen Pflanzen wollen wir in Kontakt treten? Die Ernährungs- oder Ressourcenfrage von Obst oder Gemüse im Garten war für unseren Kontext nicht relevant, sondern eher: Welche Pflanzen werden entfernt, weil man sie nicht im Garten haben will? Das sind Moose oder abgefallenes Holz oder auch Laub. Und das ist nun unser Material. Die Topfpflanze oder die singuläre Pflanze haben wir in ganz reduzierter Form eingesetzt. Wir verwenden »Materials of decay«, also Teile der Pflanze, die von der Biologie oder Ökologie nicht mehr als Pflanze betrachtet werden, weil sich in ihnen keine Stoffwechselvorgänge mehr abzeichnen. Für mich sind das aber immer noch Pflanzen.

Es könnte ja fließende Übergänge in Bezeichnungen zwischen einer lebenden Pflanze und den organischen Zerfallsprozessen nach dem Tod einer Pflanze geben …

Lisa Hinterreithner: Wie kann eine Pflanzenzeitlichkeit in einer Performance erahnbar gemacht werden? Das führt uns zu Fragen wie: Was ist lebendig? Was ist tot? Was ist Leben? Was ist Wachstum? Was ist wertvoll, weil es wächst? Was ist dann nicht mehr wertvoll, wenn es nicht mehr sprießt und in die Höhe wächst, sondern in einen anderen zirkulären Prozess, den nicht nur pflanzliches Leben im Allgemeinen geht, eintritt? Die Phase des Verfalls ist charakterisiert durch eine Zeitlichkeit, in der Prozesse extrem verlangsamt ablaufen. 

Warum aktuell dieser Fokus auf das Pflanzliche im Rahmen deiner Beschäftigung mit dem New Materialism?

Lisa Hinterreithner: Die Performance von Menschlichem gemeinsam mit Nicht-Menschlichem wären ein Metathema für mich: Wasser, Luft, Eis oder Gegenständliches wie zum Beispiel Kleidung oder Knöpfe waren zum Teil in site-specific Arbeiten, viele in Zusammenarbeit mit Jack Hauser, Themen im Rahmen der Auseinandersetzung mit New Materialism. Was mich jetzt interessiert: Wie können wir unser Verhältnis zu Pflanzen verändern? Wie können wir eine andere Perspektivierung von Pflanzen ausprobieren, um aus einer konventionellen, traditionellen und historisch gewachsenen westlichen Perspektivierung herauszukommen? Pflanzen werden in unseren alltäglichen Kontexten meistens in irgendeiner Art und Weise instrumentalisiert. Sie fungieren entweder als Nahrung, als eine andere Form der Ressource oder als ästhetisches, dekoratives Element. Aber wie können wir unser Verhältnis zu Pflanzen, aber auch zu Tieren und generell zu nicht-menschlichen Organismen anders positionieren, auch um auf andere Bedürfnisse zu stoßen?

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Welche Bedürfnisse könnten das sein?

Lisa Hinterreithner: Im Künstlerischen wäre das ein Anders-sein-Lassen der Pflanzen. Auf einen Garten bezogen: die Idee der Kultivierung anderer Perspektiven entwickeln. Die Anthropologin Anna Tsing stellt die Frage nach weniger »guardedness«: Wie könnte man auch im urbanen Raum – als eine Form von Koexistenz – die Pflanzen viel mehr ihrer Wucherung ohne Eingriffe und Kontrolle überlassen? Und geht es nicht auch darum, das Pflanzliche in uns zu entdecken? Wir sind andere Wesen als Pflanzen, haben aber auch viele Gemeinsamkeiten. Auf der Stoffwechselebene gesehen unterscheidet sich der Mensch kaum von einer Zitrone. Es gibt Verwandtschaft, kinship, das wird von uns Menschen aber meist nicht näher perspektiviert.

Menschen leben ja davon, dass sie von anderen Menschen, in welcher Art auch immer, berührt werden. Bei ein paar Pflanzen gibt es allerdings das Phänomen, dass sie auf dauerhafte Berührung gegenteilig reagieren, nämlich indem sie ihr Wachstum einstellen.

Lisa Hinterreithner: Es gibt interessante Forschungen zum Thema Pflanzengedächtnis. Bestimmte Pflanzen scheinen auf traumatisierende Berührungen oder Impacts zu reagieren. Man kann Reaktionen messen und beobachten.

Elise Mory: In einer Schule habe ich ein Projekt einer Jugendlichen mitbekommen. Die hat verschiedene Pflanzen jeden Tag einmal kräftig durchgeschüttelt, um zu sehen, was passiert. Manche Pflanzen wachsen dadurch sogar anscheinend schneller. Am Ende war auch die Schülerin gestresst, weil sie das jeden Tag machen musste. Es war lustig zu beobachten, wie sich dieser Versuch einerseits auf die Pflanzen, andererseits auch auf die Schülerin ausgewirkt hat.

Lisa Hinterreithner: Es gibt für Pflanzen so etwas wie eine angenehme (joyable) Art der Berührung, und eine unangenehme (unpleasent) Berührung. Die Transspezies-Berührung bei der Bestäubung der Pflanze durch Insekten ist – sofern wir das als Menschen beurteilen und erfassen können – eine Art »pleasure«. Man glaubt auch zu wissen, dass Orchideen sogar ohne die Absicht einer echten Bestäubung so etwas wie einen »Pflanzen-Tier-Flirt« praktizieren. Das ist natürlich spekulativ. Die Frage der Berührung und Berührbarkeit im Kontext von Pflanzen im physisch Konkreten hat mich für diese Performance interessiert.

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Wir sind als Menschen vertraut mit Wahrnehmungen, die durch bestimmte Organe ermöglicht werden. Über die Wahrnehmungsfähigkeit von Pflanzen wissen wir doch noch verhältnismäßig wenig.

Lisa Kortschak: Im Rahmen der Dekolonialisierung wird auch aufgezeigt, wie viel Wissen über Pflanzen gezielt ausgemerzt wurde. Es gab viele Ansätze, die ganz andere Ordnungsstrukturen vorgeschlagen hätten. Man muss sich eben auf die Suche begeben, um an das jahrhundertealte Wissen, das schon da war, anzuschließen.

Ich würde gerne etwas zur Entstehung der Sounds sagen. Man bleibt ja trotzdem in den eigenen Logiksystemen, in diesem Vermenschlichen von Materie. Anfangs waren unsere Sound-Vorschläge zu betont, zu sehr lenkend, einfach zu bedeutungsgeladen. Wie können wir Suggerierendes auslassen? Also weder die Pflanzen vertonen, noch »Musik für Pflanzen« machen, sondern eine akustische Ebene schaffen, die pendelnde Assoziationen möglich macht, auch wenn sie nur peripher wahrgenommen wird. Ein Blubbern und Krachen, das aber die Aufmerksamkeit nicht stark auf sich lenken möchte. Das war eine sehr schwere Aufgabe.

Elise Mory: Es ist eine Übersetzungsaufgabe. Am Anfang haben wir uns mit verschiedenen Aspekten im Zusammenhang von Pflanzen und Musik auseinandergesetzt. Wenn man sich ansieht, welche »Musik« Pflanzen machen können, so sind das gewisse Signale, wie zum Beispiel durch Wasserwiderstände, die man in Midi-Signale umwandeln kann. Dazu wird ein Gerät, das der Mensch erfunden hat, verwendet und das macht dann Sounds. Das sind für mich keine Pflanzen-Sounds. Die Pflanze gibt höchstens Signale ab, der Mensch entscheidet, wie er sie in etwas Hörbares übersetzt. Und selbst wenn die Blätter im Wind rascheln, dann ist dabei auch der Wind im Spiel. Interessant auch: Die meisten Resultate von Pflanzenmusik klingen sehr esoterisch. 

Dann war es für uns eine Zeit lang spannend, der Frage nachzugehen: Wie klingt Sound für Pflanzen? Da gibt es auch schon viele Thesen und Untersuchungen dazu. Nicht zu vergessen, diese eigenartigen 1970s Synthie-Sounds von Mort Garson auf seinem Album »Plantasia«. In den 1980er-Jahren gab es viele Versuche, und es ging meist um eine Produktivitätssteigerung: wenn man ihnen Mozart vorspielt, dann wachsen sie besser, wenn man ihnen Heavy Metal vorspielt, dann wachsen sie schlechter. Diese kritische Auseinandersetzung hat für mich dazu geführt, das ganze Komponieren, Improvisieren und Ausprobieren, wie es sich anfühlt, immer wieder zu verwerfen. Aber ich fand das auch lustvoll. Es gab immer wieder so Momente, in denen wir dachten: Jetzt haben wir den Sound. Und dann ging die Suche wieder von vorne los.

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Die Suche nach einer geeigneten Tonalität, dem richtigen Sound?

Elise Mory: Wir hätten ja auch ganz plakativ Panflöten und Didgeridoos verwenden können. Letztendlich war unser Ansatz das Herausnehmen der Kontrolle, das Arbeiten mit Zufälligkeiten, das Herausnehmen des Komponierens zugunsten eines Passieren-Lassens. Dann sind wir mit unseren Sound-Vorschlägen in den Raum gegangen und haben uns angeschaut, wie sie vor Ort wirken: Musik verstärkt ja etwas, es lädt den Raum auf, es erzählt die emotionale Ebene. 

Lisa Kortschak: Für mich war vor allem interessant, auf die Lücken zu achten, auf die Stellen, die von uns nicht auserzählt werden. Im Sound kommen sie durch das Nicht-Vorhandensein von etwas vor, also durch Formen von »Stille«.

Lisa Hinterreithner: Mir war es ein Anliegen, keine Erzählung über den Sound zu generieren oder etwas auszukomponieren, sondern die Form der Langsamkeit oder das Langsam-Werden in der Atmosphäre der Performance durch Sounds zu unterstützen. Der Sound hat einen großen Einfluss auf unsere Geschwindigkeiten. Für das performative Setting war diese Frage der Zeitlichkeit von Pflanzen, die auch im Sound repräsentiert wird, sehr wichtig.

Lisa Kortschak: Trotzdem bleibt man in der Behauptung.

Elise Mory: Wir haben uns neben Field Recordings bewusst für sehr künstliche Sounds entschieden. Auch Ebenen des Rauschens von Stille, die man sonst vielleicht durch Noise-Cancelling entfernen würde, haben wir dann noch einmal verarbeitet. Eine weitere Entscheidung war es, ohne Atemgeräusche oder Holzblasinstrumenten zu arbeiten.

Lisa Kortschak: Es gibt nur einen natürlichen Sound, den wir verwendet haben. Welchen, das verraten wir hier noch nicht …

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Kommen wir zum Raum, in dem der Sound hörbar wird, zum »Socken-Setting fürs Lümmel-Liegen«, wie du es genannt hast, Lisa. Du hast einen Turnsaal gewählt, einen Raum, den man eher mit sehr viel Bewegung verbindet.

Lisa Hinterreithner: Der liegende Körper und die scheinbare Passivität bieten eine Widerständigkeit im »Nichtstun«. Der Sehsinn ist in der Kunst dominant. Im Liegen und Herumlümmeln erlaubt man sich eher noch das Schließen der Augen als im Stehen oder Aufrechtsitzen. Diese Körperlichkeiten interessieren mich vor allem beim Publikum, die Performerinnen nehmen dazu eine assistierende Rolle ein.

Das Liegen ist – im Sinne einer physischen Reaktionsfähigkeit – eine verletzlichere Körperlage als das Stehen oder das Sitzen. Auch das Gehirn arbeitet im Liegen nachweislich anders, es sind andere Gehirnareale aktiver als im Stehen. Diese Aspekte interessieren mich im Modus des Andockens an Pflanzen – die Wirbelsäule geht Richtung Horizontale.

Bis dieses Encounter zwischen den Spezies gewissermaßen die Frage aufwirft: Bin ich noch Mensch oder bin ich schon Moos? (lacht)

Elise Mory: Es geht um Perspektivwechsel …

Lisa Kortschak: … um einen Bruch, einen Moment der Ent-Ortung. Dadurch können Verformungen passieren, ein Shift in einer Laborsituation.

Der Mensch ist ein Gewächs, das nicht in der Erde, sondern im Himmel wurzelt, sagt Platon. Welche möglichen Bedürfnisse hinsichtlich eines In-Beziehung-Tretens zu Pflanzen könnten durch die Perfomance geweckt werden?

Lisa Hinterreithner: Das Bedürfnis eines besseren Kennenlernens der diversen, subtilen und vielfältigen Verhältnisse zum Pflanzlichen und der Begegnungen abseits reiner Nutzungsorientierung. Moose haben als erste Landgänger unter den Pflanzen ein 400 Millionen Jahre altes Wissen, auch über die verschiedenen Arten ihrer Fortpflanzung, und könnten doch so mein Denken und Empfinden verändern. Auch über die ganzen ökologischen Probleme, die wir durch die bisherige Form des Verhältnisses verursacht haben. 

Lisa Kortschak: Und es geht im größeren Sinn nicht nur um die Hinterfragung des Verhältnisses zwischen Mensch und Pflanze, sondern auch um die Hinterfragung des Systems, in dem man sich gerade bewegt. Ich finde den Ansatz einer subversiven Entschleunigung wichtig.

Elise Mory: Für mich geht es um ein Raum-Geben, nicht nur für Pflanzen. Um einen Zustand des Sich-Zurücknehmens und Geschehen-Lassens. Davon scheint die Menschheit noch sehr weit entfernt.

Dieses Interview wurde erstmals in gekürzter Fassung auf mica – music austria veröffentlicht.

Die Performance-Installation »This is not a garden. vegetal encounters« von Lisa Hinterreithner ist am 20., 22. und 23. Juli 2023 beim impulstanz Festival zu sehen. Tickets unter: https://www.impulstanz.com/performances/pid1584/

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