Ein ganz einfacher Test dafür, dass man guten Fusion-Hard-Rock-Prog-Rock-Post-Punk-Whatever hört, ist bekanntlich der PKW-Test. Dazu wird ein nur wenig musikinteressiertes Testpublikum in ein Auto gelockt und die Musik in moderater Lautstärke abgespielt. Wenn nach einer Weile jemand im Fahrzeug meint: »Hör mal, kann das sein, dass du einen Motorschaden hast?«, dann ist die Musik gut. Denn an dieser Stelle darf konstatiert werden: »Scharf beobachtet, werte musikalische Laien, denn zu hören waren Glitches.« Nicht im Motor, sondern in der Musik. Mithin also Fehler im System. Der ganze Witz beim – nennen wir es jetzt mal – Math Rock (Wer weiß schon, was das bedeuten soll?) liegt nämlich letztlich darin, das Publikum in den Strom zu tunken und mitzureißen, es dann aber leichten Dissonanzen auszusetzen. So wie eben Kolbenfresser klingen. Irgendwie ist man ganz tief drin und wird doch dauernd irritiert. Das verlangt beträchtliches musikalisches Können, weil es meist keine Ablenkungen durch Lyrics gibt. Die Dramaturgie ist deswegen bei solchen Instrumentalexzessen alles und Mary-Ann Kiefer lösen das bei »Solarfrost« sehr souverän. Die Zuhörer*innenschaft freut sich nach dem intensiven Geballere am Anfang bereits auf die stillere (lyrische) Durchführung (bisschen Emo, gell …) und fiebert währenddessen bereits dem Abschlussknall entgegen. Das dazugehörige Video ist simpel, aber schlicht brillant. Die Musiker haben sich je eine Kamera an den Kopf geschnallt, die Nummer im Proberaum gespielt und der Schnitt wechselt zwischen ihnen hin und her. Also ja, man darf als Zuseher*in wirklich das Gefühl haben, mittendrin zu sein.
Mary-Ann Kiefer haben mit dem Musizieren nicht erst gestern begonnen, denn die Band besteht seit 2011, ursprünglich in Duo-Besetzung, und war 2013 auch bereits im Salon skug zu Gast. Sie konnten sich in etlichen Jahren musikalisch verfeinern und wie es sich für diesen Musikstil gehört (ersparen wir uns jetzt bitte weitere unsinnige Definitionsversuche), liegt hörbar ein gerüttelt Maß an Diskursarbeit in dem Werk verborgen. Oh, wie mag dies die skug-Redaktion: langes Nachdenken, Dinge abwägen und ändern, neuformulieren und dann ein Stück rauspfeffern, das trotzdem wie ein einziger spontaner Schrei klingt. Danke, Mary-Ann Kiefer! Die mittlerweile drei Musiker sind übrigens Wiener und wie es sich für echte Wiener gehört, stammen sie aus Deutschland bzw. Oberösterreich. Kölner Christoph »Iggi« Kirmaier spielt Bass und hat schon so manchen Noise produziert, u. a. mit seiner zweiten Band Mozo Mozo. Linzer Michel »Misch« Dedeyan sitzt an den Drums und verwandelt sich in seiner Freizeit manchmal in ein Tier (alles weitere siehe Video). Der dritte im Bunde ist seit Neufusionierung der Band Raimund Maria Schlager aka »Mundl« an der Stromgitarre, der sich auch durch le_mol einer gewissen, vollends berechtigten, Bekanntheit erfreuen dürfte. Im Video kann seinen und Iggis Fingerchen beim Tänzeln übers Griffbrett zugesehen werden. Der breite Sound der Band wird abgerundet durch tiefsitzende Samples und das Drehen an den Synthies besorgen alle drei Musiker gleichermaßen. Die Single »Solarfrost« stammt von der für Herbst 2020 angekündigten EP »The Space. The Trance. The Future.«, die von Werner Thenmayer (auch bekannt als Mitglied der Bands FS Massaker, Æther Kombo und Sex on the Beach) produziert wurde und mit einem gehirnverknotenden, psychedelischen Artwork des Düsseldorfer Künstlers Maxim Rogalski ausgestattet sein wird. Ein rundes Paket also. Tja, wenn es jetzt noch eine Gelegenheit zur Live-Präsentation der Platte gäbe?