Dicke schwarzgelbe Kärntner Feuersalamander, so genannte »Sterngucker«, schleichen quer über den Weg, verlangsamt von der Kälte. In der Früh gab es für die Teilnehmer der Partisanen-Wanderung den so genannten »Widerstandsgeist«, einen selbst angebauten Schnaps in bunten Gläsern. Zdravko Haderlap lebt wieder auf dem elterlichen Hof in Lepena, am alten Vinklhof in Südkärnten. Er kehrte zurück, denn »in Berlin, wo ich mit Johann Kresnik Theater machte, ereilte mich die Nachricht, dass der Vater am Totenbett liegt. Ich habe schon genug verdrängt und dachte, ich gehe hier nie mehr her.« Wer Maja Haderlaps Buch »Engel des Vergessens/Angel Pozabe« gelesen hat, weiß, worauf er anspielt: Auf äußerst anstrengende Kinderjahre und Auseinandersetzungen mit einem Vater, der als Elfjähriger zu den Partisanen ging und durch die Todesbedrohungen der Nationalsozialisten einen Schaden davon trug, den er später auf seine Art auslebte. Der alte Zdravko Haderlap, auf den die Nazis schossen, als er ein Kind war, bedrohte später die eigenen Kinder mit dem Schrotgewehr. Der junge Zdravko steckte einmal die Finger in den Lauf, um den Vater aufzuhalten. »Bei uns wachst der Weißdorn, wenn man den wegrodet, verhungern Neuntöter und Wiedehopf, denn die hängen ihre Beute auf die Spitzen und essen von ihnen herunter. Ich ziehe diese Dornengestrüppe ganz bewusst auf«, schwärmt der kräftige Tanztheater-Mann, der manchmal ein ganz junges Gesicht bekommt, als ob er selber als kindliche oder jugendliche Figur durchscheinen würde.
Wahnsinn und Wahnwitz
In Maja Haderlaps Buch »Engel des Vergessens/Angel pozabe« werden die Kinder in Aufregung gestürzt, weil der Vater immer wieder droht, sich zu erhängen und sie sich ständig in Alarmbereitschaft befinden, ob er es wirklich einmal tut. Die Nazis hängten ihn als Jugendlichen, der Informationen für die Partisanen transportierte, an den Nussbaum, um ihn zum Reden zu bringen und später verschwand er als ausgewachsener Mann immer wieder mit dem Strick auf die Heutenne oder ins Bienenhaus. Kinder und die Mutter hinterher. Seine Art von Wiederholung der Todesbedrohung – einem schrecklichen Theater, das ihn erleichterte oder aber in neue Ängste warf. In ganz Lepena wuchsen die Kinder mit furchtbarenTrauma-Folgen auf und dachten lange Zeit dieses Verhaltens von Erwachsenen wäre normal. »Die Leute haben in diesem Wahnsinn und Wahnwitz einfach gelebt – trugen einen Teil des Krieges in sich. Die ganzen Traumata kamen zum Vorschein, egal ob man nun über Most redet oder über den Nussbaum, auf dem der Vater als Kind gefoltert wurde, die Emotionalitätsebene war gleich. Man ist von der Träne, die einem herunter rinnt, im nächsten Satz wieder zu einer Freude gekommen, es war ein Redefluss und darin war das Geschehen ständig präsent«, sagt Zdravko Haderlap später im Gasthaus am Berg oben, als die Dunkelheit herein bricht und es komplett finster wird.
Felsenbirne und Zinnober
»Der Huligraben ist nach der Hölle und dem Teufel benannt. Bestimmte Leute haben hier umgegraben und einige haben versucht, andere zu entsorgen«, sagt Haderlap, der die Kernaussagen des Romans seiner Schwester auf die Orginalschauplätze zurückholen will, »auf die Route in die Gegenwart und dabei zeige ich eine archaische Welt, die nicht mehr existiert, zertrümmert und längst vergessen ist«. Dann präsentiert der Bauern- und Partisanensohn noch die seltene Stein- oder Felsenbirne und das fleischfressende Fettkraut, das Insekten auflöst. »In Eisenkappel gab es ab dem neunten oder zehnten Jahrhundert bereits Bergbau, es war ein klassischer Kohleplatz, um Holzkohle zu erzeugen.« Bürger aus Ljubljana und Völkermarkt finanzierten die ersten Hammerwerke, später Adelige. »Lavantaler Erz wurde abgebaut, Kupfer, Zink und andere Rohstoffe. Das Tal der Vellacher Kotschna war komplett kahl von der Zinnober-Verarbeitung zu Quecksilber.« Mitte des 19. Jahrhunderts hörte der Bergbau in Eisenkappel auf, die Alpine Montan ließ sich in Linz nieder und entwickelte sich zur Voest Alpine. Im Potok Graben gab es Urwälder und eine eigene Rollbahn auf Schienen. Die Gräben waren schon in früherer Zeit Abwanderungsgebiete, daher erhielt die Gegend zum Beispiel das Monopol zum Meersalzhandel, damit die Einwohner bleiben. »Die Zellstoff-Fabrik wurde zugesperrt, die Sägefabriken, die Tischler – alles ist zu. Es ist eine Tragödie«, sagt Haderlap. »Es ist ein klassisches Partisanengebiet, mit Grotten und Höhlen. Man hat gewusst, wo man sich verstecken konnte. Es ist alles voll mit Technik-, Stab-, Erd- und Kurierbunkern. Unter der Ojstra gab es sogar eine ganze Druckerei in einem Bunker, in der eine eigene Zeitung hergestellt wurde.«
Mörderische NS-Söldnertruppe
Die Sonne leuchtet schwach durch die Nebelschwaden. Es geht um Marienmilch, die von Stalaktiten gefangen wird, Wildkatzen, Karawanken-Bären und eine Moräne, die die Eiszeit überdauert hat, »nur die Täler sind jünger als 20.000 Jahre.« Unter der Olševa wird ein See im Berginnern vermutet. Schädelknochen von Höhlenbären, Wanderjäger, Menschen, die hier die Eiszeit überdauerten – »die waren Chinesen!«, lacht Haderlap: »Hier schiebt sich die afrikanische Platte über die euro-asiatische und die Kärntner Urangst kommt wohl daher, dass unsere Platte von der afrikanischen gefressen wird!«
Von oben her über den verlassenen Peternelhof nach langer Wanderung endlich beim Peršman-Hof und dem heutigen Museum angekommen, wringt Zdravko Haderlap ununterbrochen seine Hände, während er von dem Massaker an den Kindern erzählt. Elf ermordete Menschen, davon sieben Kinder. Wie kam es dazu? »Das Ostbataillon der Partisanen machte ein riesiges Picknick, die wogen sich in Sicherheit, auch Kinder vom oberen Hof halfen mit. Ûber Hundert Männer mit Waffen lagerten auf der Wiese. Es war vierzehn Tage vor Kriegsende. Plötzlich überwältigte eine Söldnertruppe, das Regiment 13, das hinter der Wehrmacht die Dörfer putzte, die Wachen. Die Partisanen ließen alles stehen und liegen und verschwanden Hals über Kopf in den Wald. Die Kinder blieben ungeschützt zurück. Am 25. April 1945 kam es zum Verbrechen. Das SS- und Polizeiregiment 13 ermordete sieben der Kinder im Alter von ein bis zwölf Jahren: Adelgunde und Stanko Kogoj sowie Viktor, Franziska, Bogomir, Albina und Filip Sadovnik. Die Hofbauern Ana und Lukas, die 80-jährige Altbäurin Franziska und die Schwester des Bauern, Katarina Dobravc.« Nur Anci, Malka und Ciril, die sich versteckten, überlebten, als alles niedergebrannt wurde. In Nachbarschafthilfe baute man später das Haus wieder auf, damit die verlassenen Kinder wieder in Koprein-Petzen leben konnten.
Im Stich und allein gelassen werden
Dass die Partisanen, erwachsene Männer mit Waffen, die Kinder im Stich ließen und nur sich selbst retteten! Der Enkel von Anci, der ihre Geschwister ermordet wurden, stehe heute auf deutschnationaler Seite, erzählt Haderlap, und schon ihr Sohn meinte, die Partisanen wären Verbrecher. Denn Verrat und Verlassenwerden seien schlimmer als das, was die Nazis anrichteten, von denen man sich eh nichts anderes erwartete. Ähnlich Kindern, die bei Missbrauch wütender auf eine nicht schützende oder helfende Mutter sind, als auf einen Vater, der Täter ist!
»Man war am Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Siegerseite und kurze Zeit später wieder wie im Krieg und hat seitens der Politik den gleichen Sprachjargon verwendet – bei alledem sind einem aber dieselben Bilder aufgekommen, die man erlebt hat«, resümiert Zdravko Haderlap den Spagat zwischen eigener Trauer, dem Kampf mit den Schäden der Eltern und der Vorgangsweise der offiziellen Politik. Nun wird er mit diesen Bildern arbeiten, sie durch Tanz und Musik selbst an den Orginalschauplätzen auf seine Weise darstellen, zurück ins Leben – sein Vater war wilder Musiker und spielte euphorisch – bringen.
»Engel der Erinnerung« – »Angel spomina«
Vinklhof in Lepena bei Bad Eisenkappel / Železna Kapla: 26.- 28. 9., 9:30 Uhr