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Lars Graugaard

»Venus«

Dacapo Records

Mehrere Seiten lang versucht uns der Komponist Alejandro Guarello zu überzeugen, warum die vier Kompositionen des dänischen Komponisten Lars Graugaard (aka Lars from Mars) auf seiner neuesten CD »Venus« sich zwar im unmittelbaren Fahrwasser der zeitgenössischen Moderne befinden, dennoch einzigartige Statements sind, die auf einen unverwechselbaren kompositorischen Zugang beruhen und sich zugleich widerständig gegenüber Hörgewohnheiten verhalten, die von der ver- kommerzialisierten Musikindustrie längst restlos verdorben sind. Graugaard habe seine eigene musikalische Sprache gefunden, »weit entfernt von den Konventionen einer kommerziellen, simplifizierenden oder formalistischen Musik«. Dann erst fällt der Vorhang und wir erfahren, dass Graugaard nach langjähriger Forschung eine Software namens »Score Emotion« entwickelt hat, ein interaktives Musikprogramm, basierend auf einer eigenständigen Notationsform, die »emotionale Signifikanzen« in Instruktion für ausführende Musiker umwandelt, die sich teilweise (oder zur Gänze) wiederum auf die ursprüngliche Performance der jeweiligen Interpreten gründet. Der ganze Prozess ist in der Tat noch wesentlich komplexer, aber sagen wir einfach, es geht darum, in die Komposition und zugleich in die Ausführung derselben ein Element des kontrollierten Zufalls einzuführen, um den Output frisch und unberechenbar zu machen. Oder noch einfacher: Komposition wird um das Element der Improvisation erweitert, wobei der Laptop als Filter und Vermittlungsinstanz dient.

So gesehen könnte man natürlich auch so formulieren, dass Graugaard dadurch die Improvisation bändigen, sie mehr seinem Gestaltungswillen unterwerfen will. Diese Interpretation (die dem Komponist vermutlich kaum zusagen würde) macht das auf Konserve gebrannte Resultat eine Spur verständlicher. Denn nur wenig an den vier Kompositionen auf »Venus« würde beim bloßen Hinein- hören vermuten lassen, dass hier etwas anderes als althergebrachte Kompositionstechniken zum Einsatz gekommen wären. Alle Stücke, durchwegs kompetent eingespielt von Ensembles der New York University, haben ihre eigenständige Klangsprache, sind ihrer harmonischen Natur nach fast ein wenig post-expressionistisch, aber in formaler Hinsicht sehr offen, was nicht zuletzt an manchen elektroakustischen Einsprengsel liegt. Dennoch stellt sich die Frage, welchen künstlerischen Zugewinn Graugaards Kompositionsmethode tatsächlich bringt.

Aber gut, diese Frage hätte man auch John Cage stellen können, der den Zufall ganz ungeniert zum Kompositionsprinzip erhoben hat. Trotzdem passt der Vergleich, denn die Cage’schen Zufallskom- positionen wirken oft kalt und schroff, die Graugaard’schen Quasi-Zufallsimprovisationen hingegen wesentlich wärmer und zugänglicher. Unterm Strich ein hörenswertes Stück zeitgenössischer Musik, das aber nicht ganz so evident ist, wie es gerne wäre.

Home / Rezensionen

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
13.06.2015

Schlagwörter

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