wetlands
Various Artists

»Sounds of the Wetlands«

Gruenrekorder

Das Frankfurter Gruenrekorder-Label ist seit langer Zeit unermüdlich an der Schnittstelle von akademischer Soundforschung und außerakademischer Krachkunst tätig. Erfreulich barrierefrei operieren sie zwischen Hörsaal, Atelier und Hobbykeller und – nicht zu vergessen – oft und gerne an der frischen Luft! Im Katalog des Labels gibt es viel zu entdecken: die rumpelnden Klänge von Eisbrechern, geologisch fundierte Klangexperimente von Annea Lockwood und Christina Kubisch, Vögel auf Helgoland, aufgezeichnet auch im Bewusstsein, Field-Recordings mit ökologischem Aktivismus zu verbinden, und vieles mehr. »Sounds of the Wetlands« ist das Ergebnis eines interdisziplinären Dialogs zwischen Künstler*innen aus London, UK, und Valdivia, Chile. Um die Stadt herum liegt die titelgebende Region, deren Natur die Kompositionen auf »Sounds of the Wetlands« inspirierte. Allgemein formuliert: Field-Recordings vom Wetter und dem, was so kreucht und fleucht, finden sich, mehr oder weniger naturbelassen, in elektronische Musik eingebettet. Synthetische mit Naturklängen zu verbinden oder beides so zu bearbeiten und zu verfremden, bis nicht mehr unterscheidbar ist, was welchen Ursprungs ist, diese Methode hat ihre musikhistorische Tradition und die Ergebnisse solcher Forschungsarbeiten können so oder so ausfallen, will sagen: Die Frage, inwiefern der Sound ein regional spezifischer ist, ist sowohl eine empirische als auch eine der Fantasie. Oder klingt das Zirpen von Grillen nicht überall auf der Welt gleich? Eine gewisse, dieser naiven Vorstellung entgegenstehende, ästhetische Sensibilität kann mir kontextgebundenes Wissen vermitteln. Begleittexte zu Aufnahmen und den Umständen ihres Zustandekommens, zum Beispiel. Dann leuchtet mir die Originalität von solchen Musikproduktionen leichter ein. Das ist sozusagen die Krux mit dieser Art von Klangkunst. Sie ist, wie alle auf Abstraktion beruhende Kunst, ebenso erklärungsbedürftig wie offen auslegbar. Dass solche Veröffentlichungen internationale Dialoge und Zusammenarbeiten dokumentieren und auf diese Weise den künstlerisch-experimentellen Austausch fördern, also helfen, die Welt ein bisschen zusammenzuhalten, auch das ist ein hilfreicher Gedanke zum adäquaten Verständnis und zur Einordung, wenn die Frage im Raum steht, was das soll und ob’s das braucht? Denn – ja! – es braucht solche Projekte, selbst wenn sie zunächst einer eher instrumentell gerichteten Vernunft als nutzlos erscheinen mögen. Die Welt ist (auch) Klang. Sie in Tonkonserven zu dokumentieren und zu bewahren, ist eine wichtige Aufgabe, sie in ästhetischen Prozessen achtsam zu verarbeiten und zu transformieren, ein menschliches Bedürfnis. Sich ins Verhältnis zur Welt und damit auseinanderzusetzen, was mit einem selbst und den anderen und überhaupt der Fall ist – darin besteht, wenn man so will, der philosophisch-universalistische Grund, den musikalische Installationsprojekte, Field-Recordings und Klangkunst haben können, wenn sie nicht nur szientistische Frequenzschieberei sind: Sie halten die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Welt im Bewusstsein. Wo stehe ich, wie und was nehme ich um mich herum wahr? In der bildenden Kunst mag dies augenscheinlicher sein. Nehmen wir die Erfindung der Zentralperspektive in der Malerei, die auf eine*n Betrachter*in als Ausgangspunkt verweist. – Ähnliches gilt auch für die Einrichtung und Präsentationsformen von Klängen für Kompositionen, die nicht zuletzt deshalb in Stereo abgemischt werden, weil der Mensch zwei Ohren hat!? Oder: Manche Malerei (zum Beispiel sowohl impressionistische als auch expressionistische) verwischt in der Darstellung die Grenzen zwischen dem, was als Natur Gegenstand der Betrachtung ist, und dem, was der Mensch dazu in sie hineingestellt hat. Klangmalerei kann das auch. (Problematisch insgesamt, die von mir hier wiederholt vorausgesetzte bzw. vorgenommene dualistische Gegenüberstellung von Mensch und Natur, die zuallererst ja selbst eine nicht selbstverständliche Konstruktion, eine – halbwegs aufgeklärte, aber auch romantische – Erkenntniskrücke ist.) Solche Fragen und Perspektiven … natürlich ist das alles auch eine Bildungsfrage. Ganz voraussetzungslos kann man sich solche Gedanken vielleicht nicht machen – aber andererseits, wenn man sich darauf einlässt, dann können einem solche Ideen vielleicht auch spontan durch den Kopf zwischen den zwei Ohren schießen und für Besinnung oder durchaus angenehm-kitzelige Verunsicherung sorgen. Um jetzt noch einmal zurückzukommen auf die vorliegende Veröffentlichung: »Sounds of the Wetlands«, eine Doppel-CD mit insgesamt fast 100 Minuten Spielzeit. Manche der Aufnahmen gefallen mir sehr gut, manche nicht. Das ist aber, wie vielleicht deutlich geworden ist, nicht der Punkt bzw. Geschmacksache. Wichtiger, aus meiner Sicht, ist, dass Gruenrekorder als Label dranbleiben und immer wieder Gelegenheiten bieten, sich mit dem Wesen von Musik und, darüber vermittelt, dem des Menschen und seiner Nachbarschaft in Flora und Fauna auseinanderzusetzen. Prädikat: Besonders wertvoll.

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
09.10.2025

Schlagwörter

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