Eins der wenigen guten Systeme neben dem Koordinaten- und Periodensystem ist das Soundsystem. Damit ist nicht das 5.1 von zu Hause, sondern das mobile gemeint: bevor es in Jamaika Discos mit vernünftigen Anlagen gab, hat man sich diese oft im Kollektiv zusammengestellt und auf Soundclashes, ähnlich heutigen Raves, nur mit mehr Fokus auf den Sound selbst, der bedürftigen Jugend zum Besten gegeben. Da wurde es dann oft sehr laut – aber auch experimentell. Nicht wenige nicht unwichtige Musikrichtungen haben ihre Wurzeln da, wie beispielsweise HipHop mit seinem allseits bekannten Sprechgesang. Die beiden Veranstalter*innen Zuri Maria Daiß und Pascal Jurt stricken diese Erzählung weiter und veranstalten die Reihe, welche vom 19. bis zum 21. April 2019 mit Clubmusic à la Dub, Reggae und Dancehall, Roots Reggae im Berliner Yaam und im Radialsystem aufwartet. Der heftige Bass ist der rote Faden, der sich durch »The Only Good System« zieht. Es befasst sich mit der in Jamaika verwurzelten und nach Europa herübergeschwappten, vor allem in England stattfindenden Musikbewegung.
Caribbean roots
Der klassische Dub entstand aus Ska und Rocksteady und hatte seine Hochzeit in den 1960er- und 1970er-Jahren vor allem in Jamaika, wo es als eine günstige Alternative zu oft teuren, für Touristen veranstalteten Jazz-Konzerten galt. Später wurden diese ersten Stile dann von Dancehall und Roots Reggae abgelöst. Die Dub-Szene selbst verlagerte sich vor allem nach England und entwickelte ihre sämtlichen Ableger. Dub zeichnet sich aus durch den tiefen Bass, viel Hall und Reduktion der Instrumentierung, was dem Ganzen eine enorme Räumlichkeit verleiht. Freunde des deutschen Marsches (»Preußens Gloria« z. B.) dürften sich vor allem an dem verzögerten Akzent des Rhythmus stören: Es herrscht der entspanntere Off-Beat und man stampft nicht regelmäßig auf 1, 2, 3 und/oder 4 wie auf dem Schützenfest. Angenehm und gut.
The Bug & Miss Red und queere Acts
Der Londoner Kevin Martin alias The Bug kuratiert den ersten Abend und präsentiert vor allem zeitgenössische Künstler*innen. Unter anderem spielt da die Israelin Miss Red auf, so wie Flowdan, Profi für Jungle und Drum’n’Bass und Mitwegbereiter des Grime. Am zweiten Tag sorgt der bekannte Künstler und Forscher Nik Nowak für ein äußerst weibliches bzw. queeres Line-up. Unter anderem spielen Ché und ALI. Keys aus Detroit sowie Le1f aus New York. Als Abschluss des ersten Teils des Festivals – im Herbst folgt ein zweiter – werden im Yaam Künstler*innen der globalen Bass Culture und des Dub-Archivs Musik aus sämtlichen Zweigen des Genres wie Trap, House, Drum’n’Bass, (Roots-)Reggae, (Post-)Dubstep, Future Bass, 2 Step, UK Garage, Ghetto Tech, Rags, Wonky und Grime bis hin zu Musique concrète zum Besten geben. Es wird herrlich bassig ballern.
Theorie mit Carolyn Cooper, Julian Henriques und Diedrich Diederichsen
Eine theoretische Vertiefung geben die jamaikanische Feministin und Autorin Carolyn Cooper mit ihrem Vortrag »Lyrical War: Clashing Sounds In Jamaican Dancehall Culture« über die politischen und ästhetischen Aspekte des Soundsystems sowie Julian Henriques, Kulturwissenschaftler am Londoner Goldsmith College und Autor von »Sonic Bodies«, und Diedrich Diederichsen. Henriques behandelt in seinem Vortrag unter dem Titel »Lecture Sound System as System of Sound: Street Cultures and Crossovers« das Verhältnis zwischen Publikum, Sound System und Sound. Diederichsen, der selbst lange als DJ im Duo Dreadbeat Dancehall und Roots Reggae auflegte, wird in seinem Vortrag »Amor vacui: die Geister uptown im Firehouse und die Vibrationen« erforschen, was mit dem Subjekt im Reggae denn so los ist, nachdem es im Dub verschwand.