Acts um die Pianistin Elisabeth Harnik, den Saxophonisten Ken Vandermark sowie Susana Santos Silva und Jaimie Branch, die jeweils ihr Können als Trompeterin und Bandleaderin offenbaren werden, machen Vorfreude. Doch geht es im Gespräch mit Hans Oberlechner auch um die politische Intention von artacts, die Euphorie, mit der freie Musik gelebt wird, um Programmplanung und Veranstaltungsorte außerhalb der Alten Gerberei, wo Musik Kultur St. Johann, die Mutter der Alternativkultur vor Ort, den Kulturbegriff weit fasst.
skug: In der Region um den Wilden Kaiser regiert der Massentourismus. Dafür gefällt mir eigentlich der alte Begriff Fremdenverkehr besser. Im doppelten Sinn, weil mittlerweile auch die im Gast- und Hotelgewerbe Beschäftigten wegen der geringen Bezahlung hauptsächlich aus Osteuropa kommen. Ist St. Johann in Tirol neben Kitzbühel einer der großen Player? Wie fühlen Sie sich als Bürger dieser Marktgemeinde mit rund 9.400 Einwohnern, zu der die Einheimischen liebevoll »Sainihåns« sagen?
Hans Oberlechner: St. Johann ist eine der wesentlicheren Tourismusgemeinden in Tirol und hat starke Bedeutung. Der daraus resultierende Wohlstand hat positive wie negative Auswirkungen, was mir deutlich bewusst ist. Wenn sich das ganze Leben politisch, sozial und wirtschaftlich auf den Erfolg ausrichtet, ist es schwierig. Die Konzentration auf kurzfristigen Erfolg und Profitmaximierung führt zum Ausverkauf traditioneller Musik- und Kulturtraditionen. Mein Bruder ist ein talentierter Zitherspieler, der sich schon bevor er der den Führerschein hatte, ein Auto kaufen konnte, weil ihm die Touristen so viel Geld nachschmissen. Allerdings muss ein Volksmusikant seine Klänge brutal verbiegen. Jetzt ist er Teil einer Gegenbewegung. Es gibt viele Leute, die die tradierte Volksmusik am Leben erhalten wollen, die Musik für sich spielen und sich nicht per Wunschkonzert an den Massengeschmack anbiedern. Es gibt mehrere Gründe, warum sich Österreicher im Tourismus nicht betätigen wollen: die Bezahlung ist nicht gut, die Arbeitszeiten sind unregelmäßig, und es gibt viele Nachtdienste. Mein Sohn absolviert eine Tourismusfachschule und hat das als Praktikant lange Zeit leidvoll erfahren.
Musik Kultur (MuKu) St. Johann, die Institution, aus der heraus sich artacts entwickelte, ist wohl ein bewusster Gegenpol zum Mainstream. Wie steht die örtliche und Landespolitik dazu? War es zunächst schwierig, Subkulturformen im ländlichen, wenngleich ziemlich urbansierten Raum zu etablieren?
Bestehen feiern, mit einem Extraprogramm. Wir sehen uns als Korrektiv, wir zeigen auf, wie man Kunst abseits der Profitmaximierung darbieten und leben kann. Die Landespolitik steht positiv dazu. Wir haben momentan eine Situation, mit der ich ganz gut leben kann. Ich habe nie die ÖVP gewählt, jedoch haben wir in Tirol Politiker, die die Bedeutung von Kultur ganz gut erfasst haben. Gemeindepolitisch tue ich mir sehr schwer, sowohl mit VP, SP, FP als auch Grünen. Allen ist es egal, ob es überhaupt offene Kulturarbeit gibt. Wir haben mit 150 Veranstaltungen im Jahr eine Größe erreicht, wo wir nicht mehr wegzudenken sind. Die Förderung der Marktgemeinde ist marginal.
Was uns zur politischen Intention des Festivals führt. Es sieht seine Aufgabe darin, Ungehörtem Raum zu verschaffen, und fordert Respekt voreinander und den Mut, auch unbequeme Positionen zu vertreten, die nicht dem Mainstream angehören, auch im sozialen und politischen Bereich. Genau das will die rechtsrechte Regierung aber nicht. Stattdessen setzt sie hegemoniale Tatsachen. Im neoliberalen Wahn werden weiterhin Orchideenfächer beschnitten und die neue Regierung hat vermutlich vor, Teile des ORF zu privatisieren. Wider den Kulturauftrag und viele weitere zivile Errungenschaften. Was kann man Ihrer Meinung nach gegen diese Faschisierung tun, wo keine Einsicht zu erwarten ist, dass ein absoluter Irrweg eingeschlagen wird?
Ich muss eines voraussetzen: MuKu St. Johann ist nicht mehr Veranstalter von artacts, sondern im Sinne der Transparenz der Verein artacts, weil das Projekt eine sehr große Dimension bekommen hat. Wichtig ist die verstärkte Unterstützung eines bestimmten Frauenanteils – österreichweit wie international. Natürlich hat Musik in so einem Bereich zu fördern einen politischen Aspekt. Im Sinne der Förderung des Ungehörten, Unerhörten. Wir ermöglichen Kunst für Minderheiten. Das ist eine Frage der Demokratisierung. Kunst trägt, entwickelt Gesellschaft. Ich stell mir natürlich die Frage, warum die Rechtsaußenparteien sich auf die alternativen Kulturinitiativen stürzen. Weil sie Angst vor Demokratisierung haben. Mit dem Zusperren von Minderheitenprogrammen glaubt man, Wahlen gewinnen zu können. Das ist reiner Populismus! Man sollte aus der Geschichte lernen: Wenn autoritäre Systeme die Macht zu ergreifen beginnen, wird immer zuallererst die Kunst zum Feindbild erkoren.
Im Heiligen Land Tirol wird bald gewählt. Ist da Besseres zu erwarten als bei den Nationalratswahlen 2017?
Die FP war zuletzt eher schwach, wird aber zulegen und Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erheben. Im Grund kann man nur hoffen, dass der Landeshauptmann ein Schwarzer bleibt und kein Türkiser wird. Dass Günther Platter trotz Druck seitens Bundeskanzler Kurz seine Linie aufrechterhalten kann und dem Druck nicht nachgibt, immer wieder Gespräche sucht und erklärt. Es geht darum, das Akzeptieren des rechten Gedankenguts aufzuhalten. Angstschüren, Intoleranz, Antisemitismus und Ausländerhass haben in der Mitte der Gesellschaft nichts zu suchen. Täglich werden in Tirol zwei Asylwerber aufgegriffen und es wird ein Drama draus gemacht!
Neben dem Ulrichsberger Kaleidophon, den Konfrontationen Nickelsdorf, dem Jazzfestival Saalfelden und Wels Unlimited widmet sich artacts auch in hohem Maß der improvisierten Musik. Was unterscheidet artacts von diesen anderen wichtigen österreichischen Festivals? Verfügt artacts über ein geschärftes Profil?
Wir sind Brüder im Geiste von Nickelsdorf. Free Jazz im Sinne der afroamerikanischen Tradition ist bei uns noch am stärksten vertreten. Ulrichsberg widmet sich teils mehr der komponierten Neuen Musik, Wels überschreitet die Grenzen Richtung Rock- und Weltmusik, an Saalfelden taugt mir der zuletzt erhöhte Improv-Anteil. Es gibt eine tolle Kommunikation untereinander. Keine Missgunst, sondern einen befruchtenden Austausch.
Seit wann gibt es die wunderbare Zusammenarbeit mit Radio Österreich 1, das in den Sendungen »On stage« oder »Zeit-Ton« Mitschnitte von artacts-Konzerten bringt? Ergeben sich daraus ein höherer Bekanntheitsgrad und mehr Festivalbesucher?
Im Grunde sendet Ö1 immer wieder, leider aber nicht regelmäßig. 2017 wurden alle Konzerte mitgeschnitten, doch es gibt nicht genügend Ressourcen, dass dies konstant passieren könnte. Der Wunsch der Redakteure wäre vorhanden. Das Landesstudio Tirol hatte den Redakteur Wolfgang Praxmarer, der in Frühpension geschickt wurde. Sein Posten wurde leider nicht nachbesetzt, sondern auf mehrere Personen aufgeteilt.
Von St. Johann aus ist es nicht mehr gar so weit nach Deutschland, Slowenien, Italien oder in die Schweiz. Welchen Austausch mit anderen Medienformaten pflegt artacts?
Medienmäßig gibt es kaum etwas. Wir haben ziemlich gute Kontakte zu anderen Veranstaltern, die Multiplikatoren sind, etwa mit Jazz Cerkno in Slowenien, dem Météo Mulhouse im Elsass oder dem Krakauer Jazzherbst.
Wie findet das artacts-Team derart spannende Acts wie das polnische Trio Lotto im Vorjahr oder heuer Susana Santos Silvas skandinavisch besetztes Life and Other Transient Storms Quintet und die »ghostly sounds« von Jaimie Branch?
Wir sind sechs Mitarbeiter, die sich mit dieser Art vom Musik sehr stark beschäftigen und auf viele Festivals in Europa fahren. Dadurch ergeben sich viele Kontakte nach Übersee, ohne dort sein zu müssen. Lotto habe ich erstmals in Nickelsdorf gesehen und die sind dort eigentlich unter ihrem Wert beurteilt worden. Susana Santos Silva ist Shootingstar auf vielen internationalen Festivals. Auf die aus Chicago stammende New Yorkerin Jaimie Branch stieß ich über einen großartigen Artikel in der »New York Times«. Via Saxophonist Dave Rempis, der mit Ingebrigt Håker Flaten (Kontrabass) und Tollef Østvang (Schlagzeug) in ihrem Quartett spielt, kam der Kontakt zustande.
Leidenschaft an flüchtiger Musik treibt auch Petra Cvelbar an. Die slowenische Fotografin stellt ihr Improv-MusikerInnen gewidmetes Werk in der Galerie der Marktgemeinde St. Johann in Tirol aus. Was ist das Besondere an ihrer artacts begleitenden »Sweet Addiction«-Ausstellung?
Sie trifft sich mit unserer Vision der freien Musik exakt und versteht, das in Bildern festzuhalten. Seit vier Jahren haben wir als Biennale eine Fotoausstellung. Vor zwei Jahren zeigten wir Fotos von Peter Gannushkin, vor vier Jahren von Ziga Koritnik! Übrigens wird Ken Vandermark die Ausstellung am Donnerstag, dem 8. März mit einem Solokonzert eröffnen.
Zurück zur eigenen Begeisterungsfähigkeit. Diese mündete ja sogar ins Ensemble Free Music St. Johann. Ist dieses Laienensemble noch aktiv, welches Instrument spielen Sie darin und sind auch noch deren musikalische Leiter Barbara Romen und Gunter Schneider dabei?
as Ensemble wurde vor zwei Jahren gegründet, mit dem Gedanken, kreativer Botschafter der bei artacts gespielten Musik zu sein. Menschen aus unserer Region, die Freude an der Musik haben, sind Multiplikatoren, die die Musik nach außen tragen. So etwas ist ganz wichtig für alle Festivals weltweit und gilt auch für Alte oder Neue Musik. Selbst spiele ich Cello, Gunter ist der Doyen in Sachen Tiroler Improv-Musik. Auch Barbara kann in verschiedenen Zusammenhängen die Beteiligten motivieren, nicht als Dirigentin, sondern durch ihr Einfühlungsvermögen und ihre große Erfahrung auf alle Ensemblemitglieder einwirken.
Freie Musik dürfen auch Kinder ausprobieren. Wie viele werden am Weekend-Schnupperkurses teilnehmen und wie klingt so ein Abschlusskonzert der Kids Improvisers Workshop Band?
Die Obergrenze beträgt 12 bis 14 Kinder ab sechs Jahren. Sie haben große Freude dabei. Die Workshops sind sehr nachhaltig, prägen die Kinder und wirken lang nach. Viele machen auch in den Folgejahren mit. Dies ist ein sehr positiver Zugang zu dieser Art von Musik, da werden Türen aufgemacht, die nicht mehr zugehen. Die Workshop Band klingt unbekümmerter und vielleicht sogar frischer als manche erwachsene Combo. Dieses Mal wird sie Melvyn Poore »dirigieren«.
Sicherlich auch von Euphorie getrieben war wohl die Miterfindung des Tentets Entr’acte, dessen Nukleus das DEK Trio mit Ken Vandermark, Elisabeth Harnik und Didi Kern 2017 ein umjubeltes Konzert gab?
Im Grunde war es eine Idee von Ken und mir. Kurz nach artacts 2017 traf ich Ken wieder. Vor acht Jahren war er mit dem Ensemble Resonance auf Tour, damals ein Orchester mit vielen US-Musikern. Ein überwiegend mit europäischen Musikern besetztes Ensemble spart Reisekosten und Ken hatte freie Hand für die Zusammenstellung der Band und die Kompositionen dafür. Machbar ist so etwas Großes eh nur auf einem Festival. Entr’acte soll eine bestehende Band bleiben. Wir nehmen alles auf und es soll einen Tonträger vom Konzert geben.
Aus einem artacts-Gastspiel ist auch eine Platte hervorgegangen, die ich wegen ihrer Einzigartigkeit rezensierte: »Nabelóse« von Ingrid Schmoliner und Elena Kakaliagou.
Für das auf Corvo Records erschienene Vinylalbum wurde von den Musikerinnen Ingrid Schmoliner und Elena Kakaligou in der Alten Gerberei ein Studio eingerichtet. Die beiden vertonen dabei Sagen aus dem Alpen- und Mittelmeerraum und spielten damit 2016 einen famosen artacts-Gig.
Das Festival geht auch in die Landschaft hinaus – ich erinnere mich an Konzerte ungarischer Elektronikmusiker in einer Seilbahngondel. Heuer wird es eine Soundinstallation von Elisabeth Flunger in einer Mühle geben. Bitte Näheres dazu!
Es ist eine Rauminstallation, für die Elisabeth Flunger als Artist in Residence nach St. Johann eingeladen wurde. Die Wieshofer Mühle mahlt tatsächlich noch Getreide auf vier Stockwerken. Imposante Maschinen sind da drinnen. Die Performance wird ca. 50 Minuten dauern, wobei unter anderem Elisabeth Harnik, Clementine Gasser, Thomas Berghammer, Jakob Gnigler und Elisabeth Flunger mit den Maschinensounds interagieren werden. Obendrein wird in einem Nebenraum eine Märchentante Geschichten vortragen.
Außerdem wird es Konzerte in der St.-Nikolaus-Kirche, Weitau (Joe Williamson solo) und in der Galerie der LLA Weitau (Ken Vandermark & Terrie Hessels) geben. Was aber wird im sogenannten Soundcab, samstags und sonntags ab 13.30 Uhr auf dem Hauptplatz, stattfinden?
Die Kirchen und Kapellen in St. Johann sind atmosphärisch sehr reizvoll und wir werden auch in den nächsten Jahren welche bespielen. Zum Soundcab: Bereits im vierten Jahr betreiben wir eine kleine Holzhütte die mitten am Hauptplatz steht. Es ist eine Klangkabine mit Platz für zwei Besucher und einen Musiker. Wer spielen wird, hängt von den Soundcheckzeiten hab. Im Vorjahr waren unter anderem Maja Osojnik oder Mars Williams zu hören.
Nach allem zu artacts die Schlussfrage: Was veranstaltet das MuKu St. Johann im Jahresbogen? Vielleicht sollte das mehr hinausposaunt werden?
Ich bin bei MuKu St. Johann angestellt und Geschäftsführer. Es gibt Konzerte im Bereich Improv und Rockkonzerte von regionalen und internationalen Bands. Demnächst etwa von Arashi, kürzlich von Erika Stucky. Außerdem gibt es jeden Donnerstag Arthouse-Filme im Monoplexx und im Sommer ein Openair-Kinofestival im Lunaplex sowie ein großes Kinder- und Jugendfilmfestival namens Kikiplex im November. Des Weiteren gibt es noch eine Schiene mit Kinderkultur (Theater, Konzerte). Wir faszinieren also das ganze Jahre über junge Menschen und Junggebliebene für Kulturarbeit. Zusätzlich vermieten wir unsere Räumlichkeiten beispielsweise an Jeunesse (demnächst BartolomeyBittmann) oder den Literaturverein (zuletzt Lesung von Arno Geiger). Auch proben drei verschiedene Theaterensembles wochentags in der Alten Gerberei.
Links: www.artacts.at // www.muku.at