Foto: © Doris Brady
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That’s Jazz: Kein Stiftungs-Sponsoring von Grasser

Wo entstehen neue gemeinsame Jazz-Orte für Alt und Jung? Wo neue Finanzierungsmöglichkeiten? Bedeutet Jazz noch Widerstand? Gewaltige Generationen Unterschiede zwischen den Musikern taten sich bei einer heißen Diskussion auf: vom älteren, engagierten und kreativen »Ein-Mann-Show«-Modell zu jungen, unauffällig »unaufgeregten« Netzwerkern.

Erstaunlicherweise sind sogar einen Tag vor dem »Heiligen Abend« viele interessierte Jazzer (keine -innen) ins zweistöckige MICA-Haus in die Wiener Stiftgasse gekommen. Unten im gläsernen Veranstaltungsraum ist die Bude voll, während drau&szligen vor der Türe der Weihnachtsmarkt tobt. Jazzreferent Helge Hinteregger lud zur hei&szligen Debatte über einen einzigen Artikel, der anscheinend die Jazz-Szene, die nicht mit Berichterstattung verwöhnt sein dürfte, nachhaltig erschüttert hat. Der »schwergewichtige« Autor des ominösen Flie&szligtextes mit Interview-Teilen und dem hoffentlich programmatischen Titel »Wir wollen ein Haus«, Andreas Felber (siehe »Falter«, Ausgabe 48/2011) sitzt gelassen im wei&szligen Polstersessel und harrt der Dinge, die da kommen. Es muss lustig sein, zu sehen, wie ein Artikel »wahr« wird, sich mit Leben füllt, die virtuellen Protagonisten alle gleichzeitig vor einem sitzen – wohl Wunsch- und gleichzeitig Alptraum eines jeden Journalisten.

»Jazz ist tot« versus »Wir stehen im Jazz am Stand der 1970er Jahre« – Performance-Künstler und Throat-Musiker Helge Hinteregger leitet mit diesen plakativen Aussagen aus dem journalistischen Schriftwerk ein. Jazzmusiker Mathias Rüegg, der mit Tabori und Jandl arbeitete und 1977 das Vienna Art Orchestra gründete, holt weit aus: »Was da alles 1987 nach dem zweiten grö&szligten Börsenkrach abgeschafft wurde, ist nie wieder eingeführt worden« und »Der ORF ist als Partner völlig weggefallen. Die Idee ist ja gar nicht mehr vorhanden, dass der ORF unterstützen könnte! «, tönt er laut mit Anflügen seines Schweizer Dialektes. Mit seinem grauen Rossschweif, seinem schwarzen Anzug und seinen spitzen, glänzenden Schuhen sieht er wie ein Zirkusmusiker aus Great Britannien (»He, who amuses the Queen«) aus. Voll Engagement und Leidenschaft regt Rüegg sich auf, dass Jazz nach dem Wegfall vieler kleiner Gemeindebudgets nur noch »Liebhaberei« sei und heutzutage nur noch »Lehrer zukünftige Lehrer unterrichten«: »Das letzte, was früher wer werden wollte, war Lehrer! Wie krank ist denn das, wenn Subkultur unterrichtet wird?!« Ein Musiker lebe doch davon, dass er heraus aus Üsterreich kommt, auf Tournee fährt, internationale Begegnungen hat. »Wo sind die ganzen Veranstalter, die stolz waren, junge Bands zu kriegen? Experimentierfreude gibt es nicht mehr«, resümiert Rüegg, der auch wirklich 2011 ein Zirkustagebuch aus New York geführt hat.

Jam Räume, Session Plätze, Steady Gigs
»Wir hatten vorher 14 Jahre lang Jam Sessions gemacht«, berichtet Christoph Huber vom mächtigen Jazz-Dampfer Porgy & Bess, selbst er muss sich aber überlegen, welche Projekte sich finanziell tragen (gleich hohes Budget seit 1994). »Das war dann auf der gro&szligen Bühne nicht mehr möglich. Wir wollten immer noch eine Off-Bühne machen, es gab sogar einen geeigneten Raum gleich nebenan, aber der wurde uns vom russischen Vermieter weggenommen. Wir wollten da nicht anstreifen!« (lacht) Der junge, eifrige Lukas Kranzelbinder, der vom Elektrobass auf Kontrabass umstieg und Steady Gigs im Wiener »Dorf« veranstaltete, unterbricht Huber. Das Problem wäre nicht das Porgy & Bess, sondern dass es in ganz Üsterreich keine VeranstalterInnen oder Klubs mehr gäbe, die sich eine Gage plus Unterkunft und Fahrtkosten leisten könnten. »Wenn du als Musiker in Üsterreich durchstartest, stehst du an! Die Veranstalter bedienen die gleiche Schiene wie in den 1980er Jahren. Jazzveranstaltungen bewirbt man seit Jahrzehnten gleich, der immer gleiche Flyer liegt im immer gleichen Lokal … Es gehört ein Reload der Veranstalter her!« Rüegg unterbricht Kranzelbinder und hält eine »Blitze schleudernde« Rede zum Thema Privatisierung von Sponsorship. Er ist dafür. Ein Schweizer-Migranten-Kapitalisten-Protagonist sozusagen. Der Staat solle endlich aus den Musikersubventionen aussteigen, er kenne so viele Ärzte und Rechtsanwälte, die ihr Geld lieber jungen Musikern geben würden als dem Staat, Steuerabsetz-Freibeträge gehören her … Der frei schaffende Instrumentalist und Posaunist Daniel Riegler, der für Produktionen schon bis Südafrika und zur Biennale Venedig kam, unterbricht den erfolgreichen Privatier ganz pragmatisch und gelassen: »Sogar wir sitzen da und sagen, ??no, es wird halt weniger Geld vom Staat??. Dabei kriegen wir sowieso nur die Portokassa. Ich werde keine privaten Sponsoren finden. Ich sehe in diesem Bereich keine Zukunft.« Später wirft er noch ein, dass eine Stiftung ihm wohl auch eher weniger geben würde … »denn dann entscheidet und verteilt der Grasser das Geld und nicht die Kultur-Ministerin.« Gelächter in der Runde.

Musik als Beruf
Rüegg: »Ist es wirklich fair, Musiker auszubilden, dass es ein Beruf ist?« Riegler: »Wann war Musiker ein Beruf?«
Gro&szlige Unterschiede tun sich auf, zwischen denen, die noch Berufsmusiker sein konnten und denen, die heutzutage »noch nie Geld aus Platten oder Lizenzen hatten. Wir leben vom Publikum, nicht nur von den Eintrittsgeldern, sondern auch von der gesellschaftlichen Relevanz, die wir uns erarbeiten«, sagt der Pianist Clemens Wenger von der JazzWerkstatt Wien. Er meint, Musiker hätten heutzutage wenig Chancen bei Politikern: »Ich als 29-Jähriger kann da nicht auftreten und sagen, das Gesetz gehört verändert.«
Allgemeines Credo ist es am Ende, näher zusammen zu rücken, denn wenn die jungen und die älteren Musiker stärker mit einer Stimme reden würden, gäbe es mehr Möglichkeiten: eine Jazz-Gewerkschaft z. B., ein zweiflügeliges Jazz-Häuschen, wie auf einem Folder angedacht, oder gemeinsame Auftritte bei Subventionsgebern, doch auch da wird es gleich wieder zweistimmig: »Hin mit uns!«, sagt ein Junger. »Ich gehe nie mehr da hin!«, sagt ein Alter. »Aber wovon lebt ihr wirklich, ihr Jungen?!«

Home / Musik / Artikel

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
31.12.2011

Schlagwörter

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