Sinnthese © Estelle Schwentner
Sinnthese © Estelle Schwentner

Sünder, Synthesizer, Sinnstifter

Sinnthese spielt Tausend Takte Tanzmusik. In Wien und überall, jedenfalls auf Tour. skug stellt das Projekt vor.

Jakob Henneken heißt der Mann mit dem Atompilz auf dem Kopf. Aber das sagt er ungern. Zu bürgerlich, zu Hamburg. Also lieber: Sinnthese. Ein Name zwischen Philosophievorlesung und Duschvorhanggedanken. »Ich wollte Popmusik machen, die keine Figur als Projektionsfläche hat«, sagt er. Und trotzdem, er ist diese Figur. Mit diesem halbentrückten Blick, mit dem er durch Wien läuft, als wäre die Stadt ein permanentes Zitat aus sich selbst. Ottakring, Schönbrunner Straße, ein leerer Beichtstuhl voller Kabel.

Sinnthese macht Musik, die klingt, als würde sie gleich auseinanderfallen, es sich aber im letzten Moment anders überlegen. Synthesizer, die sich übersteuern wie ein schlechter Witz um drei Uhr morgens. Texte, die zu viel Adorno gelesen haben, um in der Feuilletonspalte noch als tanzbar besprochen zu werden. »Ich gehe schon mit dem Ansatz rein, nervige Musik zu machen«, sagt er, und man glaubt es ihm sofort. Denn wo andere Pop wollen, will er Unruhe. 

Sein Debütalbum heißt »Sünder und Sinnstifter«. Kein Titel, eher ein Augenrollen mit Sakralbeleuchtung. Man hört es und denkt: Endlich jemand, der die Rolltreppe als theologisches Symbol ernst nimmt. Religion ist für Sinnthese trotzdem kein Trost, sondern Material. »Gott ist tot – ich muss leider leben«, sagt eine Stimme am Ende des Albums, und irgendwo in Wien nickt Nietzsche im Grab, im Takt einer TR-606. 

Sinnthese ist ein Kindskopf der Neuen Deutschen Welle, ein Enkel von Felix Kubin, adoptiert von Der Plan, mit der pubertären Sehnsucht nach Dissonanz. Er spielt Korg MS-20, als wäre es ein Haustier. Loopt sich in Trance, murmelt in sein Handy, sammelt Sätze wie andere Leute Pfandbons: »Rolltreppe«, »Raststätte«, »Feinstaub«. Aus Alltagsmüll wird Poesie, aus Banalem wird Bekenntnis. Und immer dieses Gefühl, dass hier einer versucht, das Spirituelle im Supermarktregal zu finden.

Neu, deutsch, päng!

Seine Songs heißen wie Tankstellenromane, klingen aber wie eine Kunstausstellung, bei der sich jeder kennt. Er benutzt Sampling, YouTube-Schnipsel, Field-Recordings. Alles darf herein, solange es nicht »sauber« klingt. Vieles sei analog, sagt der Sinn. Aber sie sei da nicht so festgefahren, die These. In Wien hat er eine Veranstaltungsreihe mitgegründet: immer wieder sonntags. Ein Titel, der klingt wie Helene Fischer auf Valium, aber gemeint ist das Gegenteil. Experimentelle Musik, schräger Pop, DIY, keine Gagen, kein Glamour. »Uns haben die Orte gefehlt«, sagt Jakob und meint: »für mehr DIY und subkulturelles Punk-Selbstverständnis.« 

Und dann ist da noch Wien. Diese Stadt, die für ihn klingt wie ein alter Synthesizer mit Wackelkontakt. Hier studiert er an der mdw experimentelle Komposition. Umgeben von Leuten, die mit Oszillatoren und Existenzangst arbeiten. »Ich wollte raus aus Hamburg«, so Jakob. Hamburg, das war Ordnung, Struktur, protestantischer Pop. Wien ist dagegen: barock, katholisch, überdekoriert. Perfekt für jemanden, der aus Überforderung Kunst macht.

Man kann Sinnthese leicht missverstehen. Manche halten ihn für ironisch, andere für eine Erscheinung. Er selbst weiß es auch nicht. Zwischen »Sünder und Sinnstifter« bleibt jedenfalls der Sound: ein ständiges Aufbäumen gegen die Bedeutungslosigkeit. Pop als Selbsttherapie mit Störgeräuschen. »Ich nehme in meinem künstlerischen Prozess alles in mir auf«, sagt er, »und das kommt dann in einer Form wieder heraus.« Klingt nach Katharsis, meint aber wahrscheinlich: Kater.

Die Tour 2025 teilt sich Sinnthese stellenweise mit Die Anstalt, DIE FARCE DIE und Rouge Gorge. Kick-off war am 17. Oktober im Cafe Carina, ab 22. Oktober geht es über Deutschland, die Niederlande und Frankreich wieder zurück in die Wahlheimat Wien, nächstens am 5. Dezember 2025 im Flucc.

Sinnthese auf Tour © Jakob Henneken
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