Etliche Tonnen Tomaten, Trauben, Innereien und Blut waren im Einsatz bei Hermann Nitschs »6-Tages-Spiel«, dessen dritter Tag am Pfingstsonntag in Schloss Prinzendorf im Weinviertel aufgeführt wurde. Alle diese Zutaten waren diesmal farblich in Rotnuancen gehalten – und tränkten damit das Geschehen im Schlosshof in einen intensiven Farbklang. Nachdem die ersten beiden Tage des »Orgien-Mysterien-Theaters« im Juli 2022 aufgeführt wurden, kam es am 28. Mai 2023 zum Höhepunkt mit einem rauschenden Fest am »Tag des Dionysos«.
Hermann Nitschs »6-Tages-Spiel« ist ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne. Erst einmal, 1998, wurde es in Gesamtlänge gespielt, jetzt wird es in der zweiten Fassung ohne den Aktionisten, der 2022 verstorben ist, in mehreren Etappen wiederholt. Man könnte auch sagen, dass es sich dabei um eine riesige, intensive Multimedia-Live-Performance handelt: Involviert sind mehrere hundert Akteur*innen, alle in Weiß gekleidet – ein Weiß, das sich im Laufe des Tages in ein Rot verwandelt –, ein hundertköpfiges Orchester, dessen Musiker*innen alle schwarz angezogen sind, das Publikum, das ebenfalls Teil des Stücks ist, sowie die gesamte Crew, die für Essen, Trinken und Organisation zuständig ist.
Kontrollierter Aktionismus
Sie alle sind Teil der orgiastischen, gleichzeitig aber kontrollierten Aktionen, die entsprechend der Intention ihres Urhebers eine Preisung der Schöpfung und eine tiefe Seinserfahrung darstellen sollen. Während am Vormittag die Musik und die verschiedenen Klangwelten – neu dabei ist auch ein Chor – im Vordergrund stehen, geht es am Nachmittag mit Fleischaktionen »zur Sache«: Gegen 14:00 Uhr wird der im Ablauf vorgesehene tote Stier von einigen Akteur*innen in den Hof getragen und vor einer weißen Leinwand hochgezogen. Im anschließenden exzessiven Werfen mit und Wühlen in den verschiedenen Fleischmaterialen, den roten Früchten und den Innereien, werden nicht nur wirkliche Farbexzesse zelebriert, gefeiert wird vor allem auch das Werden und Vergehen des Lebens.
Bis Sonnenuntergang entstehen so immer wieder neue Bilder mit immer neuen Kreuzigungsaktionen, bei denen auch nackte Frauen und Männer – diese wiederum als Verkörperung des blinden Ödipus – involviert sind. Der mehrere hundert Kilo wiegende Stier wird schließlich auf einem Holzgerüst von dutzenden Helfern in einer feierlichen Prozession durch die Felder getragen. Nach dem Ernst des Geschehens findet der eher lustige Ausklang für alle mit einer tschechischen Blaskapelle, bei viel bacchantischem Wein und Weinviertler Essen in der alten Ortsmühle statt. Niemand interessiert sich da mehr für den toten Stier, der abgestellt auf seiner Trage geduldig wartet, bis er nachts im Fackellicht wieder zum Schloss zurückgeführt wird.