Auf Sonic Territories ist Verlass. Diverser denn je ist das für Aspern Seestadt konzipierte Festival im fünften Jahr seines Bestehens. Die Locations Aspern Nord/Notgalerie, Seepark, Eva-Maria-Mazzucco-Platz und Fabrik umkreisen beinahe den Asperner See und neue Programmideen zeigen ein weites Spektrum auf. So lädt etwa Zosia Holubowska zu nachmittäglichen Deep-Listening-Sessions und Hüma Utku schleust zur hauptabendlichen Primetime Archaisches in ihre abstrakten elektronischen Soundtexturen ein. Kuratorin Mimie Maggale gewährt im E-Mail-Interview Einblick in die vielfältigen Programmschienen.
skug: Offensichtlich hat der Ukraine-Krieg noch mehr als Corona als bedrohliches Faktum eingeschlagen, obwohl es weltweit viele Kriege mehr gibt, die gegenwärtig stattfinden, etwa der völkerrechtswidrige Angriff von Erdogans Armee auf Teile des kurdischen Nordiraks, wo beispielsweise Jesiden bereits das zweite Mal ermordet und vertrieben werden. Jedenfalls ist das diesjährige Festivalmotto »Soundness« eine direkte Antwort auf das Unfassbare, das leider eingetreten ist. »Soundness« heißt ins Deutsche übersetzt Klanglichkeit, bedeutet aber auch Stabilität sowie Sicherheit. Soll damit eurem jungen Publikum positives Denken vermittelt und Angst genommen werden?
Mimie Maggale: Die derzeitige politische Lage in Europa und der Welt lässt wenig Raum für Hoffnung auf friedvollere Zeiten. Ich glaube nicht, dass ein Festival für Sound Art in der Seestadt unmittelbar Ängste nehmen kann, aber ich hoffe doch, dass vermehrte gemeinschaftliche Erfahrungen wieder zu mehr Zusammenhalt führen können. Das brauchen wir nach immerhin zwei Jahren, in denen soziale Zusammenkünfte unheimlich erschwert waren und bei vielen auch seelische Spuren hinterlassen haben.
Music is a healing force. Immerhin. Deswegen bitte noch Näheres zur Ostblock-Soundcompilation »We Stand with Ukraine«. Wird es eine Präsentation geben, wer sind die Initiatoren usw.
Ich habe Conny Zenk von RAD Performance eingeladen, einen ihrer wunderbaren Soundrides im Rahmen des Festivals zu organisieren, und es war uns beiden ein Anliegen, auf diesem Weg ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine zu setzen. Für den STF RAD Performance-Soundride erstellt die rumänische DJ und Klangkünstlerin Opal Opal einen Mix, der die mit der Compilation »We Stand with Ukraine« begonnene Arbeit weiter unterstützten soll. »We Stand with Ukraine« wurde auf Eastbloc Sound veröffentlicht, einem Community-basierten Label für und von Artists aus der »Ostblock«-Region und ihrer Diaspora. Auch werden beim Soundride Spenden für Hilfsorganisationen gesammelt, die von Eastbloc Sound unterstützt werden.
Die heurigen Hauptkooperationspartner*innen sind Stephanie Winter vom Salon Hybrid und das WOW! Signal Festival von Jakob Schauer. Für welche Sounds/Haltung stehen beide und welche Programmpunkte werden jeweils eingebracht?
Stephanie Winter mit Salon Hybrid und Gästen laden auf dem Areal der Notgalerie zu Workshops und Talks im Rahmen des Vibrant Matter Lab ein. Diese Form der Zusammenarbeit ist ein Ansatz, das STF vom Feld der Musik hin zu performativen und diskursiven Formaten zu erweitern. Das Vibrant Matter Lab verfolgt den Ansatz, dass jede Materie als aktiv handelnd anzusehen ist und somit keine klaren Grenzen zwischen Mensch und Umwelt existieren, sondern wir vielmehr mit unserem Umfeld und umgebenden Dingen verknüpft sind. Das STF hostet heuer erstmalig das WOW! Signal Festival. Das ist wohl noch nicht so oft vorgekommen, dass ein Festival ein anderes hostet. Jakob Schauer, der künstlerische Leiter und Kurator, legt das Augenmerk seines Abends auf die Verbindung von audiovisueller Kunst und experimenteller Musik. Er stellt spannende Künstler*innen und deren Projekte vor, wie Marie Vermont mit »Outer Allmende« oder Susanne Gartmayer und Brigitte Bödenauer mit »Black Burst Sound Generator«. Auch das ist als Weiterentwicklung des STF zu verstehen.
Großartig verspricht auch das Sounds Queer? Kollektiv zu werden. Zosia Holubowska hat 2021 mit ihrem Sonic-Territories-Gastspiel »Siemieniec« zutiefst beeindruckt und leitet diesen kleinen Schwerpunkt heuer. Was ist ihre Intention bzw. welche Künstler*innen können außer dem schwer zu empfehlenden Pauline-Oliveros-Tribute hervorgehoben werden?
Deep Listening ist eine Praxis, die aus Übungen, Meditationen, Text und Kompositionen des Hörens und Zuhörens besteht. Zosia Holubowska wird an zwei Nachmittagen jeweils eine Session leiten. Es geht darum, alle unsere Sinne und Gedanken, das Körperliche und Geistige in das Hören miteinzubeziehen. Es wird bestimmt ein schönes Erlebnis sein, in der noch unbebauten Fläche der Seestadt diese Übungen durchzuführen. Dank Zosia Holubowska bin ich auf Daphne X aufmerksam geworden. Sie untersucht in ihrer partizipativen Soundperformance »Invoking Angels« das Seelenleben von Steinen. Es wird ein sehr nahes und berührendes Erlebnis. Darüber hinaus freue ich mich heuer auch, das Community Radio Res.Radio mit DJ-Sets in unserer diesjährigen Festival-Lounge am Mazzucco-Platz begrüßen zu dürfen.
Das Einbinden von Partner*innen gewährt ein äußerst vielfältiges Programm. Was wird das Medienkunstkollektiv Hand mit Auge beitragen? Und sind Conny Zenks RAD Performance und der Soundride mit Opal Opal eine kleine Antwort auf die ewig gestrige Lokalpolitik in Sachen Lobau-Stadtautobahn?
Mit dem Medienkunstkollektiv Hand mit Auge (künstlerische Leitung Jakob Hütter), das mit seinen Projektionen zur zumindest visuell eindrucksvollen Eröffnung der Wiener Festwochen beigetragen hat, war unter anderem eine Live-AV-Projektion auf das HoHo (Europas erstes Holzhochhaus) in Zusammenarbeit mit unter anderem ukrainischen Künstler*innen angedacht. Bedauerlicherweise konnte dieses Projekt nicht umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wurde sogar der Mehrwert von Kunst- und Kulturprojekten in der Seestadt in Frage gestellt. Leider haben wir dadurch auch Sponsor*innen verloren, die das Projekt gerne unterstützt hätten. Erhalten geblieben ist aus der Kooperation der Ausstellungsteil des STF. Jakob Hütter hat hierfür spannende Medienkünstler*innen ausgesucht: Tina Kults Videoinstallation »Pampa«, Soundinstallationen von Manuel Cyrill Bachinger und Sebastian Pfeifhofer und eine Augmented-Reality-Arbeit von Patryck Senwicki. Klimentina Li präsentiert auf meine Einladung hin eine partizipative VR- und AR-Skulptur: »Skins« – ein Projekt, das nächstes Jahr weiterentwickelt werden soll.
In punkto Lokalpolitik möchte ich gern erwähnen: Wir erleben von der Stadt Wien Kulturabteilung, vom Bund und natürlich vom Bezirk bzw. in Person des Donaustadt.Kultur Vorsitzenden Herrn Christian Stromberger sowie der dort ansässigen Wien 3420 AG (Stadtteilmanagement) große Unterstützung für und Interesse an der Umsetzung des Festivals. Wir sind aber auch bloß Gäste in der Seestadt und das merkt man, wenn man über die Verlängerung von Sperrzeiten oder Lautstärkepegel redet. Das ist heuer wieder ein sensibles Thema. Der Soundride ist hier also keine Antwort auf die Lobau-Stadtautobahn, sondern vielmehr ein Ausdruck der Forderung nach mehr Freiheit und Freiräumen für Kunst und Kultur im öffentlichen und urbanen Raum.
Zum Schluss noch die Frage, warum heuer auf den Sound Parcours verzichtet wird, und nach Favourite Acts im Hauptabendprogramm in altbewährter Location?
Heuer kommt es leider aus organisatorischen Gründen nicht zur Umsetzung eines Sound Parcours wie bisher. Dafür freue ich mich, dass wir eine in Auftrag gegebene Soundinstallation von Richard Eigner, der die letzten beiden Jahre den Sound Parcours am Festival kuratiert und mit Studierenden der Universität für Angewandte Kunst umgesetzt hat, am Eva-Maria-Mazzucco-Platz präsentieren werden. Anstelle des Sound Parcours erkunden wir heuer mit anderen Mitteln den öffentlichen Raum rund um den See: ein mobiles Soundsystem mit Sounds von Any Kind of Rave und dem Kollektiv Ausgefinkelt. Bestimmt wird auch die Elektro Yoga Session von Seba Kayan auf der Seepark Wiese ein anziehender Programmpunkt. Wir wollten heuer an einem Programm »rund« um den See arbeiten und wer sich die verschiedenen Standorte – Aspern Nord/Notgalerie – Seepark – Eva-Maria-Mazzucco-Platz – Fabrik auf der Karte anschaut, wir entdecken, dass wir es wirklich nahezu hinbekommen.
In dem von mir gestalteten Hauptabendprogramm in der Fabrik präsentiere ich diesmal internationale Acts, auf die ich mich schon lange freue: den tiefgründigen Aho Ssan aus Frankreich, feinsinnige Klänge von Kate Carr aus London und vor allem die eindringliche Soundwelt der in Berlin lebenden türkischen Elektronikerin Hüma Utku. Sie kreiert düstere und beeindruckende Soundflächen und präsentiert bei uns ihr neues Album »The Psychologist« (Editions Mego). Es ist sehr besonders für uns, dass wir nach zwei Jahren wieder internationale Gäste im Musikprogramm begrüßen dürfen. Ich freue mich aber auch, junge Talente aus der lokalen Musikszene vorstellen zu dürfen: Yuzu, Kenji Araki und vor allem Julia Just, die wir im letzten Jahr dank des Open Calls zum Sound Parcours kennen gelernt haben und die nun ihr Debüt im Rahmen des Festivals geben wird.