Van Dyke Parks, Foto © Henry Diltz
Van Dyke Parks, Foto © Henry Diltz

»Songs Cycled« – Das wasserfarbene Album von Van Dyke Parks

Es sind nun 45 Jahre herum, seit mit »Song Cycle« ein hochinspiriertes, kunstvernarrtes, knallwattiertes, zuckerclusternes Wundertatütata auf die Welt kam, das Warner Brothers einfach verschenken ließ. Anders wusste man sich des vermeintlich unverkäuflichen Debüts von Van Dyke Parks nicht zu entledigen.

Was auch immer es bedeuten mochte, wenn es dreieinhalb Dekaden später, im Jahre 2005, die Autoren des britischen Herrenmagazins Gentlemen’s Quarterly zum »coolsten Album aller Zeiten« wählten – seine Musik braucht viel Zeit! »Nowadays a Yankee dread not take his time to wend to sea« wiederholt Parks nun in dem Song »The All Golden«, wiederholt sich selber in diesem Thema von damals – der Meister schickt seine Hörer zum Nachsitzen. Und knüpft an die Vergangenheit an, um in parallel verlaufenden Linien zu einer poetischen Kontinuität zu finden, alle Linien zu bündeln wie man Heuballen oder Baumwolle bündelt, daraus Segel zu weben und Klangschiffe auf die Welt zu schicken: »Songs Cycled« ist ein ozeanisches Album, Van Dyke Parks‘ Wassermusik. Die Seewege und das fluide Element tragen wie ein Leitmotiv das Werk, das an Zutaten randvoll wie ein Füllhorn den Hörer ob der Flut an Information, die über ihn schwappt, zunächst einmal wieder mächtig fordert und manchmal schnell den Kopf einziehen lässt. Ûberbordend voll wie die Prestige, jener Unglückstanker, der 2002 nahe der spanischen Atlantikküste havarierte, in zwei Teile brach und eine Ölpest verursachte. Der Song »Black Gold« behandelt diese Katastrophe in der Manier einer Novecento-Moritat, gerät unter den Händen des Hollywood-Komponisten selbst zu einem Ölfilm. Wenn Parks darauf mit dem Stück »Aquarium« die Ölfassmusik einer alten Aufnahme der Esso Trinidad Tripoli Steel Band folgen lässt, und dabei lediglich in der Rolle des Produzenten firmiert, dann dient ihm der in Wasser und Öl getränkte Garn in erster Linie um Geschichten in Relation zu setzen und als eine zweiteilige oder zweigeteilte Geschichte zu erklären. So auch in »Wall Street« vs »Money Is King«: die eine Seite klingt wie ein beschwingtes Broadway Musical, um doch subtil von dem Alptraumtag 9/11 aus der Sicht eines Brokers zu erzählen, während sich die heuchlerische Kehrseite der Wall Street aus der Sicht eines Arbeiters aus Trinidad in »Money Is King«, dem bekanntesten Calypso von Neville Marcano, genannt The Growling Tiger, erklärt: »If you have money to buy in a store, you can pay the bill whenever you like, but if you are poor, the people tell you shoo and a dog is better than you.«

Das Bastardprinzip

SongsCycled_cover_1010x1024.jpgAls ginge es um die Suche nach Verbindungen, werden Gegenstücke aneinandergehalten und bilden Songpaare, die vorab über die Dauer der letzten zwei Jahre allesamt als Singles veröffentlicht worden waren. »Songs Cycled« ist wie eine Hochzeitsreise für diese Singles, die vereint einen rundumschlagenden Kontext ergeben. Innerhalb der Zweiteiler öffnen sich immer noch weitere Türen, führen auf den eigentlichen Grund, der Van Dyke Parks auf seiner Reise interessiert: das Bastard Prinzip. Privilegierte Hochkultur und Populärmusik der armen Leute gehören hier unweigerlich zusammen. So steckt etwa in »Aquarium« auch der »Karneval der Tiere« von Camille Saint Saens und verweist gleichsam wie »Money Is King« auf Parks‘ fantastische Calypso-Studie »Discover America« von 1972. Der Blick von außen untrennbar mit dem Blick von innen verbunden. Der Blick von Hollywood aus als ein kulturell kolonisierender, der gleichsam die Musik der Südmeere absorbiert und in den amerikanischen Kanon integriert. Musique trouvé, die Parks wie ein Musikhistoriker vorstellt. Geistermusik aus alter Zeit, der Parks sich ebenso leidenschaftlich verpflichtet fühlt, wie er schon eh und je den diesseitigen Kollegen die Ehre zu erweisen pflegt.
Gewiss könnten Gegenstücke radikaler und in einem härter ausformulierten Kontrast gesucht werden, aber Musik, die nach seinem eigenen Geburtsdatum im Jahre 1943 auf die Welt kam, scheint für den sensiblen Südstaatler keine große Rolle mehr gespielt zu haben. So klingt das Parksche Western-von-gestern-Orchester wie aus früheren Zeiten nach Tin Pan Alley und Hollywood Plusultra. Nach Carnival in der Django-Mandingo-Villa, mit dem Wissen, dass der schwüle Mississippi gleich ums Eck von Hattiesburg in den Golfstrom mündet, und dort, so scheint sich die Musik in »Missin‘ Missippi« erinnern zu wollen, treiben die Geschichten immer noch auf dem Wasserrad der Dampfschiffe stromaufwärts.
Wären nur nicht immer diese Katastrophen.

Ein Buch voll Musik als Vermächtnis

Screenshot2011_05_10at102019AM.pngDas traditionelle »Wedding in Madagascar« geht über in ein »Dreaming of Paris«, reist zurück in die eigene Vergangenheit und erinnert an die erste Begegnung zwischen Mr und Mrs Parks, dort in Paris, wohin die Dame auf dem Seeweg mit einem Frachter über den Umweg Casablanca gelangt war – angeblich soll sie ein Filmplakat von »Casablanca« damals auf diese romantische Idee gebracht haben. Nachzulesen in dem opulenten Booklet, für das Parks befreundete und zudem renommierte Visual Artists versammelt hat. Zu den Songs finden sich darin Bilder und Anekdoten von Ed Ruscha, Klaus Voormann, Billy Edd Wheeler oder Art Spiegelman, und zumindest zwei der eben Genannten kommen in ihren Erinnerungen explizit auf den Begriff »Bastard« zu sprechen. Allein die seitenlange autobiographische Reise von Stanley Dorfman erhebt das Album in den Status eines Buchbandes, lesenswert sind die Geschichten der Künstlerfreunde allesamt. »Songs Cycled« ist also Musikalbum, Ausstellungskatalog und Buch. Mag darin auch ein stoischer Verweis auf das Wiederkehren der Motive wie das Nichtaufhören-der-Kriege zu finden sein, so vermag es doch eine inspirierende und feierlich stimmende Wirkung zu entfalten. Van Dyke Parks wird sein Satori schon vor längerer Zeit gefunden haben, möglicherweise schon 1943 – hier scheint er es der Welt vermacht zu haben.

VAN DYKE PARKS: »Songs Cycled« (Bella Union)

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