Marianne Ihlen und Leonard Cohen trafen sich in den frühen 1960er-Jahren auf der griechischen Insel Hyrda, die gerade in dieser Zeit einen magnetischen Anziehungspunkt für die »Hippie-Boheme« darstellte und so viele brillante Köpfe miteinander verband. Ihlen, ursprünglich aus Norwegen kommend, durchlebt hier noch die letzten Momente ihrer ersten Ehe, aus der auch ihr erster Sohn »Little Axel« entstammt. Cohen, damals noch aufstrebender Schriftsteller, sucht in dem Künstler*innenexil nach Inspiration und womöglich gleichfalls nach sich selbst. Die beiden finden sich und werden ein Paar. Die eigentlich nur 8-jährige »richtige Beziehung« erstreckt sich schlussendlich doch über ein ganzes Leben, bis zu dem Zeitpunkt, in dem die beiden sich 2016 nur drei Monate voneinander entfernt »down the road« begeben.
Die Muse und der Poet
Es ist sehr verständlich, warum der alte Topos der »Muse« und des Poeten als Sinnbild dieser Beziehung aus heutiger Perspektive altbacken erscheint. Marianne Ihlen könnte in diesem Licht zu einseitig dargestellt sein, speziell im Kontrast zu Cohen, der vielmehr die klischeehafte 1960er/1970er-Jahre-Musikkarriere verfolgte und den verträumten und doch erfahrungshungrigen Künstler stilisiert. Es ist schwierig, das jetzt in großflächiger Recherche zu überprüfen. Ihlen entschloss sich nach vielen Jahren auf Hydra, zurück nach Norwegen zu gehen und ein »ordinary life« zu leben. Wenn man dem Film vielleicht etwas ankreiden kann, dann ist es wohl, dass die interviewten Personen diese Entscheidung Mariannes, die über Jahre wirklich auch mit viel Engagement ihrerseits versuchte, dem Boheme-Leben Cohens nachzukommen, wie eine Art Rückschritt beschreiben.
»Womanizer« Cohen auf der anderen Seite war stetig »verloren« und suchte sich doch immer wieder neu, was in den 1990er-Jahren auch zu seinem »spiritual turn« führte, der ihn für sechs Jahre in ein buddhistisches Kloster verschlug. Nach seinem letzten Roman »Beautiful Losers«, der Mitte der 1960er-Jahre erschien und aufgrund seiner stark verworrenen und auch drogeninduzierten Sprache von Kritiker*innen als »verbal masturbation« zerrissen wurde, kam Cohen zur Musik. Der rasante Erfolg, der dem jungen Musiker zukam, konterkarierte stark seinen einsiedlerischen und »dunklen« Grundtenor. Immer wieder verschlug es Cohen in dieser Anfangszeit ins Exil nach Hydra.
»On acid«
Es ist absolut verständlich, warum Marianne, die stetig zwischen den USA, England und Hydra pendelte, im Endeffekt einen Schlussstrich zog und diesem Leben den Rücken kehrte. Was der Film sehr schön ans Licht bringt, sind die Schattenseiten, die sich hinter den plakativen »Hippie-Parolen« dieser Zeit versteckten. Etwa die Entwicklung von Mariannes Sohn »Little Axel«, der in einem Umfeld an Erwachsenen aufwuchs, die in LSD-induzierten Trips stetig auf der Reise zu sich selbst waren und immer nur mehr erfahren wollten, anstatt wirklich nach einem Boden zu suchen.
Ebenso wird bei Cohen, der laut Angaben eines Musikerkollegen auf einer Tour an 20 von 23 Tagen »on acid« war, durch den Film bewusst, dass seine »Suche«, wie die seiner ganzen Generation, oftmals ins Leere lief. Umso mehr ist die Sequenz des Films berührend, wenn auch amüsant, in der Cohen nach seiner buddhistischen »Erfahrung« über das Konzept von Liebe als von der einen großen Antwort spricht. Ebenso ist es interessant, dass gerade seine letzten Alben, die in vielen Tracks so spiritistisch angehaucht sind, ihm den größten Erfolg brachten. So als wäre diese Generation seiner Reise zur »Antwort« gefolgt.
»Your fine spider web is fastening my ankle to a stone«
Was stören mag, ist, wie Marianne in ihrer Rolle als »Muse« ein kleines bisschen in die Richtung eines »Auffangbeckens« für den schwermütigen Poeten Cohen charakterisiert wird. Selbst wenn Regisseur Nick Broomfield im Film erklärt, dass der Begriff »Muse« vielleicht etwas falsch verstanden werden könnte, aber gleichermaßen so gut passe, rationalisiert das dennoch nicht die negativ-passive Konnotation des Begriffs weg. Cohens Biographin spricht über Ihlens besondere Ausstrahlung sehr viel zwangloser: »She really listened to you, when you talked. Not a lot of people do that. Most people, when they talk, they just wait until they can say their next line«.
Und es ist gerade das, was Marianne zu dem wirklichen verwurzelnden Faktor in Cohens und ihrer Beziehung zu machen schien. Gerade die Fähigkeit, den Boden zu geben, auf dem etwas Wurzeln schlagen kann, während alle anderen ins Ungewisse suchten. Ohne dabei gleichermaßen zu unterschlagen, dass Ihlen nicht ebenso auf der Suche war, nur sie hob dabei nicht ab. Und es ist kein Wunder, dass solche »gravitational figures«, wie Ihlen beschrieben werden könnte, hauptsächlich Frauen waren, wie man ja schon aus früheren Biographien wie etwa Lou-Andreas Salomés (wunderschön zu sehen in Cordula Kablitz-Posts Film »Lou«) oder Camille Claudels (nachzulesen in Anna Delbées Buch »Der Kuss«) weiß. So schön die Narrative von »sex, drugs and rock’n’roll« doch auch klingen mögen, so war eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter in den 1960er-Jahren doch nur temporär durch den Schleier »freier Liebe« verklärt, aber noch lang nicht festgeschrieben.
Es ist Nick Broomfield dennoch anzurechnen, dass er versucht, der anfangs tatsächlichen, später platonischen Liebegeschichte der beiden so aufrichtig wie möglich nachzukommen. Dabei komponiert er außerdem einen schön getakteten Musikfilm, der nicht nur Leonard-Cohen-Liebhaber*innen mitreißen wird.
»Marianne & Leonard: Words of Love« ist bei der Viennale noch einmal am 6. November um 15:30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen. Regulärer österreichischer Kinostart ist der 7. November 2019, Cohens dritter Todestag.
Link: https://www.viennale.at/de/film/marianne-leonard-words-love