© Valerie Logar
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Sloweninnen in Alexandria: Die bittere See

Tausende slowenische Frauen zogen von 1850 bis 1950 vom Hafen Triest aus nach Alexandria, um dort als Milchfrauen zu arbeiten. Das Buch »Südwind/Južni Veter« und das Theaterstück »Aleksandrinke. Frauen im Aufbruch/Ženške na Prelomnici« berichten von ihrem Verbleib. Auf sehr unterschiedliche Weise.

Der Bus fährt rasant durch die Kurven und die Dunkelheit. Einige Flüchtlinge steigen mitten im Niemandsland aus. Im eiskalten Kärntner Eisenkappel ist dann ein Gasthaus geöffnet und der Saal neben der Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Hier kommt heute Abend das Theaterstück »Aleksandrinke. Frauen im Aufbruch/Ženske na Prelomnici« des Kollektivs Frauenwerk zur Aufführung. Weil Bruna kein Geld mehr schicken kann, kommt das Haus unter den Hammer. »Wie hätte ich denn Geld schicken sollen? Alle Schiffe von Alexandria nach Triest waren gekappt«, verteidigt sie sich. Brunas Baby war erst fünf Monate alt, als die Slowenin es zuhause zurückließ, um in Ägypten einem anderen Baby ihre Milch zu schenken. Der neue, sieben Monate alte Junge war »neugierig wie ein kleiner Bär«. 

In dem zweisprachigen Theaterstück wird eine in Österreich bisher wenig bekannte Migrationsgeschichte thematisiert: Tausende slowenische Frauen wanderten zwischen 1850 und 1950 nach Alexandria aus, um dort zu arbeiten. Und zwar Frauen sowohl aus der Region nahe des Hafens Triest als auch bis hinauf nach Südkärnten. Diese »Milchmütter« oder Ammen standen vor einem riesigen Dilemma: »Wie sehr sie ihre Kinder vermissten!« Aber auch vor simpler Liebe, egal zu welchem Kind: »Wem wir unsere Milch anbieten, den schließen wir in unser Herz ein.« Zitat aus dem Theaterstück: »Das Kind verfolgte mich wie ein kleiner Schatten. Mein Mann wollte unbedingt einen neuen Weinberg kaufen.«

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Die Menschenfresser

»Aleksandrinke« gründet sich auf das Buch »Südwind/Južni veter« des bekannten slowenischen Schriftstellers Marjan Tomšič. Die deutsche Übersetzung erschien 2006. Doch die Vorlage zeigt gewisse Tücken. In der Literarisierung der recherchierten Schicksale spiegeln sich doch einige Stereotype des Autors. Zum Beispiel, dass er Olgica, die vom Hausherren persönlich unter Druck gesetzt wird, im »Club for Men« nackt zu tanzen, erotische Gefühle unterstellt. Quasi gegen ihren eigenen Willen – ein Klischee, so alt wie das »älteste Gewerbe« selbst. 

Andere Probleme bringt die literarische, »literarisierte« Sprache mit sich. Ein Beispiel: »Die Menschenfresser werden mir die Kleider vom Leib nagen wie die Krokodile. Weil ich nicht auf meine Tante Minka gehört habe.« Diese angeblichen Menschenfresser in Ägypten! Wie die Krokodile! Noch schlimmer wird es, wenn die vom Schriftsteller imaginierte »blumige« Sprache von »schleimigen« Orientalen als Stilmittel für die Darstellung sexualisierter Gewalt dient, denn nicht wenige Milchfrauen landeten schlussendlich in der Zwangsprostitution. »In Wahrheit waren es internationale Familien, die wegen des Handels durch den Suezkanal in Ägypten lebten. Die Schauspielerinnen, die das Stück mit erarbeiteten, wollten auch Italienisch und Französisch in das Stück einbauen«, erklärt Regisseurin Imke Logar-Thiessen dazu. Sprich, die Täter waren internationaler Herkunft, wie Italiener oder Franzosen und eben nicht alle Ägypter. Sie wollte mit dem Stück eine Historikerin oder einen Historiker zu weiterer, notwendiger Forschung anregen.

Autor Marjan Tomšič, 1939 in Maribor geboren, war Journalist in Koper und schrieb anfangs Science Fiction, sogenannte »literarische Psychofantastik«, wie im Buch steht. Ihm ging es in seinen Erzählungen »um die archaische, magische Welt, in der die Menschen noch glauben und gläubig sind«. Vor den Milchfrauen, »die auf einem Dampfer in die Welt zogen«, schrieb Tomšič über die sogenannten »Eierfrauen«, die »Schaurinia«, die nach Triest fuhren, um ihre Eier zu verkaufen.

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Hunger als Sünde

»Wir haben die Trigger-Warnung vergessen!«, ruft die Regisseurin mehrmals nach dem Stück. Es hätte aber auch nicht viel genutzt. Eine Szene zeigt zum Beispiel ziemlich explizit, wie eine Milchfrau vom Hausherrn vergewaltigt wird, um Kinder zu erzeugen, da die Ehefrau unfruchtbar sei. Die zum Teil sehr katholisch erzogenen Sloweninnen waren mit den extremen Situationen überfordert. »Hunger war meine einzige Sünde«, heißt es einmal, oder »Gott ist eine Fata Morgana«. Die Nonnen des Karmeliterklosters in Alexandria nahmen zum Teil verzweifelte Frauen auf, andere Geflüchtete hingegen nicht, weil sie wegen angeblichen Diebstahls aus den Familien verscheucht worden waren. Ohne Geld für ein Schiffsticket nach Triest landeten diese dann auf der Straße oder auch in den Kanälen! Die Männer sind im Stück große selbstgebaute Puppen, die viel gruseliger als echte Männer wirken, wenn sie auf den Frauen herumkrabbeln. »Bin ich froh, dass ich meine Männerpuppe nun endlich los bin«, freut sich eine der großartigen Schauspielerinnen vom Kollektiv Frauenwerk nach dem Stück und schüttelt sich richtig. »Ich konnte es schon nicht mehr aushalten, ihn bei mir zuhause zu haben!«

Die slowenischen Arbeitsmigrantinnen lebten mitten im Weltgeschehen. Bruna stirbt bei einem Schiffsunglück, ihre Handtasche wird angespült und ihrem Sohn übergeben. »Krieg wütete daheim und Krieg auch hier«, berichtet eine andere. »Dann kam der Krieg, statt zwei Jahre blieb sie elf Jahre!« Am bittersten wird das Schicksal von Anita dargestellt, sie versuchte ohne Pass nach Triest zu kommen und die Matrosen verwiesen sie des Schiffes. »Anita hat sich mit Petroleum übergossen.« Pause. »Bis zum Schluss hat sie an die unbefleckte Empfängnis geglaubt.« Es gab aber auch Milchfrauen, die sich lebenslustig und »leichtfertig« zeigten, mit viel Geld heimkehrten und sich in Triest ein Haus kauften. Eine Frau wechselte, nachdem ihre »Seele geschändet« worden war, die Dienststelle und wollte dann nicht mehr täglich vom Minarett springen. Es bleibt die große Frage, inwieweit Autor Tomšič die sexuelle Ausbeutung der Frauen überbetonte und sogar noch zusätzlich imaginierte. Oder ob Alexandria eher einen willkommenen Fluchtpunkt, einen Sehnsuchtsort darstellte, mithilfe dessen Frauen ihre Familien erhalten konnten.

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