Willkommen in Schamonihausen zu München, wo es »alle Jahre wieder« eine »Schonzeit für Füchse« gibt und es dennoch bei einem »Quartett im Bett« böse enden wird. Von Schamonis Filmtiteln umgeben, sitze ich dort an einer haselnussigen Kücheneckbank Sebastian Schnitzenbaumer gegenüber, dem einzigen Nachfahren von Peter Schamoni, und fange solche Sätze von ihm auf: »Vielleicht ist es barock, vielleicht ist es Eskapismus. Auf diesen Todesstreifen aus Politik und Selbstkontrolle, den andere im Antipop so pflegen, auf den gehen wir jedenfalls gar nicht. Wir spielen unser Spiel.« Sein Vater hatte 1962 das Oberhausener Manifest mitunterzeichnet, und von da ab filmend, fördernd und finanzierend an dessen Umsetzung zu arbeiten begonnen. Eine besondere Leidenschaft hatte seinen liebevollen Künstlerportraits gegolten, »Hundertwassers Regentag« war 1973 für einen Oscar nominiert worden. Wie wichtig Peter Schamoni die Künstlerfreundschaften waren, wird bei einem Gang durch die unscheinbare Betonburg sichtbar: Niki de Saint Phalle, Botero oder Max Ernst hinterließen Spuren und Grüße in Schamonihausen. Den Hintergrund für die traditionsreiche Filmfamilie hatte er dabei stets auszuleuchten gewusst; auch das unabhängige Filmschaffen seiner jüngeren Brüder Ulrich und Thomas war erst durch die »Papas Kino ist tot«-Zäsur von Oberhausen möglich geworden. Nach seinem Tod im Juni 2011 warteten dann in den heiligen Hallen Unmengen an Material auf Peter Schamonis Sohn. Und das Reich der Erinnerungen hielt so manche Ûberraschung bereit.
Inside Schamonis Schattenreich
So zum Beispiel einen Karton mit etlichen Exemplaren einer Single namens »Sehnsucht nach Allem«, interpretiert von einer Dame, die sich Joy Rider nannte, getextet von Dieter Meier – the voice of Yello. Als Schnitzenbaumer dann noch den Karton mit dem alten Promomaterial zu »Jetzt und Alles« fand, dem ersten Spielfilm, in dem Meier Regie geführt hatte, erschloss sich ihm erst langsam, dass sein Vater auch an diesem Film gearbeitet hatte. Der nicht ganz glücklich verlaufene Dreh war nur nie offiziell als Schamoni- Produktion gelistet worden. Schnitzenbaumer griff von dieser Kücheneckbank aus zum Hörer und telefonierte wahrscheinlich exakt vom selben Platz aus mit Dieter Meier, von dem dreißig Jahre zuvor sein Vater schon nach Zürich telefoniert hatte. Der in Vergessenheit geratene Film um Richy Müller als Sänger einer Berliner New Wave Band darf nun überarbeitet auf die Welt kommen. Und neben der neu gefundenen Rolle als Schamoni Junior gab es auch einen persönlichen Impuls, der ihn motivierte, Dieter Meier eine Carte Blanche für einen Director’s Cut auszustellen: die Empathie, die unter Spielern herrscht.
Mozquito Technologies
Den Spieltrieb eines Dieter Meier, aber auch die Mentalität seines Protagonisten, kennt Schnitzenbaumer allzu gut. Die Flucht vor dem Morgen, die Suche nach dem Thrill, der lauten kann, sich dem Risiko zu scheitern und zu verlieren auszusetzen. Der Filmsätze sagen lässt wie: »Ist der Kaugummi ausgelutscht, spucke ich ihn aus.« Das Leben auf der Schnellspur, die Sehnsucht nach Allem – Schnitzenbaumer kostete bereits zu Schulzeiten davon, als er die Möglichkeiten des Internets erforschte und in dessen Ausbau mit einsteig. Alles umzukrempeln und die Strukturen zu schaffen, die die Welt von den alten Hierarchien befreien sollten, darum ging es damals. Mitte der 1990er Jahre, als noch die wenigsten Leute wussten, wie man eine E-Mail versendet. Mit zwanzig hatte der Münchner dann als Jüngster der Branche ein millionenschweres Netzwerk an Mitarbeitern aufgebaut, war mit seiner Firma Mozquito Technologies ins innerste Gremium des World Wide Web Consortium vorgedrungen. Silicon Valley, und dann die ganze Welt! Grenzen sollte es keine mehr geben. Ebenso schnell wie der Erfolg gekommen war, ging es rapide bergab: Konkurs nach der Jahrtausendwende, Ernüchterung über die vernetzte Welt, ewige Feindschaft zu Microsoft. Der Sohn von Peter Schamoni zu sein, davon erfuhr Sebastian Schnitzenbaumer erst vor ein paar Jahren.
Vor diesem Hintergrund ist es allemal interessant, welchen Weg die Archivarbeit von Konrad Hirsch, der schon als Mitarbeiter von Peter Schamoni tätig war, und die von Schnitzenbaumer gegründete Musikabteilung der Schamoni Film & Medien GmbH einschlagen. Wenn in den 1990ern einen Schritt weiter zu sein als der Mainstream bedeutet hatte, im Internet alles zu verknüpfen, was nur geht, dann kann man Schnitzenbaumers jetzige Haltung schon als Bekenntnis zur Hardware deuten. Das Internet sei ein langweiliger Ort geworden, so Schnitzenbaumer. »Der Thrill ist raus.« Neue Strukturen müssen entstehen. Disconnection together. Raus aus dem Netz, rein in den Underground.
Filmmusik postum
Also Materialismus und Entschleunigung? In Schamonihausen bekommt man schnell den Eindruck, hier wird so langfristig, gelassen und entspannt in die Zukunft geschaut wie sonst nirgendwo auf der Welt. Odermit der Vergangenheit in die Zukunft. Das geht los mit der Leidenschaft für Kassetten und dem ersten Vinyl-Release des Labels. Unterdem Künstlernamen BELP veröffentlichen Sebastian Schnitzenbaumer und Dennis Gross, die seit Jahren schon als Der Gelbe Raum gemeinsam Musik spielen, eine auf Tape produzierte Filmmusik zu einem nie realisierten Schamoni-Projekt, die nun als 10″-Platte gepresst wurde. Die Idee von Peter Schamoni war damals gewesen, Kaiser Barbarossa rund achthundert Jahre nach seinem Tod in den 1970ern auf die Erde zurückzuschicken, um ihn zunächst in Mexiko, Kalifornien und den Philippinen als medialen Superstar zu inszenieren, ihn dabei in dunkle Machenschaften zu verwickeln und schließlich als tragische Figur und Herrscher der Halbwelt enden zu lassen. Nur Drehbuch und erste Dreharbeiten an diversen Schauplätzen blieben davon übrig.
Die Musik auf »Aquascalentes«, so der Albumtitel, kommt ausschließlich von einem 1970er- Jahre-Analogsynthesizer und präsentiert sich wie ein Raumschiff, das einem durch den Körper fährt. Musik als körperlich erfahrbare Rauminstallation – wir hören das HiFi-Testbild, und es ist mehr als psychedelisch, es ist ein organischer Eingriff. Eine Klangbrücke, die stellenweise an einen Soundtrack von Cliff Martinez für einen nie gedrehten Film von Nicholas Winding Refn denken lässt. Sinuswellen, die einen beeindruckenden Tiefensog erzeugen.
Ungebremster Aktivismus
Dennis Gross steckt auch hinter dem Reinhold Wagner Orchester, das lustige Quietsch- und Quatschmusik in Form salopp bezaubernder Miniaturen auf die Welt lässt. DJ Marcelle war so begeistert, dass sie vier Stücke davon sofort in ihr Set einbaute. Das RWO ist Teil einer 10″-Serie , bei der Münchner Musiker zu hybriden Persönlichkeiten mutieren, die sich in ihrer Herangehensweise näher am Jazz denn am Pop orientieren und Namen annehmen wie Soraya oder Alice in Wonderland. Schamoni Film tritt dabei kaum sichtbar in Erscheinung, auf manchen Releases ist nicht einmal der Labelname zu finden. Eine White-Label-Single ziert eine aufgeklebte Einladungskarte der Künstlerin Judith Hopf. Eingeladen wird man in die Galerie Deborah Schamoni, die Anfang des Jahres Tür an Tür zur Archiv & Labelwerkstatt eröffnete, als Deborah, Cousine von Schnitzenbaumer, genug von Berlin und Hamburg hatte, und den Thrill in Schamonihausen suchte. Man darf gespannt sein, was sich dort in den kommenden Monaten tut. Momentan arbeitet Konrad Hirsch an »Zur Sache, Schätzchen« in Vinyl-Form, dem legendären Kassenschlager von Werner Enke und May Spils. Das Laufen der Kamera war damals auf die Tonspur geraten, und so mussten sämtliche Dialoge neu eingesprochen werden. Die Originalspuren existieren noch und werden nun auf LP gepresst erscheinen. Gut möglich, dass also die Kamera auf diesem Tonträger dann zu hören sein wird. Schamoni transmedial. Kleines Match?