Dieser Scherz dürfte bekannt sein: Trifft ein alter Fisch auf zwei junge und meint: »Und, wie ist das Wasser heute?« Die beiden Jungen schauen den Alten irritiert an und lassen ihn schweigend weiterschwimmen. Darauf meint der eine junge Fisch zum anderen: »Was ist Wasser?« Anders gefragt, was ist heute so selbstverständlich, dass es unsichtbare Natur geworden zu sein scheint, obwohl es vor Kurzem noch Erstaunen hervorgerufen hätte?
Austria 2019: ein unsittliches Sittenbild
Mitglieder der österreichischen Bundesregierung und insbesondere die etwas fringigeren Parteimitglieder aus der Kampfklasse »Waldhäusl«, die derweil noch am Land versteckt werden müssen, sagen heute Dinge, die, geäußert vor zehn Jahren, zu einem Blauhelmeinsatz in Österreich geführt hätten. Weil das Bürgertum sich mit Moral schwertut, mit Pragmatismus aber leicht, wurde vor wenigen Jahren, ohne laut vernehmlichen Widerspruch, der »antifaschistische Grundkonsens« (Franz Vranitzky) aufgekündigt. Der neue Gesellschaftsvertrag lautet: »Von da ›unten‹ kommen Menschen, die wollen wir hier nicht, weil sie unseren Reichtum stehlen werden. Tut bitte das Nötige, um diese fernzuhalten, wir schauen fleißig weg.«
Der österreichischen Spießbürger*innennatur und leidenschaftlichen Weinbeißer*innen ist wohl bewusst, dass »The Wretched of the Earth« in ihre bedauerliche Lage auch deshalb kamen, weil der globale Norden sie ausgeraubt und kolonialisiert hat und sie permanent aufs Neue übervorteilt. Man wird nicht reich, ohne jemandem etwas wegzunehmen. Hier gibt es kein Aufklärungsproblem, wissen tut man dies auch in der FPÖVP, nur die Schlüsse, die gezogen werden, sind divergierend. Die aktuelle Regierung sagt: Fluchtroute schließen, Schiffe im Meer aus Abschreckungsgründen sinken lassen und bestmöglich sogar »konzentrierte Unterbringung« von Flüchtlingen, idealerweise direkt in Nordafrika, wo Gebiete notfalls mit »militärischen Mitteln« bereitgestellt werden. Durchgesetzt wird das Ganze gerne auch mit Gewalt und dann wird – der Powermove aller rechtsautoritären Demagog*innen – den Opfern die Schuld an ihrem Elend gegeben.
Nach einer Weile hirnlähmendem öffentlichem Diskurs, bei dem man im Zeitungsboulevard den toten Familienhund des Vizekanzlers betrauern darf, letzterem beim Schilaufen während seines Papamonats zuschaut oder ihn gleich beim Hanteltraining besucht: »So fit ist Strache«, hat es plötzlich in den Birnen »Klick« gemacht. Die Normalisierung ist so weit gediehen, dass die lächelnde Präsenz von Neonazis auf der Mattscheibe und ihr gepflegter antihumanistischer Diskurs »the new normal« sind. Wir schwimmen alle im gleichen brauntrüben Wasser und glauben, es sei immer so gewesen.
»Europa ist ein Gift«
Mit Didi Neidhart aka Low Profiler kann man das nicht machen. Der sieht das trübe Wasser als trüb und prangert es an. Er macht dies in einer künstlerischen Weise, die man ruhig einmal »einzigartig« nennen darf. Nachdem er jahrzehntelang Foucault gefrühstückt hatte, war ihm bald klar geworden, dass das Licht der Aufklärung nur in den unentdeckten Winkeln erstrahlen kann. Die kleine Taschenlampe muss dahin strahlen, wo niemand bereit ist, hinzublicken. Es wird die Lektüre von H.P. Lovecraft zurate gezogen, es wird der Afro-Futurismus neu durchgearbeitet und es werden jene Teile der Lehar’schen Operette dekonstruiert, die noch avantgardistische Wucht hatten.
Wenn all das, was da unten wabert, an pyramidenartigem Getier, das uns stets in den längst menschenleeren Straßen dräut, wenn das, was an überhitzter Erotik in den Galanterien hervorplatzt, und das, was an verleugneter Revolution in dunklen Erdteilen wacht, Bild, Ton und Inszenierung werden soll, dann braucht es eben eine Art Techno-Pop-Dub-Afrobeat-Disco-Operette, die die Welt so noch nicht gesehen hat. Gewidmet ist das Projekt »Europa ist ein Gift«, jenen, die sich übers Meer zu flüchten wagen. Zumindest die künstlerische Anteilnahme wird ihnen an diesem Abend nicht verwehrt bleiben. Fraglich erscheint einzig, ob die nur moderat großen Räumlichkeiten des Wiener AU so viel Bezüge und Querverweise unterbringen können. Wer wissen will, ob dies gelingt, sollte besser vorbeischauen.
Didi Neidhart war übrigens lange Jahre Chefredakteur eben dieses Magazins skug und weiß genauso gut wie seine Nachfolger*innen, dass immer, wenn die politischen und historischen Bezüge gekappt werden sollen, Gefahr droht. Die SSler konnten alle ihren Hölderlin auswendig, es verlangte nur niemand von ihnen, die Verse zu interpretieren. Neidhart forscht seit Jahren durch die durchaus auch abwegigeren Klangwelten und präsentiert die ästhetisch-moralischen Ergebnisse in verschiedenen Formationen, beim Salon skug am 11. April 2019 mit seinem Soloprojekt Low Profiler, Support erhält er dabei durch das Duo DVRST, der Performance-Collab von ABU GABI und ND \/\/arl0rd, die im Bereich der hochkomplexen Klangwandlung walten. Dem Publikum scheinen hierbei zuweilen Lovecraftsche Alptraumgestalten in den Nacken zu kriechen. Kein Wunder, die hat der Neidhart reingelassen.
Hier geht’s zum Interview mit Didi Neidhart aka Low Profiler.