Bei »Riss« handelt es sich um eine 15-minütige Aufnahme, die jetzt im 3″-CD-Format zu haben ist. Sie wurde 1990 im CMFI-Studio in Lyon eingespielt und unterstreicht so den Ausnahmenstatus des französischen Concrète-Musikers Lionel Marchetti eindrücklich. Marchetti, der ab und an mit Jerome Noetinger (Metamkine) zusammenarbeitet und auf den Labels Intransitive, Selektion und Ground Fault veröffentlicht, hat hier eine Traum-Miniatur in kammerspielartiger Dichte geschaffen, in der sich die Protagonistin Anne Décoret einbildet, im Eis gefangen zu sein, um dahinter zu kommen, dass dieses Eis ihr inneres Selbst ist. Mit hochtheatralischen Effekten und sublimen Tempowechseln ausgestattet, kommt diese MCD als ein Werk daher, das bestes »Cinema pour l’oreille« im Sinne Michel Choins ist, eine Text-Musik-Interaktion reiner Güte, die phasenweise an die frühen, dadaistischen Klangstrukturen von Nurse With Wound erinnert. Geräuschvolles Aufbegehren wird mit elektroakustischem Vogelgezwitscher konterkariert, um gleich darauf mit unterschiedlichen Stadien zwischen Lärm, Rauschen und Dröhnen die Verfasstheitslevels der Erzählfigur plausibel zu machen. Ein grandioses Werk, das einen förmlich in den Hörsessel festfriert. Magnifique.
Lionel Marchetti
Riss (L'Avalanche)
Erewhon/Drone/m.dos
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