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Razen

»Mirages«

Kraak

Razen sind ein Duo. Kim Delcour und Brecht Ameel beschränken sich aber nicht auf den musikalischen Dialog, sondern erweitern in aller Regel ihre Ausdrucksmöglichkeiten durch Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen. »Mirages« dokumentiert Aufnahmen im Trio mit Guilhem All, der einen Plattenspieler nebst dazugehörigen Tonträgern zur Klangerzeugung einbringt. Turntableism nennt sich diese Disziplin. Der Neologismus bringt die kreative Nutzung des Plattenspielers als Instrument auf den Begriff. Schallplatten, Plattenteller, Tonabnehmer und Tonarm werden virtuos zur Erzeugung von abstrakten Sounds bedient und so entstehen akustische Eindrücke, die vielleicht am ehesten an die Klänge aus einem modularen Synthesizer erinnern. Es knackst und knistert repetitiv und unterschiedlich lange Sequenzen werden aus Tonrillen extrahiert und als Kompositionselemente hörbar. In Konzertsituationen ist dieses freie Hantieren mit Schallplatten und Plattenspieler ein ziemliches Schauspiel. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick für alle, die ihre eigenen Schallplatten mit größter Vorsicht behandeln, denn die Nutzung schont das Vinyl nicht, im Gegenteil, es wird strapaziert, genutzt wie ein Werkstoff, wie Holz, aus dem Guilhem All akustische Skulpturen schnitzt. Kim Delcour und Brecht Ameel spielen Harmonium, Flöten und Saiteninstrumente drum herum bzw. entsteht in der Aufmerksamkeit füreinander eine überwiegend improvisierte experimentelle Musik, wie sie typisch ist für Razen. Man erkennt sofort, wer da am Werk ist. Sie haben einen quasi-sakralen Sound, der sich aus allerlei musikalischen Stilen und Genres herleiten lässt, diese aber auf jedem ihrer bald zwanzig Alben so amalgamiert, dass es am Ende immer unverkennbar nach Razen klingt. Einflüsse aus Musique concrète, Minimal Music, Ambient Music, Electronic Music, Alter Musik, Folk Music, Fourth World Music und Kosmischer Musik werden zur unnachahmlichen Razen Musik! So muss man das sagen. Mit jeder neuen Veröffentlichung versteht es das (meistens erweiterte) Duo aufs Neue, zu überraschen und zu beeindrucken, und ich beneide all jene, die vielleicht erst mit »Mirages« die Musik der Belgier kennenlernen. Denn sie können mit neugierigen Ohren deren umfangreichen Back-Katalog entdecken und sich eine oft traumhaft anmutende Klangwelt erschließen. Ziemliche Lobhudelei hier, aber es geht nicht anders. Die Freiheit im musikalischen Ausdruck, die Razen auszeichnet, bei gleichzeitiger Beschränkung auf im Einzelfall klar definierte und mithin sehr reduzierte Mittel, die Art und Weise, wie sie aus dem, was sie jeweils zum Einsatz bringen, das scheinbar bestmögliche herausholen – das macht ihnen so leicht niemand nach bzw. müssen sich Razen als musikalisches Ensemble nicht hinter einflussreichen historischen Vorbildern wie Oregon, der Third Ear Band und Between oder noch aktiven, zeitgenössischen Formationen wie dem Kronos Quartet oder The Necks verstecken. So ist das. Sie glauben, ich übertreibe? Keineswegs.

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
07.10.2025

Schlagwörter

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