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Radiohead – Sci-Fi-Melancholie

Dass sich das Modell »Gitarrenband« auf spannende Weise auflösen und erneuern kann, ist nichts Neues mehr. Wohl aber, dass gerade Superstars wie Radiohead diese Entwicklung radikal auf die Spitze treiben. Ist der Monolith »Kid A« nun der endgültige Grabgesang auf den Rock?

Ah, die schweinischen Vorteile des Schreiberling-Daseins. Es ist Anfang August, und ich sitze alleine in einem kleinen Büro, irgendwo in den verzweigten Gängen einer Wiener Majorlabel-Niederlassung. Der Grund ist eine irrsinnig exklusive, furchtbar geheime, sogenannte »Pre-Listening Session«. Die einzige Möglichkeit, in Zeiten des MP3-Monsters, in das von vielen wohl am obsessivsten erwartete Album in diesem Herbst reinzuhören.
Hypnotische Ambientsounds kriechen aus den Boxen. Dann, irgendwann eine Stimme, die »Yesterday, I woke up sucking a lemon…« murmelt. Die Fernbedienung werde ich in der nächsten knappen Stunde nicht anrühren, und das heißt verdammt viel, wenn man zur Spezies der manischen Berufs-Skipper und abgeklärten Journaille zählt. Das Album, das diesen Ausnahme-Sog ausübt, heißt »Kid A« und stammt von einer nicht ganz unbekannten Band namens Radiohead.

Tief unten
Noch einmal sei hier die alte Film-im-Kopf-Metapher erlaubt, denn der Streifen, den dieses Album beim Hören auslöst, der ist slooow, traumwandlerisch, innovativ und verdammt deep. Ganz tief unten. Ohne dabei ultra-depressiv anzumuten, wie das Vorabgemunkel aus verschreckten Industriekreisen verlautbarte. Kompletter Humbug, depressiv machen nur Zlatko oder die MTV-Awards. »Kid A« setzt einen unter Hypnose.
Ausgerechnet Radiohead: Erinnerungsfetzen tauchen auf, während »Kid A« den Raum ausfüllt. Da war die Präsention von »OK Computer« 1997 in Barcelona, wo ich als Presse-Schnösel dabei sein durfte. Nicht unskeptisch allerdings. »Creep« belächelte ich als nette Nirvana-Hommage, »The Bends« hatte ich nie richtig gehört, und Mr. Yorke stand bei mir unter schwerem Michael Stipe-Heulsusen-Verdacht. On stage dazu eine Band, die sich bisweilen dubiosen Pink Floyd-Schmockrock-Gefilden näherte. Es funkte nicht so ganz.
Monate nach dem Konzert dann doch. Zuerst das wunderbare »Paranoid Android«-Video. Dann ein beklemmender Thom Yorke, der das halbverunglückte U.N.K.L.E.-Epos mit »Rabbit In Your Headlights« rettet. Seitdem Respekt für Radiohead, Fantum aber eher nicht so. Und jetzt das. Ein Meisterwerk, wie es nicht allzu oft erscheint. Eine fantastische Platte. Sounds like? Melancholie und Futurismus. Kaum Gitarren, eine Gänsehautstimme, die statt exaltiert vorne zu stehen nur mehr dezent aufflackert, Beserlschlagzeug, dumpfer, jazzy Bass und viel elektronisches Gebritzel und Geknackse der amtlichen Güteklasse A. Als ob Kraftwerk, DJ Shadow, Funkstörung und Can für Nick Cave den Nachfolger zu »The Boatman’s Call« schreiben würden. Mehr Vergleiche? The Notwist und sogar das Tied And Tickled Trio kommen in den Sinn und deren Vision, von ausgetretenen Indie-Schrammel-Pfaden aus neue, aufregende Welten zu erschließen. Radiohead goes Weilheim? Ja, doch.

Exkurs: (Kid) Rock ist tot
»I’m not here. This isn’t happening.«
Radiohead in »How To Disappear Completely« (aus »Kid A«, 2000)

Ist »Kid A« in seinem elektronisch infizierten Minimalismus nun der x-te Grabgesang auf Rock, diesmal aber von Stars des Genres selbst radikal formuliert? Das wäre wohl das naheliegendste Fazit nach dem Durchhören des Albums. Es scheint, als würden Radiohead jenem Genre den stillen Zeitlupen-Krieg erklären, dem sie einst angehörten: dem so called »Alternative Rock«. Ein Marketingkonstrukt, das anno 2000 an einem perfiden Endpunkt angelangt ist, wo Bands wie Limp Bizkit, Creed oder Blink 182 lukrativ den reaktionären Backlash in die Steinzeit exekutieren. So far ahead wie »Kid A« klingt, so sehr stinkt es im Universum von (Kid) Rock & Co. nach Verwesung.
Was ja wahrlich keine Neuigkeit für Leser dieses Mediums hier sein dürfte. Geistert die Beschwörung vom Ende des Rock/der Band/des Songs/des Liveauftritts doch seit Jahren als Grundkonsens herum, vor allem im deutschen Sprachraum, von der neuen Elektronikpresse bis zum progressiveren Teil des Feuilletons. »Rock ist tot« memorieren längst Kritiker, die selber am liebsten Neil Young hören. Sogar jene »Indie«-Organe, die sich, angetan von den coolen Versprechungen von Bands wie Surrogat, Tocotronic, Shellac oder Trail Of Dead, immer wieder zu Enthusiasmus hinreißen lassen, erklären, dass diese Projekte nur funktionieren, weil sie a) abgesicherte Sounds aus einer vergangenen Ära (Touch & Go, AmRep), von muffigen Versatzstücken gesäubert, in einen neuen Kontext stellen oder b) wie Tocotronic sarkastisch auf den Trümmern des eigenen Genres tanzen. »Let there be rock, verflixt nochmal«, scheint die zuckende, sterbende Gitarrenmusik zu klagen. Ein letztes Mal.

Alles lebt, alles ist untot
»Mich interessiert nichts an der ganzen DJ-Musik, weil: Warum machen sie das, was ist der Ansatz? Warum macht Aphex Twin die Musik, die er macht? Oder warum machen die meisten Drum’n’Basser diese Musik? Warum? Es gibt für mich keinen Grund, keine Existenzberechtigung dafür, außer um Geld zu machen. Das finde ich äußerst langweilig.« (Alec Empire).

Noch einmal: Leiten Radiohead nun als erste »große« Band, nach unzähligen Underground-Feldversuchen, eine neue Post-Post-Rock-Ära ein?
Vor der Antwort auf diese Frage eine andere: Wo ist denn eigentlich das pulsierende Leben im Moment? Bei den Legionen von Laptop-Fricklern und Knöpfchendrehern, die vor einem zusehends gelangweilteren Publikum agieren? Auf der Loveparade und ihrem chemischen Gute-Laune-Terror? In der globalen, heimeligen Buena Vista-Folklore? Im Wattebausch des Vienna-Downtempo, der den Soundtrack zum Interio-gestylten Rückzug in die eigene Wohnwelt liefert? In den eisig erstarrten Posen des US-Hip Hop? Oder in der deutschen Variante, mit ihrer Mittelklasse-Jungs-Welt?
Bevor diese Aufzählung nervtötend wird: Das Leben ist überall und nirgends. Nichts ist tot, alles und alles führt eine Zombieexistenz, gefangen in diversen Retro-Zeitschleifen. Es gibt nach wie vor großartigen Hip Hop, fantastische DJs, kreative Homerecorder, und auch dem Rock geht es, elektronisch reanimiert, – siehe Dakar & Grinser, Death In Vegas oder David Holmes – bestens. Es gibt unzählige Tracks und Songs, 12″s und Alben, die man alle haben muss. Jeder findet seine kleine Ecke, wo er es sich bequem machen kann. Seine kleine Haltung, seinen Sound. Die Entscheidung fällt für sie/ihn am Eingang des Megastores oder bei der Wahl des Spezialplattenladens. Die Optionen sind mannigfaltig. Jennifer Lopez oder Merzbow. Alles ist super und damit scheißegal zugleich. Jetzt, wo das unerträglich abgedroschene Wortrelikt »Postmoderne« endgültig aus dem Sprachgebrauch eliminiert zu sein scheint, wo Simulations-Propheten wie Jean Baudrillard von den strengen Diskurs-Verwaltern zum unhippen Plunder des letzten Jahrhunderts geworfen wurden, sind die Gespenster der 80er Jahre ausweglose Realität geworden. Anything goes. Nichts geht mehr.

Die Welt als Supermarkt
»Fitter, happier, more productive, comfortable, not drinking too much, regular exercise at the gym (3 days a week), getting on better with your associate employee contemporaries, at ease, eating well…«
Radiohead in »Fittier, Happier« (aus »OK Computer«, 1997)

Radiohead wissen das alles. Sie wissen, dass die Welt eine Supermarkt-Hölle ist, aus der seit der Auflösung jeglicher »Underground»- und »Mainstream«-Kategorien in den frühen 90ern kaum ein Entkommen mehr möglich ist. Deswegen hassen sie nicht nur die schreckliche Langeweile der MTV-Konformität (siehe das selbstauferlegte Single- und Videoverbot für »Kid A«), sondern verfallen auch nicht wegen dem schönen, aber beliebigen Kick, den irgendeine brandneue, gehypte Elektronik-Maxi vermittelt, in grenzenlose Zukunfts-Euphorie. Der Sound solcher Platten mag »Kid A« beeinflusst haben, aber im Grunde atmen sogar die dekonstruiertesten Stücke noch den Geist von »Songs«. Es geht um – Achtung – große Gefühle und Melodrama und nicht um Formalismen. Ewiggestrig? Ansichtssache. Die vermeintliche Utopie h
inter Two Step, Minimal-Techno, Napster, Synapseninterfaces, whatever, hat schon »OK Computer« skeptisch beäugt. Wo andere vom Projekt »Fortschritt« träumen, ist für Radiohead die Geschichte in einem dauernden, komatösen Schwebezustand. Nicht umsonst schwebt Thom Yorke in älteren Clips der Band, während sich die Welt herum schneller bewegt.
Allerdings kippt dieser Old School-Baudrillard-Pessimismus nicht – und das ist der zentrale Punkt – wie bei anderen Musikern in nostalgischen Traditionalismus und modrige Technologieverweigerung. Radiohead erzählen von der Verstörung des Einzelnen in der Futurama-Welt des Alles-Ist-Gleichgültig-Und-Käuflich mit den Mitteln eben dieser Welt. Ihre Traurigkeit, die auf »Kid A« an die Texte eines Michel Houellebecq oder an Doug Aitkens Foto-Installationen erinnert, packen sie direkt in den Sampler. Ihre Wehmut über den Authentizitätsverslust editieren sie im Pro-Tools. Das lässt an Trickys Sampling-Blues denken, an Lars Von Trier, der mit nagelneuen Digitalkameras uralte Leinwand-Emotionen belebt, oder an den japanischen Filmemacher Shinya Tsukamoto und sein erzromantisches Hi Tech-Kino. Nicht zu vergessen Björk natürlich, mit der Thom Yorke passenderweise ein Gänsehaut-Duett für das Von Trier-Meisterwerk »Dancer In The Dark« aufnahm. Lauter futuristische Melancholiker. »So sehr wir die Computer benutzen«, sagt Alec Empire in einem Interview, »so große Feinde sind wir von dem Equipment, weil viele Elektroniktüftler gar nicht bemerken, dass sie sich genau auf dem Pfad befinden, den die Industrie für sie belegt hat. Das hat nichts mehr mit Kreativität zu tun. Außerdem geht dabei das, was mich an Musik oder überhaupt interessiert verloren: das sind halt die Menschen

Epilog
Also, »Kid A« ist kein next big thing und kein Klagelied für den schwer erkrankten Rock’n’Roll. Wohl aber ein Album, das uns beklemmend von unserem mickrigen kleinen Leben im Hier und Jetzt erzählt. Das mögen viele als grässlich sentimental und altmodisch abtun, aber das ist schon was. Und ganz nebenbei verpacken Radiohead diese ihre »Botschaft« so abstrakt und elegant und frei von öden Laut-Leise-Spielchen und Großkotz-Refrains, dass ich es gar nicht mehr erwarten kann, »Kid A« jetzt gleich wieder anzuhören. Es wird ein schöner Herbst werden.

PS: Derzeit sind Radiohead bereits wieder im Studio und nehmen, wie ihre Freunde von Massive Attack übrigens, ein »Rockalbum« auf, mit Singlesauskoppelungen und dem ganzen Schnickschnack. Release: Frühjahr 2001.

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Text
Christian Fuchs

Veröffentlichung
30.09.2000

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