Dem Musikwissenschaftler Frank Henschel ist es zu verdanken, dass diese Fragen nun endlich gestellt und – soweit möglich – auch beantwortet werden. Dabei verzichtet er bei »Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm« erfreulicherweise explizit auf Psychologisierungen, legt dem Buch jedoch eine DVD mit 43 Kurzbeispielen bei, anhand derer seine Aussagen auch gleich überprüft werden können.
Neue Musik ist zum Gruseln
Henschel konzentriert sich dabei aus gutem Grund auf den Horrorfilm der 1970er. Zwar hat sich die Häufigkeit mit der im Horrorkino die Tonspuren mit sonischen Ungewöhnlichkeiten besetzt sind schon in den 1960ern herausgebildet, aber erst in den 1970ern wurden diese »Klänge der Angst« zum Merkmal. Wobei auch die Gleichzeitigkeit der »Herausbildung einer genretypischen Musik und die Politisierung« des Genres von Interesse ist. Für Henschel ist das kein Zufall. Es geht um eine Welt aus den Fugen. So nähern sich schon allein auf der Tonspur erneut das Horrorkino und der Avantgardefilm. Auch das Kino erhält dadurch, als popkultureller Ort wo Eingangskanäle zu etwas ganz anderem offen liegen, eine neue Funktion. Nehmen wir nur die Neue Musik (Penderecki, Nono, Ligeti), die via »Exorzist« oder »Shining« vielleicht nicht nur Grusel evozierte, sondern eventuell auch Interesse an der Musik an sich wachrüttelte. Aber welchen Sinn, welche Funktion haben »ungewöhnliche Klänge«? Für Hentschel geht es dabei um eine »Atmosphäre der Kälte, des Schaurigen und Fremdartigen«, des Unwohlfühlens, »des Unbekannten, Bedrohlichen, Unheimlichen, ??Krankhaften??«. Die »Normalität wird musikalisch aufgehoben«.
Etwas zu kurz kommt dabei jedoch die Frage, ob all diese atonale, dissonante Musik nicht selber als Teil eines »negativen Kontextes« dargestellt wird. Zwar waren Regisseure wie Friedkin und Kubrick durchaus Fans neuer Töne, aber so ganz genau wird nicht klar, inwieweit Neue Musik hier selber als ??abartig?? diffamiert wird (wenn auch nie so platt wie es der Heimatfilm mit dem Jazz anstellt). Hinter dieser Musik stand ja auch die Utopie einer Freiheit und einer Befreiung von eben jener Normalität, die in den Filmbeispielen aus dem Ruder läuft und zu der es in vielen Fällen auch keine Rückkehr mehr gibt. Henschel streift jedoch auch diese Aspekte wenn es um »Atonalität, Geräusch und Elektronik vor 1970« geht. Gerade hier, bei den »Momenten des Surrealen und Unheimlichen« und den »außergewöhnliche Schallquellen« bei Thriller, Film noir und Sci-Fi, tun sich Felder auf, die regelrecht nach weiteren Untersuchungen schreien.
Ohren der Angst
Wobei es Henschel bei seinen Analysen von »Bodysounds« (Herzlaute, Stöhnen, Atmen, Flüstern), geistlicher Musik (etwa der narrativen Funktion der Orgelmusik bei »Carnival of Lost Souls«), Spieluhren und Kinderliedern (exemplarisch dargestellt am Beispiel »The Bad Seed«, wo sich während des Films ein und dasselbe Klavierstück vom »Symbol kindlicher Unschuld« über das der »Tarnung« bis hin zum »Symbol des Horrors« verwandelt) aber hauptsächlich geht, ist die Frage nach den möglichen Gemeinsamkeiten dieser »musikalischen, visuellen und semantischen Schichten«, mit deren Hilfe es nicht zuletzt auch darum geht herkömmliche Genrekonstruktionen, Kanonisierungen und Stereotypisierungen zu hinterfragen. Kurz: Was ich nicht sehen kann, muss ich hören. Nehmen wir nur das Sounddesign von »The Texas Chainsaw Massacre«, »bei dem es sich um die unerbittlichste Filmmusik des Genres überhaupt handeln dürfte«, so Henschel eindringlich. Eingespielt nach dem Motto »Let’s just do a rumble« funktioniert der Soundtrack als »Bedrohung überall« auch ohne Film. Die in prädigitalen Zeiten, als auch Videorekorder noch nicht zur selbstverständlichen Wohnungsgrundausstattung gehörten, in einem Kino via Walkman mitgeschnittene Audiokassette wurde dann auch wie selbstverständlich im Regal zu Throbbing Gristle gesteckt.
Pop tötet Horror
So findet Henschel im Horrorfilm nach 1980 die »Entschärfung des filmischen Horrors« auch auf der Tonspur und stellt implizit die Frage, wie sehr die »Erfahrung des Grauens« gerade durch die nun in den Horrorfilmen verwendete Popmusik abgemildert wurde. Kann es sein, dass Pop sich zuerst durch Horror-Soundtracks verschärft hat, um anschließend den Horror auf der Leinwand zu entschärfen? Fungiert Popmusik nicht bei all den Horror-Remakes der letzten Jahre nicht als Teil jener Uminterpretationen von denen auch Kim Newman in seinem gerade neu aufgelegten Klassiker »Nightmare Movies« spricht, wenn er den Unterschied zwischen den 1970ern und heute wie folgt zusammenfasst: damals wurde gezeigt, »that there was something wrong with society, but the message of the twenty-first century is that other people are shit.«
Auch wenn musikaffine Regisseure wie Argento, Carpenter fehlen, so schließt Henschel mit seinem Buch nicht nur eine, sondern gleich mehrere Lücken. Einerseits zeigt er akribisch genau »dass auch die Musik einen Schlüssel zum Verständnis von Horror bereitstellt« (was jederzeit auch auf andere Genres übertragen werden kann), zweitens gelingt im dadurch eine Genealogie von Horror entlang spezifischer Musiken, die sich bei der Fixierung auf den Horrorfilm der 1970er eben nicht in eine Retrofalle begibt, sondern ganz klar sagen kann, was damals anders war, und warum deshalb (und nicht aus Nostalgie) immer wieder darauf Bezug genommen wird.
Frank Hentschel: »Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm« (Deep Focus 12), Bertz + Fischer 2011, 254 S., ?? 29,90 (Buch plus CD-Rom mit 43 Filmausschnitten)