Die beiden Geschwister Esra Özmen und Enes Özmen als Duo EsRAP hier neu vorzustellen, macht wohl wenig Sinn. Den neuen Albumtitel »Mamafih« können wir aber nun über O-Sounds ankündigen. Und wenn ihr beim Release am 1. Juli 2022 nicht dabei sein könnt, gibt es hier eine Live-Performance zum Nachhören. Im anschließenden Interview haben wir ein gemütliches Gespräch zum zweiten Longplayer geführt und den (kurzen) Weg vom Tellerwaschen zur Wiener Festwochenbühne erörtert. Viel Spaß auch mit dem Video, das von Christoph Benkeser und Johann Redl gefilmt wurde. Darin vertreten sind auch die zwei neuen Songs »Artist« und »Aman«, die bei O-Sounds in einer Live-Version zu sehen waren.
O-Sounds: In eurer Musik vermischt ihr HipHop mit türkischen Arabeske-Elementen. Esra, du hast mir mal gesagt: »Im Arabeske haben wir gelitten und im Rap haben wir gefunden, warum wir gelitten haben.« Ist das noch immer so?
Esra: Ja, teilweise schon. Mit Arabeske war das die erste Erkenntnis. Ich habe in meiner Kindheit so viel Leid gespürt, zum Beispiel in meiner Schule, da war ich die einzige Migrantin in meiner Klasse. Und mir war gar nicht so bewusst, woher diese Trauer kommt. Erst später, als ich angefangen habe, Rap zu hören, gab es Themen wie Identität und Diskriminierung und ich dachte mir: »Hä? War das Rassismus?« Das Schwierige daran war, dass man Rassismus nicht erkannt hatte und ich keinen Begriff dafür hatte. Ich fragte mich: »Kommt das von mir? Bin ich unsympathisch? Oder ist das ein Eingriff von außen?« Und deswegen stimmt das leider heute noch für viele, und für mich jetzt vielleicht ein bisschen weniger, aber schon.
Ist das neue Album »Mamafih« jetzt eine logische Fortsetzung eurer Arbeit oder gab es einen Bruch?
Esra: Es gab definitiv einen Bruch. In den letzten drei Jahren, seit unserem Album »Tschuschistan«, wurde viel ausprobiert. Auch, was Themen angeht. Wir waren da sehr konzentriert auf Identitätsthemen. Jetzt fragen wir uns, was dies auf einer Gefühlsebene mit uns macht. Woher kommen meine Ängste, meine Einsamkeitsgefühle etc.? Das ist schon ein Album, wo wir in diese Themen mehr hineinschauen.
Enes: Es ist auch musikalisch persönlicher geworden. Du lernst immer dazu und der Geschmack verändert sich. Bei dem Album wollten wir Arabeske-Sachen mehr auf Trap- und Drill-Beats probieren. Oder zum Beispiel haben wir auch einen Song mit einen House-Beat. Das ist voll meins, ich liebe so einen Stil.
Esra: Das Album ist wie unsere Identität, es ist Chaos.
Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, die richtige Sprache zu finden. Egal, ob das jetzt Deutsch, Türkisch oder auch Englisch ist, ihr sprecht ja auch viele Publikumsschichten an – von der Arbeiter*innenklasse bis zu Studierenden und Künstler*innen. Wie schafft ihr es, so viele Leute gleichzeitig anzusprechen?
Esra: Was ganz interessant ist, ist, dass wir auch viel in Mexiko gehört werden. Ich war in der Doku »The social media beauty cult«, die wurde dort gezeigt und war ziemlich erfolgreich. Wir haben auch viele Fans aus unserer Szene hier und auch viel älteres Publikum.
Enes: Aber das stimmt voll. Ich tu’ mir beim Texten voll schwer, besonders bei diesem Album habe ich mich gefragt: »Was und wie soll ich jetzt schreiben? Welche Sprache soll ich verwenden? Schreibe ich das eher für Park-Kids oder, wie du gesagt hast, eher für Studierende oder ältere Personen?«
Hat sich eure Positionierung über die Zeit geändert? Ihr kommt aus der dritten Generation einer Gastarbeiterfamilie. Verändert eure Karriere etwas daran, wie Leute aus der Community euch wahrnehmen? Sehen die Leute euch jetzt anders, wenn ihr auf großen Veranstaltungen spielt?
Esra: Bei mir schon! Manche denken, ich habe jetzt ein ureinfaches Leben.
Enes: Manche glauben, wir wohnen in einer Villa, aber Baby … Ich habe vor drei, vier Monaten noch gearbeitet und will nebenbei noch wirklich weiter arbeiten. Darin sehe ich mich, das macht mich glücklich und schaltet mich ab. Ich würde auch Taxi fahren neben der Musik. Arbeit ist Arbeit. Mich beruhigt die Sicherheit, dass fix Geld reinkommt.
Esra: Es ist auch so, wenn du lange Urlaub machst, wird das in der Arbeiter*innenklasse als Kritik gesehen. Da fühlt man sich schlecht. Jedes Mal fühle ich mich sauschlecht, wenn ich Urlaub mache. Auch wenn du Musik machst. Ich bin gerade so weit, dass ich sage, ich bin Rapper. Das mache ich, ich bin selbstständig und mache das. Und er nicht, er sagt so: »arbeitslos«.
Enes: Arbeitssuchend! Aber Menschen, die diese Arbeitswelt in der Kunst kennen, verstehen, dass ich nur Musik mache.
Ihr sorgt noch für Irritationen. Nicht alle können so Kulturarbeit machen und einige sind vielleicht viel privilegierter. Ihr steckt da schon lange sehr viel Arbeit hinein.
Enes: 2018 war das Jahr, wo wir bei den Wiener Festwochen aufgetreten sind. Da bin ich mit 24 bei meinen Eltern ausgezogen und habe geheiratet. Bei den Wiener Festwochen gab es viel Promo, Interviews, Fotos usw. Nebenbei habe ich in Hotels gearbeitet, um mich abzusichern. Dann bin ich vor 50.000 Menschen mit u. a. Willi Resetarits aufgetreten und am nächsten Tag war ich beim Hotel Sacher glaube ich im Stockwerk -2 und habe Teller gewaschen. Meine Psyche konnte das nicht verarbeiten!
Esra: An alle Kulturschaffenden und auch Sozialarbeiter*innen, die aus der Arbeiter*innenklasse kommen. Es ist wichtig, dass ihr diese Arbeit wertschätzt! Viele Leute, die eigentlich ihren Job nicht als Job sehen würden, haben unserem Leben eine Richtung gegeben.
Die ganze Folge gibt es bei Res.Radio zum Nachhören:
Die Live-Sessions von O-Sounds sind gefördert durch die Stadt Wien Kultur (MA7) und die SKE der Austro Mechana. Updates gibt es immer auf der Radio Orange 94.0 Website, vergangene Folgen befinden sich auch im Cultural Broadcasting Archive: https://cba.fro.at/series/o-sounds