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Nach Gehör entscheiden: Pure

Mit Projekten wie Pure, Heart Chamber Orchestra, PRSZR oder Bolder erweitert Peter Votava aka Pure seit 1991 seine komplexe Klangwelt, die die brachiale Sprache der industriellen Pioniere ins digitale Zeitalter transferiert. skug im Gespräch mit dem in Berlin lebenden Wiener Musiker.

Foto: Laura Beloff

Zusammen mit Christopher Just hatte Votava als Ilsa Gold in den beginnenden 1990ern eine der frühesten und besten Technobands des Landes am Laufen und war für Österreich ein wesentlicher Technoprotagonist. Als Industrial-/Dark-Ambient-Act Current 909 und durch Veröffentlichungen für mego oder Crónica machte er sich zusätzlich einen Namen. Mit Brigitta Bödenauer veranstaltete er im Schikaneder Kino mit »Cinemasoniclounge« eine der ersten Clubserien Wiens zu digitaler Audiovision. Dann, gesättigt von Wien, verschlug es ihn in die deutsche Hauptstadt, wo er avantgardistische Elektronik in unterschiedlichsten Facetten produziert.

skug: PRSZR mit dem polnischen Perkussionisten Rafal Iwanski ist deine erste langfristige Zusammenarbeit mit einem akustischen Musiker. Hat diese neue Erfahrung deine Wahrnehmung von digitalem Komponieren verändert?
Peter Votava
: Ich musste lernen, dass akustische Musiker einen viel spielerischeren und körperlicheren Zugang zum Musikmachen haben und dass Zeit für sie ganz anders zählt. Für Rafal, der seinen Gong im Bruchteil einer Sekunde erreicht, ist es oft eine Geduldsübung, wenn ich erstmal eine Viertelstunde brauche, um einen Klang zu produzieren. Als ich noch ausschließlich mit selbstprogrammierter Software gearbeitet habe, war ich eigentlich zu 90 % Instrumentenbauer und zu 10 % Musiker. Das ist mittlerweile zwar nicht mehr so, aber selbst wenn man sich entscheidet, mit »professioneller« Software zu arbeiten, verbringt man einen immensen Teil des Musikmachens damit, sich mit Klängen zu beschäftigen, bevor man sie arrangiert.

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PRSZR

In der heutigen Laptopmusik geht es weniger um Performanz und mehr um Klang, gewisse Formeln und Denkansätze. Im Gegensatz dazu spüre ich bei dir immer das Handwerkliche und Spielerische dabei …
Ein Konzert der Wiener Farmers Manual Ende der 1990er war das erste Mal, als ich Leute mit Computern auf der Bühne sitzen gesehen habe, die den Zuschauern nichts Körperliches zu beobachten gaben. Die Zuschauer waren schockiert und empört. Es war damals ein bahnbrechendes Statement, weil es fremd war und viele Fragen aufgeworfen hat wie »Ist das jetzt wirklich live oder nicht?«. In den frühen 2000ern und etliche Laptopkonzerte später musste ich wieder einmal einigen Leuten auf der Bühne zusehen, wie sie regungslos auf ihre Bildschirme starrten und ich dachte mir: »Das halte ich nicht mehr aus«. Nachdem anfangs das Zuwenig aufregend war, wurde es später selbstverständlich und uninteressant. Ich brauche niemanden, der vor mir schwitzt. Aber wenn die eh nichts tun und ich trotzdem dazu genötigt werde, in Richtung Bühne zu schauen, finde ich das auf Dauer zu wenig.

Wie hast du dieses Problem der Bühnenpräsenz für dich gelöst?
Ich habe mich entschieden, Live-Visuals anstatt mich auf der Bühne zu zeigen. Das machte Sinn für meine Musik damals, die oft als abstrakt und als Soundtracks für bislang noch nicht gemachte Filme beschrieben wurde. Ich habe dann begonnen, mit dem in Finnland lebenden Erich Berger zusammenzuarbeiten, dessen visuelle Werke genau die Ästhetik hatten, die ich wollte. Unsere Aufführungen waren in Echtzeit generierte audiovisuelle Kompositionen. Das Publikum hatte eine Leinwand vor und uns hinter sich. Wir konnten in unsere Laptops starren ohne dass das gestört hätte. Zu dieser Zeit, 2003, entstand fast nebenbei auch unser Megaprojekt Heart Chamber Orchestra. Als ich später wieder vermehrt solo gespielt habe, musste ich zurück auf die Bühne. Für mich war klar, dass ich den Laptop als Arbeitsinstrument nicht weglegen wollte, weil das meine Art der Musikproduktion ist. Zur Musikhardware zurückzugehen, kam aber genausowenig in Frage. Daher habe ich mich für ein Live-Set-Up entschieden, bei dem der Laptop geschlossen bleibt und nur als Rechenmaschine dient. Um das Ganze zu performen, verwende ich eine große Anzahl von Controllern, sodass ich vor mir Geräte habe, die wieder sehr dem Konzept meiner 1990er entsprechen – Knöpfe, Regler, Tasten. Ich rekonstruiere eigentlich diesselbe Arbeitssituation wie zu Beginn meiner Produktionen.

Ist diese Unabhängigkeit von visuellen Parametern auch musikalisch befreiend?
Ich finde sie unerlässlich um meine Musik korrekt beurteilen zu können. Wenn ich für eine Wellenform oder ein Arrangement in den Bildschirm schaue, agiere ich als Musiker anders als wenn ich mich auf das verlassen muss, was ich höre. Das finde ich wichtig, weil für mich kompositorische Entscheidungen nach Gehör getroffen werden müssen und nicht nach dem Auge.

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Heart Chamber Orchestra

Als Mitgestalter der Wiener Technoszene hast du eine besondere Phase miterlebt. Inwiefern unterscheidet sich das kollektive Gefühl von damals von dem heute?
Die 1990er waren für mich die aufregendste Zeit, die ich in Wien hatte, da ich durch meine Aktivitäten an der lokalen Entwicklung von Techno von Anfang an mitgewirkt habe. Man wusste, man ist Teil von etwas ganz Neuem, von etwas, das jetzt im Moment entsteht und noch nicht ausgelotet ist. Dieses Pioniergefühl gibt es im Techno heute wohl nicht mehr, aber sicher in anderen Musikrichtungen. Seit 2012 mache ich wieder einmal im Jahr Loop, meine Veranstaltungsreihe aus der Zeit 1993/94, die für mich – und viele, die dabei waren – den Höhepunkt dieses Lebensgefühls darstellt. Dieselbe Musik, dasselbe Line-Up: Es ist eine Wiederholung der Geschichte, die nicht versucht, dem Anspruch zu folgen, dass immer alles unglaublich innovativ und für die Ewigkeit sein muss. Es macht Spass und der ist mindestens genauso viel wert wie Innovation. Und ich finde es anregend, uns allen beim Älterwerden zuzusehen.

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 Pure live

Du betreibst die Veranstaltungsreihe Taste The Doom, in der Whisky verkostet und dazu Doom Metal gehört wird. Siehst du das ebenso als künstlerische Aktivität?
Ich gehe an Taste the Doom genauso heran wie an das Musikmachen oder -veranstalten. Ich möchte ein Erlebnis vermitteln, weil es mir persönlich wichtig ist und ich es spannend finde. Taste the Doom ist wohl die erste Veranstaltungsreihe ihrer Art, die einen Low Budget-/DIY-Spirit in die konservative, hochpreisige Whiskywelt hineinträgt. Das machte es für mich reizvoll. Und es schmeckt!

Dein Interesse an Doom-Elementen ist immer wieder in deiner Musik zu hören. Kannst du dir eine Kollaboration mit einem Doom-Musiker vorstellen?
Absolut. Ich persönlich habe kein Problem, Genrebezeichnungen zu benutzen, aber in meiner Musikauswahl spielt das keine Rolle. Mir ist völlig egal, ob die Musik elektronisch gemacht ist oder akustisch. Ich habe sicherlich mit Doom-Metal-Musikern mehr gemeinsame akustische Präferenzen als mit Minimal-Techno-DJs, obwohl ich diesen von der Produktionsweise und meiner Historie her viel näher bin.

Was steht in der nächsten Zeit an?
Ich stelle gerade das erste Album meiner 2009 begonnenen Band Bolder fertig – ein Duo mit dem Frankfurter Martin Maischein, der auch die Gruppe Sandbenders hat. Das Album erscheint Anfang 2014 als Vinyl-only auf Editions mego. Gleichzeitig arbeite ich an einen neuen Soloalbum. Manches von dem Material könnte man sogar als tanzbar bezeichnen, auf jeden Fall wird es körperbetonter und weniger Zuhörmusik. Und danach weiter mit PRSZR. Dazwischen ein paar Remixe und Beiträge zu Compilations. Es gab zwar heuer keine Heart Chamber Orchestra-Aufführung, aber die Proben daran gehen weiter. Auch die praxisnahe Forschung im Whisky- und Doom-Bereich erfordert Ressourcen. Und mit Christopher Just verstehe ich mich nach wie vor bestens …

 

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Text
Seda Nigbolu

Veröffentlichung
17.02.2014

Schlagwörter


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