Das 2014 in Wien gegründete Black Page Orchestra hat nicht erst seit gestern internationales Renommee. Zuletzt haben die Musiker*innen im Rahmen des Music Current Festivals in Dublin gespielt. Anlässlich des Courage! Festivals kehrt das Ensemble am 16. Mai zurück in den Wiener Musikverein. Im Vorfeld des Konzerts haben wir die Möglichkeit bekommen, mit Musikverein-Intendant Stephan Pauly über das »Neue« in der Musik zu sprechen. Dabei geht es auch darum, das »Alte«, so Pauly, »mit neuen Ohren zu hören«. Wer das tun möchte, kann hier 1 x 2 Karten zum Konzert gewinnen – mehr dazu am Ende des Textes.
skug: Unter dem Titel »Courage« bietet der Musikverein von Mai bis Juni 2024 ein Programm in Erinnerung an das berüchtigte »Watschenkonzert« vom 31. März 1913. Damals eskalierte ein von Arnold Schönberg dirigiertes Konzert im Musikverein Wien. Empörtes Publikum stürmte die Bühne des Großen Saals, Einrichtung und Mobiliar flogen umher und mindestens eine Ohrfeige wurde ausgeteilt. Mit welcher Intention möchte der Musikverein die Geschichte jetzt aufgreifen?
Stephan Pauly: Seit meiner Intendanz rücken wir jedes Jahr einen Gegenstand aus dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ins Rampenlicht und lassen ihn zur Inspirationsquelle eines Musikverein Festivals werden. Nach Beethovens Medizinlöffel im Vorjahr und der berühmten Stimmgabelsammlung im Jahr 2022 ist es diesmal ein besonderes Stück Papier: Das Originalplakat zum Orchester-Konzert im Großen Musikvereinssaal vom 31. März 1913, das als sogenanntes »Watschenkonzert« in die Geschichte einging. Es ist jedoch keineswegs der Skandal, den das Musikverein Festival in den Vordergrund stellt, sondern Mut, Haltung und Konsequenz im künstlerischen Schaffen wie im Leben der Komponist*innen der im Festival-Zeitraum gespielten Werke. Selbstverständlich wird dabei den Komponisten des Konzerts von 1913 Raum gegeben, aber nicht nur: Wir laden dazu ein, Schlüsselwerke der Musikgeschichte mit neuen Ohren zu hören.
Trivial, aber: das Skandalkonzert Schönbergs jährt sich 2024 zum 101. Mal. Warum kein rundes Jubiläum zum 100. Geburtstag 2023? Weil eine gewalttätige Eskalation im Musikverein nicht gerade Anlass zum Feiern ist, aus organisatorischen Gründen oder schielen Sie vielleicht auf das große Wahljahr 2024 mit EU-Wahlen und Nationalratswahlen in Österreich?
2024 feiern wir eine ganze Reihe von runden Geburtstagen, unter anderem den 150. Geburtstag von Arnold Schönberg. Das schien uns ein passender Zeitpunkt, ausgehend von seinem künstlerischen Wollen, Haltung in der Musik grundsätzlich zu thematisieren. Der skandalöse Tumult kam damals nicht zuletzt aufgrund der Konfrontation »musikalischer Laien« mit »professionellen Hörer*innen« zustande.
Verstehen Sie das Courage! Festival lediglich als Plattform und Möglichkeitsraum für das musikalische Experiment oder möchten Sie auch integrativ wirken und einem breiten Publikum den Zugang zu unkonventioneller Musik und Kunst eröffnen?
Als Gesellschaft der Musikfreunde, wie wir als Verein ja heißen, sprechen wir alle Menschen an, unabhängig davon, ob sie Laien oder Experten sind. Und ja, Musik hat einen stark integrativen Charakter, sie wird ja gerne als universelle Sprache bezeichnet, die Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammenbringen kann.
Warum haben Sie gerade das Black Page Orchestra zum Headliner des Festivals gemacht? Die Reihe versammelt ja sehr unterschiedliche Konzerte, von Beethovens »Fünfter« (Francesco Piemontesi/Wiener Symphoniker) bis hin zu Ravel, gespielt vom chinesischen Starpianisten Lang Lang zusammen mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Nur das Programm am 16. Mai steht aber explizit unter dem Titel des Festivalmottos »Courage«.
In allen Konzerten unseres Festivals steckt in unterschiedlicher Ausprägung »Courage« drin. Es freut mich, dass das Black Page Orchestra, das einen eigenen Zyklus bei uns hat, den Begriff auch als Veranstaltungstitel verwendet.
Das Black Page Orchestra wurde 2014 in Wien gegründet. Tritt die durchaus lebendige Wiener Neue Musik Szene das unmittelbare »Erbe« der sogenannten Zweiten Wiener Schule an, deren Schlüsselfigur ja Arnold Schönberg war (Stichwort Zwölftontechnik)? Oder wie bricht die Neue Musik der Gegenwart mit ihren alten Epigonen?
Wenn Sie mit zeitgenössischen Komponist*innen über ihre prägenden Einflüsse sprechen, werden Sie immer wieder auf Vorbilder stoßen, die ihr musikalisches Fortkommen maßgeblich bestimmt haben. Das kann mal Bach sein, mal Schönberg, mal Helmut Lachenmann. Ich sehe da weniger Brüche oder Entwicklungslinien, sondern eher so etwas wie Inspiration, Erinnerung, Aneignung, Verwandlung oder Emanzipation.
Wo es zu Gewalt kommt, wird Kunst zweifelsohne zum Politikum. Aber ist Kunst darum schon dann politisches Engagement, wenn sie »Mut« zum ästhetischen »Risiko« beweist, wie es Matthias Kranebitter, Gründungsmitglied des Black Page Orchestra, in seinem Veranstaltungstext zu »Courage« formuliert?
Das hängt immer vom Kontext ab. Die Geschichte hat gezeigt, dass in bestimmten politischen Systemen mit künstlerischer Fortschrittlichkeit ein großes Risiko einhergehen kann.
Der mit der Komposition »Disco Bloodbath« am Programm beteiligte Rafał Ryterski bemüht sich in Polen um die Sichtbarkeit von LGBTQ-Themen in der Neuen und Klassischen Musik. Gerade in einer politischen Landschaft wie der polnischen gehört Mut dazu. Das ästhetische Risiko, von dem Kranebitter spricht, wird zum persönlichen Risiko. Wie blicken Sie auf die gegenwärtigen Entwicklungen in Österreich? Befürchten Sie, dass freie Entfaltung es zukünftig auch hier wieder schwerer haben könnte?
Eine konkrete Befürchtung habe ich nicht, aber natürlich gilt es, wachsam zu bleiben und für eine freie und diverse Gesellschaft einzutreten.
Rebecca Saunders ist »Komponistin im Fokus« der Saison 2023/24. Ihre Komposition »Molly’s Song 3 – Shades Of Crimson« fällt am 16. Mai allerdings etwas aus dem Rahmen. Während die übrigen Kompositionen des Abends österreichische Erstaufführungen oder Uraufführungen sind, wurde Saunders Stück bereits 1997 uraufgeführt. Warum passt »Molly’s Song 3« trotzdem so gut in ein Programm mit dem Titel »Courage«?
Rebecca Saunders Werke begleiten uns schon in der ganzen Saison. Im Rahmen von Wien Modern hatten wir im Herbst österreichische Erstaufführungen im Großen Musikvereinssaal, die fast Uraufführungen glichen, weil sie von der Komponistin im Musikverein neu verortet wurden. »Molly’s Song 3« bezieht sich auf »Ulysses« von James Joyce. Hier ist also nicht nur die Musik kühn, sondern auch die literarische Vorlage.
Malte Giesens Komposition »Trio (With Remixed Surface of Beethoven)« wird sich, wie der Name schon sagt, mit Beethoven auseinandersetzen. Eine Dekonstruktion Beethovens, oder doch eher eine Aktualisierung?
Ich denke Dekonstruktion ist da passender. Es erklingen immer wieder »Schnipsel« von Beethovens Streichtrio im Instrumentalpart wie auch in der Elektronik.
Das Black Page Orchestra ist bekannt dafür, die Grenzen des Musikalischen zu überschreiten und Performancekunst in die Kompositionen miteinzubeziehen. Auch der im Programm vertretene Komponist Peter Ablinger arbeitet im Bereich der bildenden Kunst und hat einige audiovisuelle Installationen in seinem Werk. Wird der Abend rein musikalisch oder dürfen wir »mehr« erwarten?
Peter Ablingers neues Stück ist sicherlich eine musikalische Grenzerfahrung und verlangt den Musikern auch extrem viel performatives Können ab, aber ich denke, all das dient im Stück tatsächlich »nur« einem rein musikalischen Bedürfnis. Auch die anderen Werke sind vorrangig an der Musik bzw. an dem Klang interessiert.
Zu Soyeon Parks »rAg-time-lAg« ist lediglich eine Kurzversion von 2020 auf SoundCloud vorhanden. Das Konzert wird eine Uraufführung sein. Gleiches gilt für Mirela Ivičevićs sowie Matthias Kranebitters Kompositionen, beide Gründungsmitglieder des Black Page Orchestra. Hier lässt sich also noch nicht sehr viel sagen?
Die Stücke von Soyeon Park und Mirela Ivičević sind tatsächlich Uraufführungen, Kranebitters Werk ist eine österreichische Erstaufführung. Sein Stück ähnelt sehr stark einem Concerto, also eigentlich einem Quintupel-Concerto, da jedes Instrument eine Masse an elektronischen Klängen als Gegenspieler hat und sich in diesem Wettstreit zu behaupten versucht.
1 x 2 Karten gewinnen!
Wir verlosen 1 x 2 Karten für das Konzert am 16. Mai 2024. Einfach bis 15. Mai 2024, 23:59 Uhr eine E-Mail mit vollständigem Namen an gewinnspiel@skug.at schicken. Der*die Gewinner*in wird nach Zufallsprinzip ermittelt und per E-Mail verständigt. Die Daten werden zur Gewinnverständigung zur Hinterlegung der Karten vor Ort verwendet. Rechtsweg und Barablöse sind ausgeschlossen.