Es ist stürmisch und frostig-kalt an diesem Montagabend im Januar, Schneeflocken treiben durch die Nacht und streifen ab und zu übers Gesicht. Ein winterliches Szenario, welches perfekt zur aktuellen Dylan-Biographie »Bob Dylan – Chronicles, Volume One« (Hoffmann und Campe) passt. Aus dem Norden kommt er nämlich und dieser steckt auch in ihm …
Obgleich uns Bob Dylan in einem Kapitel in den Süden nach New Orleans zu den Aufnahmen von »Oh Mercy« mitnimmt und diese Stadt mit all ihren Eigenheiten als eine seiner liebsten und als eine Art Gegenentwurf zu New York anpreist. Dort, in New York, im »Magneten, der alles anzieht«, begann in den frühen Sechzigern die fulminante Karriere des Jahrhundertsongwriters, der die Popmusik und ihre Protagonisten wie kein anderer bewegt und beeinflusst hat.
Genau an jenem Punkt der Ankunft und des Eintauchens in die New Yorker Folk- und Clubszene beginnen Günter Amendt, seines Zeichens Autor, Soziologe und Dylan-Kenner und Gerhard Henschel, der Co-Übersetzer der Dylan-Bio, mit ihren literarischen Beispielen.
Inmitten des schwarzen Hintergrunds prangt ein Banner mit dem jungen Bob Dylan, welcher trotz erhobenen Kinns auf die Zuhörer verträumt herabzublicken scheint.
Das Buch folgt keinem chronologischem Schema, sondern springt von den frühen in die von beklemmender Berühmtheit und Fanatismus um seine Person geprägten späten Sechziger, um sich dann unvermittelt in die von Krisen geschüttelten Achtziger und wieder zurück zu den Anfängen, zu seiner Kindheit zu winden.
Gekonnt werden aus allen Kapiteln essenzielle Teile abwechselnd vorgetragen. Dabei spielen sich die Leser den Ball immer wieder geschickt zu und bereichern die Lesung mit kurzen Erläuterungen. Dazwischen werden Songfragmente Dylans eingespielt und geben den Anwesenden Zeit, das Gehörte sickern zu lassen.
So erfahren wir von Dylans Leidenschaft für die Lieder von Bert Brecht und deren Einfluss auf ihn. Wir hören vom ersten Interview, welches der Musiker missmutig gab. Wir sind dabei, als Dylan versucht, sich ein neues Image zu zimmern, um vor der messianischen Verehrung Ende der Sechziger zu fliehen, als er eigentlich nur noch Familienmensch sein wollte. Wir streifen mit ihm in den Achtzigern durch einen kreativen Sumpf und eben auch durch New Orleans. Wir begeben uns an den Ort seiner Geburt, Duluth, und in den Ort seiner Kindheit, Hibbing in Minnesota, um über Minneapolis dann auf der Suche nach Woody Guthrie in New York zu landen. Die Vortragenden erwähnen dabei, dass Menschen, die Bob Dylan nahe standen (oder stehen), von ihm kaum einer genaueren Schilderung bedacht wurden, höchstens skizzenhaft. Dafür schreibt Dylan ausführlich und mit voller Leidenschaft über jene Leute, die ihn in seiner künstlerischen Entwicklung am stärksten geprägt und fasziniert hatten. Allen voran Woody Guthrie, aber auch Johnny Cash, Robert Johnson, Joan Baez oder Harry Belafonte. Die Passagen über Belafonte werden von Amendt vorgelesen und mit dem Zusatz versehen, dass er, Amendt, mit Belafonte einst zusammengearbeitet hat und dieser ganz den Lobpreisungen Dylans entspricht.
Mit sehr viel Sprachgefühl und dem richtigen Riecher für das Wesentliche gestaltet sich die Lesung im Salzburger Literaturhaus zu einer liebevoll inszenierten, leisen Bob Dylan-Huldigung und endet mit den letzten Sätzen des ersten von insgesamt drei Biographieteilen: »…Die Welt stand mir offen. Eines stand fest: Von Gott wurde sie zwar nicht regiert, aber auch nicht vom Teufel.«
Gestärkt und mit einem warmen Gefühl im Bauch tritt man hinaus in den dunklen Winter. Der Wind ist beißend und die Schneeflocken tanzen. Im imaginären Kopfradio läuft »A Hard Rain’s A-gonna Fall«, während man sich voller Vorfreude auf den nächsten Teil dieser ungemein spannenden Prosa in die kalte Nacht davonstiehlt.
Mittendrin, nicht nur dabei
Bob Dylan - Chronicles, Vol. 1
Lesung im Salzburger Literaturhaus, 31.01.2005
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