Die Veröffentlichungen des Frankfurter Labels Gruenrekorder stehen im Spannungsfeld zwischen Sound Art und Field Recordings. Bündig formuliert: Akademische Konzepte (Sound Art) treffen auf vermeintlich profane Umgebungsgeräusche bzw. spiegelt sich das eine im anderen, gewinnt die abstrakte Idee (der Klang) an Welt, wie die Welt – als Aufnahme präsentiert – als Klang neu oder anders erfahren wird und mithin ihren Geist verrät. So auch bei der vorliegenden Veröffentlichung, einer gemeinsamen Arbeit der Portugiesin Melissa Pons und des Deutschen Nils Mosh. Die Arbeiten »GW954f« (Nils Mosh, A-Seite) und »Lament of the Wolf« (Melissa Pons, B-Seite) setzen sich mit der Rückkehr des Wolfs und den damit einhergehenden Ängsten der Bevölkerung, die das mythologisch überhöhte Tier fürchten, auseinander. Mosh hat aus Interviewaussagen von Anrainern des Wolfsgebiets Schermbeck (im Nordwesten von Nordrhein-Westfalen) ein Stimmungsbild zusammengezimmert, das die Dämonisierung der Wölfin »Gloria« (Kennziffer »GW954f«) dokumentiert. Die Ignoranz und Selbstgerechtigkeit, die in den dokumentierten Stimmen zum Ausdruck kommt, ist verblüffend (und vielleicht auch überraschend). Und zwar nicht, weil bestehende Ängste vor dem Unbekannten nicht auch als subjektives Gefühl ihre Berechtigung haben, sondern weil diese Gefühle als solche eben nicht zum Ausdruck kommen, sondern als Meinung rationalisiert zeigen, wie es um den sogenannten »gesunden Menschenverstand« steht. Tenor: Der Wolf muss weg, weil er frisst nicht nur Schafe, sondern auch Ponys (und die armen Kinder, die um die Ponys weinen, gleich mit). Das hört sich dann auf Platte stellenweise an wie ein Hörspiel, bei dem Christof Schlingensief hätte Regie führen können – man muss beim Anhören oft lachen, aber das Lachen vergeht einem umgehend, wenn man sich vergegenwärtigt, welches Weltbild in den dokumentierten haarsträubenden Aussagen aufgehoben ist. Man spricht heutzutage in akademisch gebildeteren Kreisen von fragwürdigen anthropozentrischen Perspektiven, früher hätte man Barbarei gesagt, und das trifft es auch eher, denn im Diskurs um den Wolf spiegelt sich generell die Angst vor dem Fremden – und die kommen an den Außengrenzen Europas tagtäglich ums Leben. Gegenüber der pointierten Inszenierung widerwärtiger Feindsinnigkeit, Ignoranz und bürgerlicher Kälte (s. o. den sogenannten »gesunden Menschenverstand«) erscheint die Klang-Collage von Melissa Pons ein wenig romantischer und auch – letztlich – hoffnungsvoller. Sie collagiert das Heulen iberischer Wölfe mit Ambient-Klangflächen, in denen auch Schüsse zu hören sind – und wem die gelten, dürfte klar sein. Aber zum Ende der stimmungsvollen Aufnahmen ist – so höre ich das jedenfalls – das Jaulen junger Wölfe zu hören. Die haben also das letzte Wort, haben überlebt und sich behauptet. Hoffentlich.
Melissa Pons & Nils Mosh
»Of Wolves and People«
Gruenrekorder
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