Über das Trio aus Bogotá weiß ich zunächst einmal nichts weiter zu berichten. Entdeckt habe ich sie in der Nachbarschaft zu Park Jiha, die ebenfalls auf Glitterbeat verlegt wird, und ich kann mir gut vorstellen, dass die treibenden Gitarre-Bass-Schlagzeug-Improvisationen auch in Hörgängen verfangen, die nicht unbedingt wilden instrumentalen Experimenten zugeneigt sind. Woran liegt das? Nun, ich würde sagen, an der ausgesprochenen Lebendigkeit und Melodieverliebtheit der acht Tracks auf »Una Oportunidad más de triunfar en la vida« (zu Deutsch: »Eine weitere Chance, im Leben erfolgreich zu sein«, so der selbstironische Titel des Albums). Die Kompositionen gehen, wie man so sagt, »in die Beine« und hier und da schaltet das Trio auch mal einen Gang zurück: Zeit für einen aufwendig dekorierten Cocktail an der exotisch verzierten Kellerbar! Ich bin nicht sehr bewandert auf der musikalischen Südhalbkugel, kenne aber ein Album wie »Paêbirú« von Lula Côrtes und Zé Ramalho oder Alben von Os Mutantes, um anhand dieser beiden Beispiele Nähen anzudeuten, mehr aber auch nicht. Denn weder von der genaueren Herkunft noch von der Instrumentierung oder stilistischen Ausprägung her passen diese Vergleiche. Alle drei eint nur die vage Zuordnung als Latin-American-Dingsbums. Mit Dingsbums ist gemeint: Anderweitige Einflüsse aus der Popkultur überwiegend diesseits des globalen Südens. Aber wo fängt der an und wo hört der auf? Im Falle von Lula Côrtes und Zé Ramalho hat sicherlich die psychedelische Gegenkultur der Hippies ihre Spuren hinterlassen, bei Os Mutantes die Beat-Welle der 1960er-Jahre, aber bei Los Pirañas denke ich bereits nicht mehr nur an kulturelle Exporte aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum (Surf-Rock etwa), sondern auch an den türkischen Gitarristen Erkin Koray oder den Ägypter Omar Khorshid oder die eine oder andere Tuareg-Gitarrenband und so verschwimmen mit Blick auf die seither erfolgte und weiter voranschreitende Ausdifferenzierung globaler Popkulturen meine sorgsam gepflegten bzw. antiquierten Vorstellungen von Grenzen, lösen sich machtvolle Narrative von Zentrum und Peripherie auf. Kein Mensch spricht heute angesichts von Musik nicht-westlicher Herkunft mehr hilflos von »Weltmusik«. Ähnlich dem amerikanischen Sublime-Frequencies-Label, das Veröffentlichungen von Koray, Khorshid und Vertreter*innen des Tuareg-Guitar-Stils im Programm hat, sucht und findet das deutsche Glitterbeat-Label seine Künstler*innen im angenehm unübersichtlichen Spektrum globaler Popkulturen. Und jenseits der komplexen und komplizierten Zusammenhänge im Einzelfall und angedeuteten historischen Entwicklungen im Allgemeinen nehme ich ganz einfach gesagt an, dass mit dem kolumbianischen Trio alle warm werden können, die ausgefuchste Instrumentalmusik gerne weniger verschroben und nicht übertrieben vertrackt bis beknackt genießen wollen. Der quicklebendige, hibbelig-ruhelose Sound der Los Pirañas erinnert mich zwar hier und da auch an Frank Zappas instrumentale Fusion-Platten oder die völlig irren Improv-Veröffentlichungen der Sun City Girls – aber ohne die Kopfschmerzen, die einem Zappa oder die Bishop-Brüder bei unsachgemäßem bzw. übermäßigem Gebrauch verursachen können. Andersherum gesagt: Wer als Fan von Zappa oder den Sun City Girls gerne das Tanzbein schwingen möchte, der oder die soll es mal mit Los Pirañas versuchen, da ist die Unfallgefahr geringer als im Rückgriff auf die notorisch störrischen Unruhestifter.

Los Pirañas
»Una Oportunidad más de triunfar en la vida«
Glitterbeat

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