kelly lee owens
Kelly Lee Owens

»LP.8«

Smalltown Supersound

Bequeme Künstler*innen verhalten sich wie Bonsai-Bäumchen: Sie wachsen unter kontrollierten Umständen und entzücken formgerecht zurechtgestutzt. Die sorgfältig kultivierte Kreuzung aus Dreampop und Techno von Kelly Lee Owens’ ersten beiden Alben schien dieses Bild zu bestätigen. Umso wilder wächst nun ihr drittes Werk. Unter dem programmatischen Titel »LP.8« überspringt Owens die Formschnitte 3–7 und gibt sich experimentellen Exzessen hin. Dazu hat die Waliserin alle Song-Verästelungen entfernt und die Überbleibsel zu abstrakten Sätzen verdrahtet. Gedüngt wird der Blendling aus Ambient und Industrial durch die detailverliebte Produktion des Merzbow-Kollaborateurs Lasse Marhaug. Mit seiner Hilfe sprießen Atemzüge und Fingertapsen zu eigenständigen Formelementen. Das Ergebnis ist ein idiosynkratisches Album, das sogar das Label als »Ausreißer« bewirbt. So folgt der Aufbau von »LP.8« keiner konventionellen Struktur: Der Auftakt »Release« hämmert mit verzerrtem Beat den Imperativ »Move your body!« ein. Doch die nächsten Tracks schlagen Wurzeln. In »Anadlu« wiederholt Owens bedächtig den Titel – das walisische Wort für »atmen« – zu meditativen Klängen. Später floriert stimmbasierten Ambient à la Juliana Barwick. Nachdem fast das ganze Album in elysischen Gefilden verbracht hat, endet es agonal: Zu Throbbing-Gristle-Krach deklariert Owens: »This is an emergency, this is a wake-up call!« An einer anderen Stelle wäre der Agit-Track beunruhigend. Als Albumausklang erinnert er unfreiwillig daran, dass Owens ihre Zuhörer*innen bisher eingelullt hat. Bleibt in Anbetracht solcher Eigenheiten zu hoffen, dass sie demnächst wieder Dreampop kultivieren wird? Nicht unbedingt. Experimentelle Musik ist gewähltes Risiko. Anders als bei der Bonsai-Pflege, bemisst sich ihr Erfolg nicht nur an der Absenz von Fehlgriffen, sondern auch an dem, was jene möglich machen. Letztlich kündigt »LP.8« von einer aufregenden Zukunft für Kelly Lee Owens – als unbequeme Künstlerin.

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