»Man sieht allein die militärischen Akteure, nicht diejenigen, die den Krieg erleiden«, lautete eine Kritik am Wiener Heeresgeschichtlichen Museum, die auf der Tagung »HGM neu denken« im Arsenal zu hören war. »Man muss das Museum komplett neu denken. Der Ort kann nicht so belassen werden. Sich im Depot zu ergehen, ist kein Ausstellungskonzept, was Krieg für eine Gesellschaft bedeutet«, befindet Universitätsprofessor für Zeitgeschichte Dirk Rupnow. Von hier oben sieht der hellrote HGM-Bau des Architekten Theophil von Hansen riesig aus. Die gut besuchte Tagung findet nämlich in einer Arsenal-Wohnung genau gegenüber dem HGM statt. Eine passende Location, ein Ort zwischen Nähe und Distanz. »Es wird keinen Konsens geben, zwischen denen, die hier ein gewisses Geschichtsbild installieren wollen, und anderen, die dieses kritisieren«, warnt Felicitas Heimann-Jelinek, die bis 2011 leitende Kuratorin im Jüdischen Museum Wien war. Sie ist gegen Kompromisse. Denn das Heeresgeschichtliche Museum hätte auch immer ganz anders gekonnt, wenn es nur gewollt hätte – zum Beispiel besitzt es ein riesiges Depot an Kunst, wie Schiele-Zeichnungen aus dessen Zeit im Kriegspresse-Hauptquartier. Es scheint aber nicht zu wollen.
Den Bruch darstellen
Wie die Lage momentan sei, würde Engelbert Dollfuss mit einer »weihevollen Aura« dargestellt, »Stickbilder mit Adolf Hitler liegen neben Judensternen«, wie Heimann-Jelinek berichtet, oder es herrsche »eine Wüste in der Mitte zu Austrofaschismus« vor, wie Walter Manoschek ausführt. »Krieg wird nicht als gesellschaftliche Sache gesehen, es gibt keine Akteure in diesem Museum«, fasst Manoschek zusammen, der die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944« mitgestaltete. Die heutige Forschung wäre »null eingeflossen«. Andere Teilnehmer*innen erwähnen das größte Museum der Welt zum Thema Zweiter Weltkrieg, das »National WW II Museum«, das in New Orleans steht und »die Amerikaner heroisiert«, oder das Militärhistorische Museum in Dresden, bei dem der Architekt Libeskind den »Bruch nach außen weithin sichtbar» darstelle. Mit einem Gebäudeflügel, der wie gefallene Segel ausschaut und gleichzeitig von oben ein gefallenes Dreieck darstellt – vielleicht angelehnt an die dreieckigen Winkel, die Kennzeichnung der Nazi-Häftlinge? Auch für Wien wäre also einiges an Veränderung möglich und dringend notwendig. Zwischenzeit-Verteidigungsminister Starlinger ließ eine Art Untersuchungskommission – erst nur für den Museums-Shop, dann für das ganze Museum – einrichten und es wird einen Rechnungshofbericht geben.
Nachfahren unterwegs
Ein zerbrochener Spiegel hängt an der Wand, in weißem Rahmen. Dabei steht: »Meine Großeltern waren Partisanen, was haben deine Großeltern getan?« Diese Kunst ist von Ljubomir Bratic und Richard Ferkl (2015). Organisatorin Elena Messner ist selbst Enkelin einer Partisanin. Ihre andere Oma wurde als Slowenin zwangsausgesiedelt. Kein Wunder, dass Elena Messner auf den Widerstand gegen die Nazis besteht, der besonders in Kärnten politisch immer extrem niedergemacht wurde. Was bis heute nachwirkt. Organisator Nils Olger machte den Dokumentarfilm »Die eiserne Kassette» (2018) über Täterschaft und NS-Kriegsverbrechen in der eigenen Familie. Elena Messner würde die in der Arsenal-Wohnung ausgestellten Kunstwerke gleich dem HGM spenden, »inklusive der Bildschirme« für die Videos, wie sie sagt. Gewisse Menschen werden im HGM ausgelassen und das hat System. Denn aus Kärnten stammt auch der ehemalige Direktor des HGM, der auf der Tagung das Wort ergreift. Wer aber seine wissenschaftlichen Publikationen über die Jahrzehnte kennt, kann ihn nicht so harmlos und fortschrittlich sehen, wie er sich hier darstellt.
Verschüttete Geschichte
An anderen Orten in Wien wäre eine Darstellung der Geschichte des Gebäudes wünschenswert, wie zum Beispiel im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien, an dessen Stelle sich eine Wehrmachtskommandantur befand. Oder im Künstlerhaus Wien, in dem die Nazi-Wanderausstellung über »Entartete Kunst, Entartete Musik« gezeigt wurde und das nun aktuell die Albertina »naiv« mit Popkunst und Tourist*innenströmen überrollen möchte. Die Rossauer Kaserne, in der zur NS-Zeit gefoltert wurde, wurde gerade in Bernardis-Schmid-Kaserne umbenannt, nach den Widerständlern Robert Bernadis und Anton Schmid. Die Wiener Hohenstaufengasse 3, in der reihenweise Todesurteile gefällt wurden, hat bis heute keine Kennzeichnung. In dem Haus sitzt das Bundeskanzleramt.
Nur Selbstverstümmelung
Auf der Tagung wurde diskutiert, dass der Militärlogik zufolge nur Offiziere Widerstand leisten durften, »dem einfachen Soldaten im Schützengraben wurde dieses Recht abgesprochen«. Im HGM aber »sei es nicht einfach, selbst über Offizierswiderstand zu reden», führt Mathias Lichtenwanger aus, der ein Buch zum Netzwerk der NS-Militärjustiz veröffentlichte. Dem »kleinen Mann« wurde allein »Selbstverstümmelung« zugestanden, wie sie zum Beispiel nicht wenige Besucher des Wiener Kongressbades durchführten. Dort gibt es bis heute keine Erinnerung an die proletarischen Jugendlichen, die sogenannten »Schimmler« (Deserteure), die noch 1945 hingerichtet wurden. »Es lässt sich nicht alles über das Militär erklären«, so Ex-Direktor Manfried Rauchensteiner, »das Politische gibt das Militärische vor.» Das meint er aber nicht selbstkritisch, denn er führte immerhin die »Saalzettel« ein. »Mandatare haben oft keinen blassen Schimmer. Da hilft die beste Beschriftung nicht.« Eine Möglichkeit für eine Zeit des Übergangs wäre es, zumindest eine*n Kurator*in für zeitgenössische Kunst im HGM anzustellen, der*die Performances und Interventionen organisieren kann – ähnlich wie es Michael Endlicher in seiner Hundert-Protagonist*innen-Schau »Celle: War Was« 2014 tat. Das Museum war für einen Abend völlig verwandelt.