Die meisten Menschen können sich noch daran erinnern, wie sie das erste Mal Meat Loaf gehört haben. Betroffenheit, Scham, leichte Verzweiflung, die allmählich in ein histrionisches Lachen übergeht, waren die häufigste Folge. Also da ist dieses Kind, es ist ungefähr zwei Tonnen schwer und trägt einen Strampler mit Brokatbesatz. Eine Muppetfigur mit diesem Minenspiel wäre als »übertrieben« aus dem Ensemble geflogen. Jim Steinmans »Hauptmonster« Meat Loaf wirkt, als hätte ihn eine Gruppe Psychiatriepfleger davon abgehalten, bei den Nürnberger Meistersingern mitzuträllern, und er seine Sangesbrunst mit Rock’n’Roll ausgelebt. Die Songs sind in einer Weise »melodisch reich«, die schlicht übergeschnappt wirkt, und dann die Themen: Mum und Dad erinnern sich daran, wie sie das erste Mal Sex auf dem Rücksitz hatten? Okay, wait a minute, wollen wir wirklich einen Song darüber? Gehen die beiden jetzt ernsthaft, mittels eines dramatischen Duetts, der Frage nach, ob Sex nur gegen Ehering okay ist? Wer in diesen Momenten noch sich und die Welt sortieren möchte, scheitert zuverlässig. Die Kunst von Jim Steinman lag darin, das auch nicht mehr zu versuchen.
Ist das jetzt Ironie?
»On a hot summer night, would you offer your throat to the wolf with the red roses?« ist so eine Frage, die man einfach mal in den Raum stellen kann, und genau das macht Jim Steinman dann ja auch. Dieses Kitschverhältnis von Sex und Gewalt, das zwischen »Tales from the Crypt« und Pirelli-Kalender angesiedelt ist und neue Tiefenstockwerke des Fremdschämens erschließt, ist allein schon auf eine seltsame Weise bemerkenswert. Was das Team um Steinman dann im Video zu »You Took The Words Right Out Of My Mouth« abliefert, ist ein mitgefilmter und schlecht verlaufener Theaterworkshop, bei dem alle schauen, als müssten sie mal »groß«. Muss man sich dann schämen, wenn es einem bei Einsatz der Musik trotzdem eiskalt den Rücken runterläuft? Steinman war in Kontakt mit neuronalen Netzen und sein Schmonzes packt einfach die Sinne. Wer noch nie bei Bonnie Tyler (ein weiteres Geschöpf Jim Steinmans) laut schreiend mitgesungen hat, war auch noch nie wirklich besoffen. In den 1980er-Jahren lief allerdings auch noch niemand Gefahr, dass die Kolleg*innen am Montag das Video vom Duett mit Bonnie Tyler auf Social Media bewundern dürfen. Easy und enthemmte Times waren das.
Jim Steinman bastelte an einem Fantasy-Traumland, wo niemand erwachsen werden muss. Eine erfrischende pubertäre Selbstfindung, bei der Körper verlassen werden und es immer darum geht, etwas dann doch nicht zu machen. Steinmans Medium wäre eigentlich das Musiktheater gewesen. Hier waren seine Erfolge allerdings überschaubar. Das »Tanz der Vampire«-Musical erreichte beispielsweise nie einen echten Durchbruch. Die theatralische Lust an der Übersteigerung hätte hier durchaus ihren historisch angemessenen Ort gehabt. Auch bei Mozart ist nie ganz klar, wie er das wirklich meint. Begeisterung, Lust und Ungewissheit schnüren einen ironischen Knoten, den die Künstler*innen als letzte lösen wollen. Steinman braucht für seinen »Idomeneo« ganze acht Minuten, dann ist alles gesagt und es kennt sich niemand im Publikum mehr aus.
No business like show business
Jim Steinman war übrigens ein großer Fan von Bruce Springsteen und er sah bei »The Boss« vornehmlich das Showbiz, womit er nicht ganz unrecht haben dürfte. Springsteen spielt den ehrlichen Jungen von nebenan, der über seine Gefühle spricht und sich für Ungerechtigkeit interessiert. Für Steinman war dies einfach eine Masche, wie jede andere auch. Springsteen hatte seine eigenen Probleme mit der Ironie. Seine Exegeten, wie beispielsweise Ronald Reagan, meinten, »Born In The USA« habe vielen jungen Menschen Kraft und Stolz gegeben. Dass es in dem Song um einen enttäuschten Vietnamveteranen geht, der in ironischem Upbeat seine Leben besingt, war Mr. President entgangen. Reagan war einfach nicht mit den intellektuellen Kapazitäten ausgestattet, um zwischen den Zeilen zu lesen, und fand den Song einfach patriotisch und super.
Bei Steinman liegen diese ironischen Missverständnisse tiefer, weil er nie eine Botschaft anvisiert hat, die ironisch doppelbödig transportiert werden soll. Deswegen ist seine Autorenschaft bezüglich der Ironie auch ungewiss. Eher stellt sich die Ironie urwüchsig selbst ein. Meat Loaf täuschte sich, als er meinte, niemand könne das Zeug, das sie machen, ernst nehmen. Steinman tat genau dies. Er mochte hübsche Frauen in Satinunterwäsche, die in einem Spukschloss liegen, und dann kommt ein Typ auf dem Motorrad durch die Wand gefahren. Für Steinman das Normalste auf der Welt und Millionen Menschen lieben es ja schließlich auch – siehe Verkaufszahlen. Okay, letzte Frage: Warum nochmal ein Spukschloss?
Das Erbe der Powerballade
Ach, es waren einfach immer Spukschlösser, Vampire und Werwölfe, weil sich so halt die Pubertät anfühlt. Und es ist gut, diesem Gefühlswirrwarr verbunden zu bleiben, weil es von einer Aufrichtigkeit und – nun ja – Wahrheit zeugt, die in den erwachsenen Körpern meist versteinert ist. Céline Dion (Ist dies die erste skug Erwähnung der großen Kanadierin?) hat dann auch einfach mitgemacht und warum auch nicht. Während Steinmans eigene Interpretenkarriere nie wirklich abhob, bastelte er die Hitsongs für Bonnie Tyler oder Dion. Alles Material hätte er genauso gut auch für Meat Loaf schreiben können, was ihm dieser auch gerne vorhielt.
Immer wieder spärlich bekleidete Frauen, Spukschloss, Motorrad und dazu röhren die Stimmen. Sich neu zu erfinden, war nicht Steinmans Ding. Eher das »sich treu bleiben« und dadurch hat er das Kunststück vollbracht, mit dem gleiche Seventies-Sound Meat Loaf zwanzig Jahre später nochmals hoch in die Charts zu pushen. Powerchords und Dichterlesung, der Rest ist Trällern. Genau damit hat Steinman die 1980er geprägt wie kein zweiter. Denn diese waren bekanntlich die Jahre der Powerballade. Sie wurde damals zur großen Kunstform erhoben und alle Hardrocker*innen hinterließen wahre Spuren nur dann, wenn sie es auf die »Kuschelrock«-Sampler geschafft hatten, die neben der Schiller-Gesamtausgabe in die Regale bürgerlicher Haushalte einzogen. Steinman war hier der geheime Spirtus rector. Anders gesagt, er ist schuld an dem ganzen Schmacht-Geschmetter, ohne das der Rock im Massengeschmack abgeschmiert wäre. Dafür sollte er nicht vergessen werden. »There’s evil in the air / And there’s thunder in the sky / And a killer’s on the bloodshot streets.« – Yeah, keep on rockin’.