Sich ein Instrument zu schnappen, um anschließend herauszufinden, wie es gespielt werden kann: nicht die schlechteste Art, seine freie Zeit zu verbringen. Jef Mertens, der bisher auf der Gitarre improvisierte, hat sich eine japanische Taishogoto geschnappt, um zu schauen, zu welchen Ergebnissen er in der Beschäftigung mit diesem Tasten- und Saiteninstrument gelangt, das sich in Indien in ähnlichen Formen auch als Bulbultarang oder Shahi Baaja findet. Diesen neugierigen Zugang zu (von hier aus betrachtet) eher exotischen Instrumenten teilt sich der Belgier Jef Mertens u. a. mit Zeitgenossen wie dem Amerikaner Turner Williams Jr. und dem Engländer Michael Flower (auch bekannt vom Vibracathedral Orchestra). Ersterer spielt eine Shahi Baaja, letzterer eine Shamisen (eine japanische Banjo-Variante). Der gemeinsam geteilte ästhetische Ansatz: die Suche nach freien Klängen jenseits von kulturellen Rahmungen und Traditionen, so könnte man sagen. Und wenn ich »frei« sage, dann meine ich »free«, wie in Free Jazz oder Free Noise. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass sich die genannten Akteure blind bedienen. Der mögliche postkoloniale Verdacht der kulturellen Aneignung kann an dieser Stelle gleich ausgeräumt werden. Die Musiker wissen, dass sie keine traditionelle Musik machen (wollen) und geben dies auch gar nicht erst vor; niemand bekommt was weggenommen. Ganz nüchtern lässt sich daher konstatieren: Auf »Orchid Alto« hat Jef Mertens neun Arbeitsproben seiner experimentellen Klangforschung dokumentiert. Die zunächst sportlich anmutenden Fingerübungen weisen einen relativ psychedelisch-meditativen Charakter auf und dadurch kommt ein Quasi-New-Age-Feeling auf, wie man das aus der Minimal Music kennt. Ich denke hier etwa an Terry Riley oder Peter Michael Hamel. New Age als musikalisches Genre ist ja längst und zu Recht rehabilitiert und hat als Wellness-Noise gewissermaßen Kultstatus – zumindest in der musikalischen Nische, in der ich mich mit meinen Hörgewohnheiten wiederfinde und Jef Mertens treffe. Der sitzt mit seiner Taishogoto an der Kreuzung von Free Jazz, Noise und New Age und bietet »Orchid Alto« an. Ich greife zu und empfehle das Album nicht nur denen, die sich im genannten musikalischen Koordinatensystem zurechtfinden, sondern würde auch alle, die sich nicht so »auskennen«, einladen, dem Album ein Ohr zu leihen. Zu hören gibt es nämlich, so platt kann man es ja auch mal sagen, schöne und herausfordernde instrumentale experimentelle Musik, die als Soundtrack zu allerlei Alltagsgestaltung ebenso taugen kann wie zum konzentrierten Zuhören über Kopfhörer.
Jef Mertens
»Orchid Alto«
Aguirre Records/Feeding Tube
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