Jan Valik im Atelier © Jan Valik
Jan Valik im Atelier © Jan Valik

»Ich bin nicht der Schlüssel zu meinen Bildern«

Jan Valik träumt vom Unheimlichen, malt im Erinnern und fühlt Jetlag, wenn er sein Atelier betritt. Von 6. Juli bis 23. September 2023 stellt er in der Galerie Amart zum ersten Mal in Österreich seine Bilder aus. »Small Infinities« zeigt eine Welt, die Leerstellen auslotet und über Grenzen grätscht.

Jan Valik steht gerne zwischen den Räumen: Der aus der Slowakei stammende Künstler erkundet durch einen Pinselstrich die Grenze zur Illusion und versucht, das Fragmentarische der Wahrnehmung für die Leinwand zu übersetzen. Dazu geht er gerne durch Nebel, feiert Mehrdeutigkeit und forscht im Unbekannten. Nach einer halben Weltreise an künstlerischen Residencies hat sich Valik in London niedergelassen und stellt nun zum ersten Mal in Wien aus: Von 6. Juli bis 23. September 2023 findet in der Galerie Amart seine Ausstellung »Small Infinities« statt. Warum seine Bilder etwas Unheimliches in sich tragen, die Erinnerung sein Vorbild ist und wie das alles mit einem »Dazwischen« in Zusammenhang steht, erklärt Jan Valik im Interview. 

Du lebst in London: Wie beeinflusst diese Atmosphäre deine Bilder?

Jan Valik: Ich war immer schon fasziniert von den verschiedenen Bedeutungen von Räumen. Denn es geht nicht nur um den physischen Raum, sondern immer auch um mentale und emotionale Räume, die etwas Unbeständiges und Fließendes suggerieren. Egal ob Emotionen, die subjektive Wahrnehmung von Landschaft oder Umgebung im Allgemeinen sowie unser persönlicher Vorstellungsraum: Alle diese Aspekte von »Raum« überschneiden sich und kommunizieren im Prozess des Malens miteinander. Meine Arbeit steht an der Schwelle dieser verschiedenen Aspekte. Landschaft als künstlerisches Element ist in der europäischen Geschichte und Kultur ebenso präsent wie in der chinesischen oder japanischen Kultur – nur ganz anders. Dabei arbeite ich nie von einer bestimmten Landschaft oder einem Ort aus. Vielmehr interessiert mich die räumliche Mehrdeutigkeit. Sie fluktuiert ständig und hat einen starken Zusammenhang mit Erinnerung. Erinnerung selbst ist ja auch nichts Fixes. Genau das finde ich faszinierend: Wir erinnern uns nie daran, wie etwas genau war. Wir setzen aus Fragmenten die intimsten Momente unseres eigenen Lebens zusammen und erfinden sie dabei doch immer wieder neu. Jedes Mal, wenn man sich an sie erinnert, arrangiert man die Teile neu. Es ist genau wie das Wetter in England: Erinnerung verändert sich ständig.

»Weightless«, 195 x 135 cm, Öl auf Leinen, 2022 © Jan Valik

Ist Erinnerung nicht immer die Rückbesinnung der Vergangenheit im Jetzt?

Ja! Heutzutage ist uns aber viel bewusster, dass wir in einer gewissen Gleichzeitigkeit von Zeit leben. Wir erleben Zeit nicht mehr linear. Je nach Stimmung und anderen Faktoren fühlt sich Zeit divergent, flüssig oder unwirklich an. Mir gefällt die Tatsache, dass man die Überschneidung von subjektiver, imaginativer und objektiver Zeit nicht eindeutig auseinandernehmen kann.

Ist der Raum also greifbarer als die Zeit?

Mir gefällt, dass der Raum heutzutage so viele Bedeutungen hat. Neben dem physischen und mentalen Raum gibt es auch den digitalen. Wir sprechen über digitale Identität als räumliche Erweiterung von uns selbst. Raum ist dabei ein großer Überbegriff. Einen persönlichen Raum zu haben, kann für jeden von uns etwas anderes bedeuten. Ja, wir teilen einen physischen Raum, in dem wir unseren Körper bewegen, aber Visionen, Träume, Schlaf: das sind auch Räume. Und tatsächlich werden in diesen Räumen dieselben Gehirnregionen aktiviert, wie im Wachzustand. Wir sind nur davon befreit, uns tatsächlich irgendwo zu befinden. Auch das Unbewusste spielt in diesem »Spiel der Räume« mit.

Aber Raum ist auch eine Illusion. Wir benutzen ihn, um über unser Bewusstsein zu sprechen.

Genau! Und die Malerei funktioniert immer an der Grenze zur Illusion – allein aufgrund der Tatsache, dass etwas Räumliches auf eine flache Oberfläche gemalt wird. Hier kommt die Bedeutung des Pinselstrichs ins Spiel: Man ist sich seiner Unmittelbarkeit bewusst. Ein Pinselstrich ist die direkte Reaktion auf das, was auf einer Leinwand geschieht. Die*der Betrachtende ist sich der Tatsache im Klaren, dass das Gesehene gemalt wurde. Demnach ist Malerei keine vollständige Illusion, suggeriert sie aber immer.

»No Hard Feelings«, 160 x 135 cm, Öl auf Leinen, 2022 © Jan Valik

Wie ist deine Arbeit von der Auseinandersetzung mit japanischer und chinesischer Kunst beeinflusst?

Ich glaube, die Beschäftigung mit der chinesischen und japanischen Tradition hat mir geholfen, mir unterschiedliche Verständnisse von Abstraktion und Malprozessen bewusster zu machen. Mir gefällt die Diskrepanz zwischen der westlichen und der östlichen Wahrnehmung. In China oder Japan kam das Verständnis für Malerei aus der Kalligraphie und von Schriftzeichen, die in China direkt von Bildern hergeleitet waren. In Europa ist unser Alphabet so abstrahiert, dass wir Bedeutungen und Wörter auf ganz andere Weise zusammensetzen. Das beeinflusst und verändert unsere kollektive Wahrnehmung und wirkt generell wie ein Filter darauf, wie wir die Welt betrachten.

Die westliche Lyrik des 20. Jahrhunderts hat ebenfalls versucht, die Sprache zu zerlegen. Aber in der Kalligraphie-Tradition wird das schon seit Tausenden von Jahren gemacht.

Das stimmt. Es macht einen wesentlichen Unterschied, dass die Alphabetisierung in China aus der Pinselführung und der Kalligraphie entstanden ist. Das Schreiben und die Wahrnehmung eines Bildes sind organisch miteinander verbunden. Im Westen haben wir eine eher fragmentierte Sichtweise. Das zeigt sich auch in anderen Bereichen, wie in der Wissenschaft: Wir definieren und spezialisieren ein Gebiet auf enge Weise und haben dann Mühe, es in seiner Gesamtheit zu verstehen. In der östlichen Tradition durchdringen sich Literatur, Musik und Malerei in einem Fluss. Auch die klassische Hierarchie der Kunstsparten ist anders: An erster Stelle steht die Poesie, dann kommt die Musik und schließlich die Malerei. Die verschiedenen Sparten wurden dort schon vor der Moderne entmaterialisiert. Das Schaffen von etwas Nicht-Fassbaren wurde als die höchste Kunst angesehen.

Und dieses Wissen hat deine Malpraxis verändert?

Meine Malerei ist von vielen Dingen geprägt, die ich im Laufe meines Lebens und in meiner Ausbildung gelernt habe, aber letztlich spielen alle diese Dinge keine Rolle. Schlussendlich versucht man, etwas zu kommunizieren, das jenseits der Sprache und des logischen Rahmens liegt. Natürlich hat man seine Einflüsse irgendwo in sich integriert, aber wenn ich im Atelier vor der Leinwand stehe, denke ich nicht daran – dort beginne ich mit meiner eigenen Arbeit. Meine Einflüsse sind im Akt des Malens also nichts Bewusstes. Sie tauchen auf und fließen spontan in die Arbeit ein. Alles andere sind nachträgliche Gedanken. Die eigentliche Malerei beginnt, wenn man aufhört, zu analysieren. Was man gelernt hat, ist sowieso körperlich verinnerlicht.

Jan Valik im Atelier © Jan Valik 

Wie konzipierst du die Räume, die später zu deinen Bildern werden?

Das verändert sich ständig in meiner Arbeit. Die jetzigen Bilder haben einen ganz anderen Ansatz als die Bilder der letzten Jahre. Zurzeit versuche ich, Räume zu erkunden, die stärker mit Unsicherheit und Ambiguität aufgeladen sind. Also Räume, die sozusagen »zwischen den Stühlen« sitzen. Die Ambiguitäten der Wahrnehmung sind essenziell für mein Denken: Innere und äußere Räume fungieren als Figuren, die bewusst ortlos oder absichtlich nirgendwo sind. Gleichzeitig werden gerade dadurch neue Möglichkeiten geschaffen. Dieses Gefühl von räumlicher Verlagerung ist aber ein zeitgenössisches Phänomen. Ebenso wie die Identität von Räumen: Wem gehört ein Raum? Wem gehört ein Raum, der gemalt wird? Wer nimmt ihn in Besitz? Wie kann man die eigene Erfahrung der Verlagerung erforschen?

Du willst einen sehr ambivalenten Aspekt der Realität zum Ausdruck bringen.

Ja, ich bin neugierig darauf, darüber nachzudenken. Ich bin auf der Suche nach der Grenze, an der man sich nicht sicher sein kann, ob man sich überhaupt irgendwo befindet. Das hängt natürlich stark mit den Zeiten zusammen, in denen wir gerade leben.

Ist das ein Versuch, die Betrachter*innen zu irritieren? 

Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich die*den Betrachtende*n im Kopf habe, wenn ich male. Der Prozess muss in erster Linie für mich spannend oder herausfordernd sein. Wenn ich bereits weiß, wie mein Bild aussehen wird, beginnt das Malen, eine Aufgabe zu werden, und ich verliere das Interesse daran. Es geht darum, mich im Prozess des Malens zu verlieren und wiederzufinden.

Ein Flow-Zustand?

Es ist eine Reise. Im Atelier versuche ich nicht, etwas zu kontrollieren. Deshalb spiele ich auch mit dem Zufall. Hier spielt das Unbewusste wieder hinein: Während ich malend forsche, muss etwas in mir entstehen, auf das ich keinen direkten Zugriff habe. In diesem unbestimmten Zustand fange ich auch an, mich selbst in Frage zu stellen und zu zweifeln. Dann ist es oft erschreckend und aufregend zugleich, wenn ein Durchbruch gelingt! Das hängt natürlich auch wieder damit zusammen, dass wir einer Zukunft gegenüberstehen, die sehr ungewiss ist.

»Nods To Uncertainity«, 180 x 140 cm, Öl auf Leinwand, 2023 © Jan Valik

Deine Bilder haben etwas Unheimliches. 

Schön, dass du »unheimlich« sagst. Ich arbeite ganz bewusst mit offenen Interpretationsmöglichkeiten. Meine Bilder sind keine zeitgeschichtlichen Bilder, für die es einen bestimmten Code gibt, wie sie zu lesen sind. Vielmehr sollen sie in der Zeit wirken: Je öfter und länger man sie betrachtet, desto mehr können sie hervorrufen. Diese Charakteristik hat etwas Unheimliches. Als Menschen sind wir geübt darin, immer klare Lösungen zu suchen. So erklären wir uns die Welt! Aber in Wirklichkeit versuchen wir, dieses Unheimliche – die Lücken dazwischen – zu überdecken oder uns von diesen Leerstellen abzulenken. Wir wollen dieses archetypische Ungewisse in etwas übersetzen, das wir erklären können. Um die Leere zu füllen. Aber unsere Welt bleibt nie unbewegt. Wir werden Bilder immer in verschiedenen Zeiten und Kontexten sehen. Bedeutung ist unbeständig. Sie hängt immer in einer Art …

… Dazwischen?

Ja! Das ist die größte Motivation dafür, warum man heute noch malen sollte, obwohl wir inzwischen Dinge wie Fotografie oder künstliche Intelligenz zur Verfügung haben. Diese verweisen immer auf andere Bilder. Es ist nicht dasselbe, wie wenn man vor einer leeren Leinwand steht. Alles, was ich als Maler mache, kommt aus der Ungewissheit darüber, woher es kommt: der Raum dazwischen.

Was ist unmittelbar oder politisch an deinen Bildern?

Politik ist für mich nicht wirklich eine bewusste Zielscheibe, aber ich kann mich ihr natürlich nicht entziehen. Wir sind als politische Wesen in unserer Geschichte fest verankert. Nachdem ich in einem postkommunistischen Land aufgewachsen bin, war es eine bizarre Erfahrung, in den 1990er-Jahren das erste Mal den »Westen« zu besuchen. Er war so nah und gleichzeitig so fern. Nach dem Aufblühen der offenen Marktwirtschaft in den 1990ern versuchten postkommunistische Länder, diese Entwicklung schnell aufzuholen. Schließlich war das sehr chaotisch und ist in der heutigen Politik immer noch spürbar. Als ich später in Prag studierte, wurde mir schnell klar, dass ich weiterziehen und andere kulturelle Kontexte kennenlernen wollte. Deswegen bewarb ich mich für unzählige Residencies und war dann viel im Ausland unterwegs. Aber irgendwann wollte ich mich niederlassen und ein Atelier haben: So bin ich nach London gekommen!

»Time To Change«, 140 x 124 cm, Öl auf Leinen, 2021 © Jan Valik

Wie erfährst du dich beim Malen im Atelier?

Es dauert meistens eine Weile, bis ich mich im Atelier akklimatisiert habe. Das fühlt sich jedes Mal wie ein kleiner Jetlag an. Ich möchte nichts erzwingen. Es muss immer einen Impuls geben, der von selbst entsteht. Deswegen ist das Arbeiten für mich wie eine Mischung aus Zufall, Zielsetzung, Möglichkeiten und Versuchen: Es läuft nie genau gleich ab. Malen ist wie durch einen Nebel zu gehen. Es wird nie so sein, wie man es sich zuvor vorgestellt hat. Sich zu verirren, ist wesentlich. Das ist nicht immer angenehm und geht selten ohne Probleme. Aber es ist immersiv. Man versucht im Unbekannten einen roten Faden zu finden. Das ist einerseits frustrierend. Andererseits gibt es eine innere Stimme, die einem sagt, in welche Richtung man gehen könnte. Mit der Bildsprache, die man gelernt und durch die Praxis erworben hat, muss man in diesem Prozess eigentlich brechen. Dann erst beginnt das Bild, eigenständig zu sein. Im Endeffekt waren sich Malerei und Alchemie immer sehr ähnlich. Man fügt Ingredienzien zusammen und hofft, daraus etwas anderes zu schaffen: eine neue, eigenartige Bedeutung. Während ich das mache, kommen dann langsam mein künstlerischer Hintergrund, eigene Gedanken, Gefühle und meine Geschichte oder Fantasie zum Vorschein.

Ist das der Moment, in dem du aufhörst?

Ja. Denn das ist der Moment, in dem meine ursprüngliche Motivation für ein Bild auf unerwartete Weise wieder auftaucht. Das Werk stößt mich ab.

Das Bild wird also von dir entkoppelt?

Ich möchte, dass das Bild unabhängig von mir selbst existiert. Ich bin nicht der Schlüssel zu meinen Bildern.

Jan Valik im Atelier © Jan Valik

Die Vernissage zu Jan Valiks Ausstellung »Small Infinities« findet am 6. Juli 2023 von 18:00 bis 21:00 Uhr in der Galerie Amart in Wien statt. Zu sehen ist die Ausstellung bis 23. September 2023.

Links: 

https://www.amart.at/

http://janvalik.com/ 

Home / Kultur / Kunst

Text
Ania Gleich

Veröffentlichung
30.06.2023

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