»Hit ‚em as hard as you can.« (John Bonham, Led Zeppelin)
Minimalistische Avantgarde im Rockformat: Es braucht nur ein Schlagzeug, einen Bass und ein paar elektronische Effekte, um Groove-Monster auf Platte zu bannen. Bernhard Breuer und Gigi Gratt werken als Tumido auf ihrer fünften Veröffentlichung »Hunde« – erschienen auf dem formidablen Label Interstellar im durchsichtigen Vinyl – einmal mehr als wahre Klangberserker. Von der ersten bis zur letzten Note fräst sich das VU-Meter in den roten Bereich, ein Dampfhammer, von Null auf hundert innerhalb eines Riffs. Eigentlich sollte irgendwo auf der Platte »Achtung bissig« vermerkt sein. Die Zähne werden zwar gebleckt in diesen sich spiralförmig zusammenballenden Sound-Clustern, indes es wären kaum Tumido, wären nicht auch immer wieder Aufforderungen zum fröhlich in der Gegend herumstreunen dabei.
Drauflos und immer weiter
Waren bei den Vorgängeralben wenigstens ansatzweise konventionelle Arrangements auszumachen, stand hier »von Anfang an die Vorgabe auf volle Energie, die im weißen Rauschen endet. Weiterspielen, selbst wenn es strukturell keinen Sinn mehr ergibt. Es ging um Sound, statt um Tracks. ??Hunde?? entstand als im Jetzt produzierte, improvisierte Musik«, meint Breuer. Fast könnte man den Eindruck bekommen, bei »Hunde« handle es sich um eine Art Best of von Studio-Outtakes. Stimmt freilich nicht. Tumido haben sich mit dieser Platte von sämtlichem strukturellen Ballast losgesagt und erforschen nun jene Parameter, die sozusagen die Schatten von Jam-Sessions darstellen. Nämlich jene Intensitäten, die nach mehreren Stunden Musikmachen entstehen, so zu kanalisieren, dass Zeitfaktoren irrelevant werden zugunsten einer alles vereinnahmenden Welle. Gratt ergänzt: »Am ehesten ist ??Hunde?? eine Konzeptsession. Das Spannende dabei war: Dort, wo normalerweise eine Session aufhört, fangen wir mit den Nummern erst an. Wir wollten keine klassische Entwicklung, sondern dass man von der ersten Sekunde an mitten drin ist«.
»Hunde« ist die aktuelle Quintessenz von zwei der umtriebigsten jungen Musiker des Landes. Breuer spielt Schlagzeug bei Metalycée, Elektro Guzzi und Fugu And The Cosmic Mumu, Gratt ist bei Ni, Braaz und seiner »Allstar«-Band Gigi’s Gogos mit von der Partie, und mit BulBul sind die beiden so etwas wie brothers in crime; siehe die gleichnamige CD (Interstellar/Trost, 2008).
Entstanden im vielfältigen Umfeld zwischen dem Festival in Ottensheim und dem Welser Schl8hof, feierten Tumido 2002 den Einstand auf der ersten Compilation von Stefan Parnreiters Label aRtonal, das Fulltime-Debüt »O.A.G.« kam 2003. Von da an waren Referenzen zu Bands wie Gastr Del Sol oder Zu immer wieder gern zur Hand. Drei Jahre später legten Tumido mit der auf dem Label Zach erschienenen Kollaboration mit dem oberösterreichischen Autor Stefan Rois die Fährte Richtung lärmiger Soundpoesie, die passagenweise durchaus an frühe Einstürzende Neubauten erinnerte.
Bei aller Abstraktion: Soul muss sein
Das Interview fand im Rahmen der »Hunde«-Plattenpräsentation in einem asiatischen Gasthaus statt, und wie bei Breuer und Gratt üblich, kippte ständig Oberösterreich-Schmäh in Musiktheorie und umgekehrt. Beim anschließenden Konzert im rhiz verlangte das enthusiastische Publikum den beiden einige Zugaben ab, nachdem Michael Fischer im Vorprogramm die Ohren mit seinen Saxofon-Feedback-Orgien weidlich drangsaliert hatte.
Bernhard Breuer: Unser erstes Konzert als Tumido im Welser Schl8hof war als Experiment intendiert, Noise-Musik live zu spielen. In der frühen Phase spielten wir noch mit Schlagzeug und Gitarre, sind dann aber, weil es zu wenig druckvoll war, auf Bass umgestiegen. Wir haben zwar Musik studiert, das war aber nicht unbedingt die glorreichste Zeit ??
Gigi Gratt: Immerhin haben wir am Linzer Bruckner-Konservatorium Leute wie Judith Unterpertinger, Michael Pollack oder Fabian Bruckner kennengelernt. Dadurch wurde der Anschluss an die Wiener Szene erleichtert.
BB: In der Szene, in der wir uns bewegen, konnte man noch nie von Plattenverkäufen leben. Live zu spielen war und ist praktisch die einzige Möglichkeit, ein Einkommen zu lukrieren. Das Netzwerk von Tumido ist mittlerweile so gut ausgebaut, dass wir im näheren Ausland jederzeit auf Tour gehen können. Seit zwanzig Jahren hören wir bewusst Musik und natürlich ist da jede Menge dabei, die uns beeinflusst oder die wir filtern. Dazu kommt der soziale Aspekt, weil wir langjährige Freunde sind; es gibt also ein gutes gegenseitiges Grundverständnis. Einflüsse lassen sich noch am ehesten im Noise-Rock lokalisieren, in letzter Zeit kamen Elektronik, Free Jazz und Techno dazu. Klar kann man nicht sagen, Fugazi hätten mich dazu gebracht, genau diesen oder jenen Schlagzeugrhythmus zu spielen. ?ber John Bonham kann man reden ??
GG: Wir waren nie wirklich ??hart??, dazu waren wir immer viel zu Groove-orientiert. Wir wollten nie Metal oder Noise machen. Wohl auch deshalb, weil reiner Noise sehr schnell in ein hermetisches System abdriften kann und Verweise aus anderen Musikgenres ausblendet. Bei aller Härte und Abstraktion ist ein gewisser Soul nach wie vor zwingend. Mag sein, dass er bei Tumido ab und an gut versteckt ist, zum Spielen ist Soul aber essentiell. Es macht einfach mehr Spaß, auch Kitschpassagen in die Stücke einzubauen.
BB: »Hunde« ist auf jeden Fall so konzeptioniert, möglichst keine Strukturen zu verwenden, sondern Zeit- und Songebenen aufzubrechen, sich anzusehen, wohin sich der Sound, den man von Anfang an hat, hinentwickelt.
GG: Es ist ein Sog, ein Gefühl von brachialer Verunsicherung.
BB: Man sucht ja immer nach etwas, wo man nicht zuhause ist. Deswegen hört man sich als Musiker daheim genau nicht jene Musik an, die man selbst spielt. Schließlich gibt sich jeder Musikinteressierte ja auch nicht mit nur einer Richtung oder einem Genre zufrieden. Ich glaube kaum, dass von den Leuten, die Hardcore-Improv machen, sich jemand zuhause hinsetzt und sich diese Musik anhört. Aus kollegialem Interesse vielleicht, aber eher selten zum Privatvergnügen. Eine Anekdote von vor einiger Zeit erzählt: Ein Hardcore-Improv-Musiker hatte eine Steuerprüfung. Für die Steuererklärung hatte er die Produktion einer seiner CDs als Forschungsobjekt für seine Musik mithineingenommen. Der Steuerprüfer gab sich entrüstet. Darauf der Musiker: »Würden Sie sich so eine Musik privat anhören?«.