Ginger Baker war ein – der psychologische Fachbegriff lautet – »kaputtes Arschloch«. Man kann seinen Angehörigen nicht weh tun, indem man das sagt, sie würden es wohl allesamt unterschreiben. Seinem 15-jährigen Sohn auf dem gemeinsamen Konzert eine Line Koks zu geben, ist schon »Caramba«, ihm sein Geld zu stehlen und ihn dann einfach zugedröhnt in der Venue liegen zu lassen, verdient allerdings das Prädikat »Weltklasse!« So einen Daddy muss man einfach gernhaben. Bei Konzerten mit den alten Gefährten der »Supergroup« Cream gab es dann auch schon mal was vom Bassisten Jack Bruce auf die Fresse und der zeitweilig ebenso höchst verhaltensauffällige Eric »Ich mag einfach keine Ausländer« Clapton wollte sich nie so recht zu Baker äußern. Sei halt ein schwieriger und »angsteinflößender« Typ. Der sah es selbst nicht viel anders und meinte, die schweren Krankheiten, die ihn in den letzten Jahren plagten, seien eine Strafe Gottes gewesen. Und die größtmöglichen Schmerzen habe er sich auch redlich verdient. Nun, der liebe Gott hatte am 6. Oktober ein Einsehen mit dem 80-Jährigen und man darf annehmen, jetzt ist alles verziehen.
Ein Tier am Schlagzeug
Drummer werden ja nicht sooooo berühmt. Ginger Baker kannte allerdings früher jedes Kind, dank seinem Alter Ego »Animal« (dt. »Tier«). Der quirlige Schlagzeuger der »Muppet Show« soll laut Jim Henson dem Drummer von The Who, Keith Moon, nachgeahmt sein. Niemand hat Henson gesagt, dass Moon schwarze Haare hatte und niemals diesen roten Rundbart, den sich Animal und Baker teilten. Na ja, der Chef muss nicht alles wissen. Auf einem Ball der Muppets fragt eine Tänzerin Animal: »Stimmt es, dass du aus einem kaputten Elternhaus stammst?« »Ja«, meint Animal, »ich habe es selbst kaputt gemacht.« Verrücktes Muppetlachen und wildes Herumgeklöppel folgen, bis kein Stein mehr auf dem anderen ist. Damit ist der Stil von Baker ganz gut charakterisiert.
Nun kennen ja skug-Leser*innen diese Momente, in denen man in einem Auto mitfährt und hinterm Steuer sitzt ein mit der Familie befreundeter Zahnarzt (z. B.), der nach einer Weile unproduktiven Schweigens meint, er interessiere sich ebenso für Musik. »Aha«, tönt es leise von der Rückbank. Das Gespräch geht dann immer in die etwa gleiche Richtung. Er fände zum Beispiel Eric Clapton total super. Ob man den auch kenne. »Dem Namen nach …« ist dann so eine Lüge, mit der sich nix aufhalten lässt. Eric Clapton und Dire Straits live, das sei zum Zungenschnalzen, meint der Zahnarzt »Wirklich? Hmm …« Okay, das hört man sich dann an und die Füße sind schnell eingeschlafen, im engen Auto bei so viel perfektem Spiel und Könnerschaft an den Instrumenten.
So war Baker aber nicht. So waren die späten 1960er und frühen 1970er nicht und daran trägt Ginger Baker Mitschuld. Cream, Traffic, Free und Co. (zufällige Auswahl) – diese Bands mixten Spielfreude und Experimentierlust. Die Selbstwahrnehmung der Musiker*innen war eher durch den Jazz als den Rock geprägt. Deswegen musste auch dieses seltsame Wort »Supergroup« gefunden werden. Entgegen den Bemühungen der Labels, Band-Produkte zu formen, spielten die Musiker*innen einfach gerne mit denjenigen zusammen, die ihnen den nächsten Kick lieferten, egal wo die jetzt gerade unter Vertrag waren. Auf einigen glücklichen Aufnahmen aus jener Zeit kann diese Wucht erlebt werden, die dann in den 1970ern irgendwann versandete und aus den Rockgrößen die bekannten Witzfiguren formte, die bis heute die Stadien füllen und versteinert nach Punkt und Komma ihre Hits runterbeten.
https://www.youtube.com/watch?v=DP5BQ5Kvsv8
Umzug nach Lagos
Ginger Baker verstand es, zwischen zwei Schlägen nochmals zusätzliche Impulse unterzubringen. Diese Fülle des Schlagwerkens findet sich sonst noch beispielsweise bei Art Blakey (die beiden kooperierten übrigens zeitweilig). Man ist versucht, die Platte langsamer abzuspielen und nachzuhören, was das Drumming da genau macht, zwischen den zwei für den Rhythmus nötigen Klopfern. Ist aber eigentlich auch ziemlich wurscht. Was entscheidend ist: Man wollte damals raus aus dem Gehäuse. Laute Schläge, Lichtblitze, enorme Amplitude, bloß niemals im Muster bleiben. Das war der Pop-Ausbruch jener Jahre. Aber auch, wenn alles fleißig zerschlagen wird, dann wird das gleich wieder zu einer neuen Form zusammengesetzt. Baker konnte das. Und er hatte ein Gespür dafür, dass diese Versuche sich leider alle bald in Mätzchen verwandelten. Einfach mal den Verstärker aufdrehen, bis es kracht, und losholzen, mit den erprobten Riffs und Patterns. Die Leute im Publikum waren ja eh eingeraucht. »Neu« ist aber nur, wenn es neu ist. Somit konnte man nach einer Weile den Staffelstab gerne an die Muppets weitergeben, die aus den Witzchen wenigstens feine Kinderunterhaltung machten. Ginger Baker aber verließ den Kontinent, und zwar genau in die richtige Richtung.
Die 1970er gehörten – und das wussten alle, die feine Ohren hatten – Westafrika. Baker machte ein Tonstudio in Lagos auf und produzierte dort beispielsweise die Wings. Jene heute weitgehend in Vergessenheit geratene Band, die Paul McCartney in den 1970ern in den Charts hielt und die halt so halbgescheites, experimentelles Zeug lieferte: »Band on the Run«. McCartney und Baker saßen in Lagos und ließen sich die Perücke lüften von dem, was der Nachtclubbesitzer und Heilige Fela Kuti da eingesammelt hatte. Seine Yoruba-Riten mit Tanzkapelle ließen den damals noch nicht ganz so alten Beatle mutmaßen, die besten Konzerte seines Lebens gesehen zu haben. Baker verstand die rhythmische Fülle und erzählerische Kraft der Musik Kutis und mischte fleißig mit. Tony Allen attestierte: Ja, ja, das mit dem Afrobeat hat Baker gut kapiert. Nach einer fruchtbaren Phase und dem wunderbaren Live-Album ging man sich dann irgendwann wechselseitig auf den Geist. Baker kehrte in den globalen Norden zurück und fand nie mehr zu der früheren Durchschlagskraft zurück. Dennoch ist sein Tod eine Zäsur, denn mit Ginger Baker stirbt eine Ausnahmeerscheinung, die in einer Frische Jazz-Rock-Whatsoever-Fusion betreiben konnte, die heute kaum mehr möglich ist.