Kiki Smith: »Born«, 2002 © Ellen Page Wilson/Pace Gallery
Kiki Smith: »Born«, 2002 © Ellen Page Wilson/Pace Gallery

Get the bird out

Die Künstlerin Kiki Smith hatte die fixe Idee, eine Totgeburt zu sein, und produzierte als Bildhauerin tote Raben oder Wölfe. Aus unbelebten Dingen erzeugte sie Leben, wie Algen auf einer Latex-Hand. Eine eigentümliche Trauerprozession im Belvedere.

Es ist eine eigentümliche Ausstellung mit dem Namen »Procession«: In einer Vitrine liegen ein toter, weißer Vogel, an einer Schnur sein Ei, eine Fledermaus mit rotglühenden Augen und ein schlafendes oder totes Mädchen, das auf der Seite liegt. Träumt sie von toten Tieren? Eine andere Vitrine beinhaltet gläserne Gegenstände, einen durchsichtigen Frosch, den Abdruck eines Gesichts. Ist diese Ausstellung hier eine Art Schocktherapie der relativ neuen Direktorin für Wiener-Belvedere-Besucher*innen, die sich anderes erwarten und im Timeslot des Oberen Belvedere auch erhalten? Die amerikanische Künstlerin Kiki Smith lebt im Unteren Belvedere ihren Hang zum Grusel aus. Ihre Werke sind die einer Bildhauerin, nur alle sämtlich an Vergänglichkeit gebunden, nicht zur Ewigkeit gedacht. Oder zur Erinnerung an Vergänglichkeit von Leben, von Kunst? Eine Glaskugel, in der sich das Licht spiegelt. In den Gesichtern der Besucher*innen spiegelt sich die eingefrorene Trauer, die von den Kunstwerken ausstrahlt. Eine kleine Figur hebt abwehrend oder grüßend die Hand. Durch den Schatten des kleinen Mannes wirkt er wie in einem Fenster sitzend.

Kiki Smith: »Sky«, 2011 © Kiki Smith/Pace Gallery

Lebensaufgabe Mikrokosmos
Im Film, der im Belvedere gezeigt wird, hat Kiki Smith eine Mädchenstimme und ein unbewegtes Gesicht. Religiöse Statuen gefallen ihr, ihre Tapisserien sind aus Collagen entstanden. Die Stimme wird leiser, bricht ab. Ihr Vater war Architekt und band seine Töchter in seine Produktion ein. Als er starb, fand Smith eine Latex-Hand auf der Straße, legte sie in ein Einmachglas voller Wasser und bewunderte die Gewächse, die Algen, die auf der Hand entstanden. »Wir sind alle Mikrokosmen«, sagte sie dazu. Aus toten Sachen lebendige machen. Tote Dinge weiterleben lassen. Eine Lebensaufgabe. »Ich glaube immer, dass die ganze Welt in deinen Körper eingeschrieben ist«, erklärt sie im Film. Sie sieht den Körper als etwas Ureigenes, mit dem wir alle Erfahrung haben. Der Großvater ihres Vaters war Altarschnitzer und kam aus Irland nach Amerika. »Im letzten Jahr war es meist so, dass ich mein Kunstwerk träumte, dann aufstand und es machte.« Die erzeugten Kunstwerke haben stark etwas von permanenten Albträumen. Ihre Schwester starb jung an AIDS. Gruselig ist die Lilith-Figur aus 1994, die kopfüber eine Wand herunterkraxelt, an der Wand pickt wie ein überdimensionaler Frosch. Lilith, die aus Lehm war und dem Mythos nach wegen Unzufriedenheit und Ungehorsam vernichtet wurde, von den schon damals versammelten Patriarchen.

Kiki Smith: »Glass Stomach«, 1986 © Ellen Labenski Wilson/Pace Gallery

Stillborn
Eine Frau, die einem toten Wolf entsteigt und weggeht. Gläsern-grüne Füße und ein gläserner Magen. »She pointed inside dark space, I say you can come slowly out from here«, steht an der Wand. Nur die Tapisserien sind bunt und lebendig gehalten. Schon als Kind schmückte und vergrub Kiki Smith tote Tiere. Sie hatte die fixe Idee »stillborn« zu sein, also in Wahrheit eine Totgeburt. Ihr Werk handelt von: »Trying to get born, to be there«! Sie würde sozusagen Kunst zur Welt bringen. »Get the bird out«, sei daher ihr Motto. Der vor Kurzem leider verstorbene Direktor des Hauses der Kunst München, Okwui Enwezor, schrieb das Vorwort zum Katalog. Enwezor lernte eine Kuratorin kennen, die ihm von Kiki Smiths Werk vorschwärmte, und beauftragte sie 2013 spontan, ein Ausstellungskonzept zu erstellen. In Italien erzeugte Kiki (kurz für Chiara) Smith Wasserfiguren, die tröpfeln und mit dem Gesicht Richtung Himmel zeigen. Der Zusammenhang von Körper und Erinnerung: Sie kann auch anders, ohne Grusel, dafür mit Humor. Die Skulptur aus zwei bronzenen Hälften, benannt »Womb« (1986), hat zum Beispiel zwei Henkel links und rechts, wie ein Häferl, und ist offen. Der Vogel ist draußen.

Kiki Smiths »Procession« ist noch bis 15. September 2019 im Belvedere zu sehen: https://www.belvedere.at/Kiki_Smith

Home / Kultur / Kunst

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
31.07.2019

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen