Michael Stahl © Unrock
Michael Stahl © Unrock

Gelebter Underground – das Unrock ABC

Ende 2025 wird der internationale musikalische Underground um einen Außenposten ärmer sein. Unrock, Krefeld, schließt nach über drei Dekaden.

Nach 30 Jahren unermüdlicher Arbeit im musikalischen Underground wird Unrock Ende 2025 seine Pforten schließen. Was 1992 als Mailorder begann, entwickelte sich über drei Jahrzehnte zu einer verlässlichen Adresse für randständige musikalische Ausdrucksformen. Eine Vielzahl von Alben international renommierter Künstler*innen erschienen auf dem hauseigenen Label und der mit Unterbrechungen zusätzlich betriebene Plattenladen fungierte als kulturelles Zentrum für Musikbegeisterte aus aller Welt und Adresse für Instore Gigs in intimer Atmosphäre. Ende des Jahres ist nun Schluss. Zeit für Inhaber Michael Stahl, zurückzublicken. Die Stichworte dafür lieferte skug.

»One may have thought it should have happened in Berlin, Paris, or London, but it was Unrock in Krefeld that became the improbable European outpost and ambassadorship for Sun City Girls, our solo projects, and extending to many of our friends and collaborators. But in a poetic way I suppose it all made sense because improbable is what we all have been since the beginning.« Alan Bishop

Alan Bishop & Michael Stahl © Unrock

Alvarius B/Alan Bishop

Sagen wir mal so. Alvarius B ist ein Musiker, dessen Gesamtwerk nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In seinen verschiedenen Inkarnationen zeigt er viele sehr unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten, das macht ihn als Künstler so variabel und interessant. Dazu kommt eine Haltung, die like-minded ist, meiner in weiten Teilen entspricht. Er ist ein zu 100 Prozent verlässlicher und seriöser Geschäftspartner und zusammen mit seinem Bruder Richard sind sie mir die Liebsten. Die Beiden hatten einen großen Anteil an der Entstehung des Labels und haben es zu jeder Zeit, unzählige Male, nach Kräften unterstützt. Wir haben viele Schlachten geschlagen. Alan Bishop hingegen ist mein Freund, das bleibt privat. 

Brothers Unconnected

Ist das Projekt von Richard und Alan Bishop, dass die Musik der Sun City Girls feiert. Die beiden waren damit zunächst in den USA unterwegs, bevor sie für einige Shows auch nach Europa kamen. Neben Paris und London stand Krefeld auf dem Tourplan. Wir haben im Südbahnhof Musikgeschichte live erlebt und den Abend im Nachhinein als Doppelalbum dokumentiert. Eine Sternstunde, sicherlich. 

Carla Bozulich

Ich kenne Carla Bozulich seit ihrer Zeit bei Geraldine Fibbers. In ihren produktivsten Zeiten konnte sie vor allem auf der Bühne eine Intensität erreichen, die ich nie vorher und nie danach auch nur annähernd so erlebt habe. Carla ist eine außergewöhnliche Person und Musikerin. Unsere Wege haben sich zu verschiedenen Anlässen häufig gekreuzt. Sie lebt jetzt wohl konstant in Los Angeles und wir haben lange nichts voneinander gehört. 

Durchhalten 

Warum durchhalten? Für wen oder was? Das mag kontrovers oder provokant klingen, macht nichts. Ich finde die gängigen Codes und Muster mindestens merkwürdig. Ich schaue mir die Schwemme von Veröffentlichungen an und frage mich, ob das alles für die Ewigkeit in Vinyl gepresst werden muss. Es gibt sicher Gründe, auch wirtschaftliche und andere legitime. Oft ist für mich aber weder der eine noch andere Grund ersichtlich. Die Flut generell begünstigt Mittelmaß und schadet mehr als sie nützt. Wenn ich hinterfrage, welche der Tonträger, die ich herausgebracht habe, die Welt wirklich braucht, ist meine Bilanz vorsichtig ausgedrückt überschaubar. Ich möchte nicht genau wissen, aber ahne, wie viele von Laien, kleinen und mittleren Labels oder auch der Industrie veröffentlichte Platten die Regale der Musikvertriebe in aller Welt füllen oder in Privatwohnungen langsam im Keller verschimmeln, aber niemals den Weg zum Kunden finden. Das Metier an sich funktioniert nicht rational. 

Richard Bishop © Unrock

Essen 

Das war ein interessantes Kapitel. Weniger provinziell als Krefeld und die Leute hatten im Durchschnitt weniger Berührungsängste. Der dort angemietete Laden gefiel mir von Anfang an nicht, es sollte eine Zwischenstation sein. Irgendwann habe ich begonnen, tagelang durch die in Frage kommenden Essener Stadteile zu streifen, auf der Suche nach einem anderen Ort, der mehr Platz für Veranstaltungen bot. Auf der anderen Seite lief es gut in Essen, mir wurde schnell eine Konzertreihe in der Zeche Carl angeboten. Dort kam es dann auch zur denkwürdigsten Show in der Geschichte von Unrock. Es war die Feier zum zwanzigsten Jubiläum. Alan Bishop aka Alvarius B war mein Gast des Abends, wer sonst. Im Publikum befand sich eine Kohorte von Jungschauspielern, die vorher eine Aufführung vorgetragen hatte. Sie haben Alans Show derartig gestört, dass es zum Eklat gekommen ist, nicht der einzige an diesem Abend, der völlig außer Kontrolle geriet und mich ein wenig hilflos hinterließ. Spät in der Nacht, in meiner Wohnung, war die Stimmung dann sehr gelöst und wir haben uns gegenseitig mit der Torte beworfen, die Katrin mir zum Jubiläum geschenkt hat. Dann kamen zwei Dinge zusammen, meine eigene Ungeduld und ein alter Weggefährte, Achim Bartsch, der im Rheinland Immobilien betreute. Er bot mir an, in mein altes Ladenlokal am Karlsplatz in Krefeld zurückzuziehen, mit dem Unterschied, dass ich die dahinterliegende Halle, die vor mir ein Gutachter für Orientteppiche betrieb, ebenfalls als Veranstaltungsort nutzen könne. Der Abschied aus Essen fiel zwar nicht leicht, aber es breitete sich rückblickend unverständlicherweise eine gewisse Euphorie aus. Achim, im Übrigen täglicher Dauergast im Unrock, mein Freund Peter Koerfer und ich haben jede Menge Geld und Energie in den neuen Laden gesteckt und meine Frau Katrin hat mich nach Kräften unterstützt.

Freundschaft

Im Laufe der vielen Jahre sind stabile Freundschaften entstanden. Mit Alan und Rick Bishop und auch mit Sam Shalabi und Maurice Louca verbindet mich einiges. Ansonsten möchte ich mit dem Begriff eher sparsam umgehen. 

Geld 

Ein großes Thema. Wenn du so bedingungslos radikal mit dem Kopf durch die Wand willst, um deine Ideen zu verwirklichen, und gleichzeitig jeden Rat in den Wind schlägst, wird es schwierig. Es gab eine längere Periode, da hat Unrock mir ein gutes Leben ermöglicht, und ich war jung und naiv genug, zu denken, das würde immer so weitergehen. Es gab auch Momente der Weichenstellungen, wo ich zu stur war. Der damalige Chef eines der größten US-amerikanischen Vertriebe für unabhängige Musik in San Francisco ist nach Europa gekommen, um einen exklusiv Vertriebsdeal mit Unrock zu erkunden. Als ich erfahren habe, dass er sich auch noch mit jemand anderem trifft, habe ich ihn schlicht und ergreifend sitzenlassen. Sagen wir es so, in dem Metier ist es wesentlich leichter, Geld zu verlieren, als zu verdienen. Ich kenne Kollegen, Namen werde ich keine nennen, die das anders und wirtschaftlich erfolgreicher betreiben. Da wäre ein gut bezahlter, mittlerweile betagter Lehrer, der akribisch sein Privatleben der Musik geopfert hat und auf einem kleinen Imperium sitzt. Ein solches Modell ist immer die Basis, wenn du alleine Erfolg haben willst. Ansonsten kannst du nur die Struktur vergrößern, den Sprung wagen, Helfer anstellen, Promoter bezahlen, dich den Regeln von Vertrieben beugen. Das sind alles Dinge, die ich auf keinen Fall wollte. Underground, nicht zu verwechseln mit DIY, war immer die Prämisse. Bis zum letzten Tag. Ich wollte weder mein Privatleben opfern noch mich beugen. 

Haltung

Hmm, ganz wichtig. Ich glaube, dass der vorliegende Text mehr als genug über die Haltung aussagt, mit der ich Unrock betrieben habe. Eines vielleicht: Haltung hat dazu geführt, dass Unrock geworden ist, was es war, aber auch dazu, was es nie geworden ist. Natürlich ist Unrock auch ein politisches Konstrukt gewesen. Es war bewusst antiakademisch geprägt und auf eine, wie ich finde, charmante Art auch exklusiv.

Instore Gigs

Die Instore Gigs gab es zuerst im kleinen Laden am Karlsplatz, danach sind wir zur Stephanstraße in die Innenstadt gezogen. Von da aus ging es nach Essen, dann zurück in den größeren Laden am Karlsplatz, wo größere Konzerte im sogenannten Hinterzimmer mit einem Fassungsvermögen von 150 bis 200 Leuten möglich waren. Für die lokale Szene am Niederrhein war Unrock eine exotische Herausforderung. Die Instore Gigs waren Teil des Ladenkonzepts, um die Neugier der Locals zu wecken. Mit mäßigem Erfolg, aber es hat sich eine Crowd zusammengefunden, groß genug, um das Konstrukt eine Weile zu tragen, aber auf Dauer zu klein. In der Gegend waren wir damit Pioniere, sowas gab es hier vorher nicht, vor allen Dingen nicht auf internationalem Niveau. Weil ich keine Locals auftreten ließ, gab es auch durchaus eine gewisse Ablehnung in der Szene – weil die Stadteilfürsten der Szene gemeinhin ihren Tellerrand mit dem Horizont verwechselten, hatten sie in der Regel keine Ahnung davon, dass ich Leute hergeholt habe, die sonst eher die Bühnen der Metropolen bespielten und sich nicht in der rheinischen Diaspora tummelten. Die Unterstützung der zum Teil regelmäßig wiederkehrenden Musiker war extrem ermutigend. Richard Bishop, Alan Bishop, Carla Bozulich, Daniel Higgs, Ava Mendoza, Samara Lubelski waren Stammgäste im Kosmos. Marshall Allen, Sunburned Hand Of The Man, MV&EE, Marissa Nadler, Paul Metzger, Matana Roberts, Josephine Foster, Mike Moya, James Jackson Toth und unzählige andere.

Kraak 2000 © Unrock

Jonglieren

Wurde gezwungenermaßen Teil der Ausrichtung. Ich pflegte mir schönzureden, dass die Veröffentlichung einer Platte eines sogenannten »Etablierten« das wahrscheinliche Nicht-Erreichen des Break-even der Platte eines unbekannten Musikers auffangen würde, was natürlich nicht der Fall war. 

Kund*innen/Musikliebhaber*innen

Es gibt einige, die möchte ich vom an dieser Stelle Gesagten ausnehmen, aber im Grunde ist der Vinylkäufer ein nerviges Etwas. Der Handel mit Schallplatten ist emotional behaftet, anders als der mit Bananen zum Beispiel. Es sind Devotionalien, mitunter kultisch verehrt und verklärt. Der eine will immer nur die limitierteste Ausgabe einer Schallplatte und reagiert angefasst, fast persönlich beleidigt, wenn es mal nicht hinhaut, andere schicken mir Verpackungsanweisungen, in denen die Beschaffenheit der Kartonage geregelt und der Logistiker vorbestimmt ist. Für manche ist ein Minimaldefekt am Cover ein größeres Problem. Ich meine jenseits allgemeinverständlicher Grenzen. Das hat was Fetischistisches und ist mir suspekt. Einige habe ich abgelehnt zu bedienen. Ich bin mir auch sicher, dass ein nicht unerheblicher Teil der Platten, die ich verkauft habe, niemals gehört worden ist. Gewährst du dem Kunden die Zahlung gegen Rechnung nach Erhalt, geht das oft zwei- oder dreimal gut, danach geht er gerne dazu über, zu bezahlen, wenn er Lust dazu hat. Online-Bezahldienste haben das Problem immerhin gelindert. Ich glaube, dass viele Käufer von Vinylplatten Briefmarkensammlern sehr ähneln. Viele sind ein bisschen kauzig und verschroben und pflegen mitunter merkwürdige Gewohnheiten. Die allermeisten sind männlich. Frauen kaufen anders Platten. Die Ladenkundschaft zeigte noch andere auffällige Verhaltensmuster, die jeder Betreiber eines kuratierten oder ansonsten unabhängigen Plattenladens kennt. Um mich für diese Stammkundschaft besser präpariert zu fühlen, habe ich mal ein Springrollo beschriftet, das ich hinter mir im Laden aufhängen wollte, aber das dann doch nie getan habe. Darauf stand: Seelsorge: € 30, Psychotherapie: € 100, Paartherapie: € 150, Erziehungshilfe: € 50 und so weiter. Eine harmlos am Rande eines Verkaufsgesprächs entstehende Unterhaltung kann sehr schnell eine unerwünschte Wendung nehmen, wenn es ins Persönliche geht. Das kommt häufig vor und man benötigt gezwungenermaßen Vermeidungsstrategien. Gerne lässt der vermeintliche Kunde am Ende eines solchen Gesprächs die ausgesuchten Platten auf der Theke liegen, mit dem Hinweis, sie beim nächsten Besuch zu kaufen.

Karkhana © Unrock

Label (Unrock)

Fand sich schnell in einer Nische wieder, die Fluch und Segen war. Im Grunde hat das Label in Deutschland nie Interesse geweckt. 90 Prozent meiner Verkäufe sind ins Ausland passiert. Warum das so ist, habe ich nie ganz verstanden. Immerhin sind Exporte aus der EU weitgehend steuerfrei. Der Prozess der Entstehung mancher Platten war extrem spannend und aufwändig. Nehmen wir zum Beispiel die »Ivory Tower« LP von Sir Richard Bishop und Ava Mendoza. Die Platte ist komplett am Bismarckplatz entstanden, der als Headquarter und Wohnung funktionierte. Das Headquarter, egal wo es gerade war, war immer der Ivory Tower. Ricks Beitrag war eine interne Weihnachtsfeier vor Freunden. Ava war ein paar Tage hier, wir haben recorded und probiert, bis wir ein gutes Ergebnis hatten. Peter hat jeweils die Aufnahme geleitet, die Cover habe ich dann mit Philip gestaltet. Das war sehr organisch und das Resultat war dementsprechend. Das entsprach unserer No-Bullshit-Policy. Die Arbeit an Alvarius Bs »Trolling The De-Enlightenment« LP hat sich über Jahre erstreckt. Es stecken Aufnahmen darin, die Peter und ich an verschiedensten Plätzen Europas zu verschiedenen Anlässen gemacht haben, und ich liebe diese Platte. Karkhanas »Al dar Al Hamra« LP haben Peter und ich in Amsterdam im OCCII bei Sjoerd Stolk (Stu) aufgenommen. Die Platte mit Rick und Bill (Orcutt) ist übrigens auch komplett in Krefeld entstanden. Der Beitrag von Tashi Dorji für die Split LP mit Eyvind Kang stammt ebenfalls aus dem Ivory Tower. Diese Vorgehensweise, wann immer möglich, entsprach komplett meiner Haltung. Leider war das nicht mit allen Platten möglich, die bei Unrock rauskamen, aber es war immer persönlich, sonst wäre es für mich nicht in Frage gekommen.

Mailorder

Ist daraus entstanden, dass ich, wenn ich Bands auf Tour durch Europa begleitet habe, Adressen sammelte, postalische wohlgemerkt, von Leuten, die an meinem Tisch Merch gekauft haben. Einige Bands, auch solche, die mich am Ende nicht oder nicht vollständig bezahlen konnten, haben mir quasi ihr übriggebliebenes Merch dagelassen. Als ich begriffen habe, dass es bei den verdächtigen US-Schallplattenvertrieben jede Menge interessantes Zeug gab, das ansonsten in Europa schlicht nirgends zu ergattern war, habe ich die ersten Kisten Import-Zeug bestellt und die erste Liste an den entstandenen Verteiler verschickt. Das schlug ein wie eine Bombe. Ich traute meinen Augen kaum. Das waren Zeiten, in denen gab es weder das Internet, wie wir es heute kennen, noch E-Mails, Discogs oder Bezahldienste, mit denen man internationale Transaktionen tätigen konnte. Die Dinge waren viel weiter weg als ein paar Mausklicks. Wollte man Zugriff, musste deutlich mehr investiert werden als heute. Auf vielen Ebenen. 

Nachwuchs 

Ich sehe keinen. Das mag mit daran liegen, dass meine Interessen und Ansprüche und die der Jungen sehr unterschiedlich sind. Ich halte aber auch für möglich, dass die von mir gelebten Formen von Subkultur und Underground einfach Phänomene einer Ära waren, die zu Ende geht.

A-Trio © Unrock

Odijk, Georg/Dommert, Frank/Brauneis, Wolfgang

Georg, Frank und Wolfgang sind seit Jahrzehnten Weggefährten. Im weitesten Sinne betreiben Sie mit A-Musik etwas sehr ähnliches wie Unrock, mit leicht anderen Schwerpunkten, aber dem gleichen Antrieb. Wir sind seit ewigen Zeiten befreundet und ich schätze sie alle sehr. Eine Weile hat Unrock auch mal Obdach unter dem Dach von A-Musik gefunden und ich habe dort im Laden mitgearbeitet. Auch mit Ladenkonzerten von Byggesett Orchestra, Tashi Dorji und Ava Mendoza habe ich sie strapaziert. 

Politik (lokal)

Ist eine lustige Geschichte. Es gab eine Zeit, da war ich der irrigen Annahme, dass meine kulturelle Arbeit in meiner Heimatstadt eventuell durch finanzielle, materielle oder anderweitige Zuwendungen der Stadt unterstützt werden würde. Das war ein Trugschluss und rückblickend wäre es besser gewesen, keine Energien dahingehend zu verschwenden.

Quälerei

Selten war es das, fast nie. 

Rock’n’Roll 

Hat für mich eher die Bedeutung, eine Keimzelle für vieles daraus Folgende gewesen zu sein. Der Virus hat mich in jungen Jahren erwischt, ich war zu empfänglich für alles, was nach Rebellion, Revolte und Aufstand roch. Ich war ein Teufel und Brandstifter. Musikalisch kanalisiert hat das dann ein anderer Weggefährte. Georg Nichzienski betrieb in Krefeld einen legendären Plattenladen, in dem er versucht hat, die musikalischen Horizonte der Krefelder zu strapazieren. Ich habe dort eine Weile gejobt und Georg hat mir schnell die richtigen Platten in die Hand gedrückt. Nachdem ich einige Zeit im Ausland war, habe ich mich als Tourleiter verdingt. Das war die Zeit, als Indie sich auf den Weg machte, Mainstream zu werden, und jeder musikalische Schrotthaufen, sofern aus Übersee, schnell als der heißeste Scheiß gehandelt wurde. Wo ich nie angedockt habe, war Punk. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben mich Ausdruck, Attitüde und Musik zu Tode gelangweilt. Für mich musste es immer schräg sein, damit ich etwas damit anfangen konnte. Skurril, absurd, abgründig. Ich persönlich hatte auch nie eine Vorliebe für schlechten Style, der in dieser Szene wirklich legendär ist. Ich schätze Stil in jeder Form, ob bei Ästhetik, Kleidung, Benimm, einfach in allen Dingen des Lebens.

Dwarfs Of East Agouza, Michael Stahl © Unrock

Südbahnhof und Kulturrampe, Krefeld

Zwei sehr unterschiedliche Veranstaltungsorte. Einerseits der städtische Südbahnhof, weich gebettet und sträflich vernachlässigt, und andererseits die mit der Power einer Person und ein paar Helfern betriebene Kulturrampe. Der Südbahnhof hat mir eine Reihe von Konzerten ermöglicht, die in Teilen extrem gut angekommen sind und viele Menschen aus anderen Städten angelockt haben. Brothers Unconnected, Rangda, Carla Bozulich, Wooden Shjips, Group Inerane, Bill Orcutt, Niobe, Sunburned Hand Of The Man und ein paar andere. Der unrühmliche Höhepunkt war ein Abend mit Sunburned Hand Of The Man. Pille Peerlings von der Kulturrampe hatte persönlich einen komplett anderen Schwerpunkt, aber früh erkannt, dass die Unrock Series Potenzial hatte. Er hat nie Nein gesagt, wenn ich irgendwas unter seinem Dach machen wollte. Es waren ungezählte Shows, manchmal war der Laden ausverkauft, aber auch oft halbleer. Jack Rose hat dort sein einziges Deutschland-Konzert gespielt vor einem Häuflein Versprengter und soweit ich weiß, war es auch das letzte Konzert seines Lebens. Es gab glänzende Abende, unter anderem mit Master Musicians Of Bukkake, die den Laden zum Toben gebracht haben, völlig losgelöst. Ein anderer sehr spezieller Abend war eine Alvarius-B-Show, wo es zu lebhafter Interaktion mit dem Publikum nicht nur über Beschneidung kam.

Torschluss, keine Panik

Es ist ein Zusammenwirken verschiedener Entwicklungen und Erkenntnisse, die zu ignorieren töricht wäre. Es sind nicht etwa gestiegene Produktionskosten, nein. An anderer Stelle habe ich erwähnt, dass gut 90 Prozent meiner Kunden im Ausland leben, mehr als die Hälfte davon auch außerhalb der EU. Der versicherte Versand einer oder mehrerer LPs in zum Beispiel die USA kostet Stand heute € 47,99. Wenn man lange sucht, findet man Versandsysteme, die den Preis drücken, aber den Versand anderweitig erschweren. Ein weiterer Grund ist die Schwemme an Nischen-Releases verbunden mit der Schwierigkeit, Interesse beim Kunden zu wecken. Die Allermeisten folgen ihrer eigenen Blase. Viele der von uns vertretenen und vertriebenen Musiker finden hierzulande keine Auftrittsmöglichkeiten mehr, andere möchten nicht mehr in Deutschland spielen. Die daraus resultierende wirtschaftliche Unverantwortlichkeit, das Business in dieser Form weiterzuführen, paart sich mit dem Gefühl, dass ich in dem Metier nichts mehr erleben kann, das ich nicht schon erlebt habe. Ich bin da genauso entschlossen wie immer. Als der stationäre Laden und die Konzerte damals nicht mehr tragbar waren, habe ich es auch radikal von einem auf den anderen Tag beendet. Ich werde mich da nicht verbiegen.

Bill Orcutt © Unrock

Underground (strictly)

Unrock war gelebter Underground. In den besten Zeiten haben wir ein Label, einen Plattenladen mit Mailorder, eine Venue und eine zugegeben nicht lizensierte Bar betrieben. In der tiefsten, piefigen, stockkonservativen, niederrheinischen Provinz. Der Ansatz war radikal und hatte was Anarchisches. Wir haben genau das getan, was wir wollten, und eine Weile lang war es wie ein Rausch. Fast wöchentlich kamen genau die Musiker, die wir zeigen wollten, und sie kamen gerne, weil sie die Aura, die Unrock damals umgab, schätzten. Es war eine Phase kreativen Austauschs, wo oft eines zum anderen kam und die Dinge sich fügten. Wir hatten glänzende Abende mit großartigen Shows in genau der Umgebung, die wir wollten, ganz zu schweigen von den Gelagen danach. Natürlich hat sich diese Vorgehensweise massiv auf die Entwicklung des Labels niedergeschlagen. Wir haben völlig organisch mit den Musikern, die uns besuchten, Aufnahmen produziert, die wir dann mittels Vinyl in alle Welt gestreut haben. Alle waren beteiligt, jeder Prozess war transparent und die Fäden liefen bei mir zusammen. Unsere größte Stärke, die Spontaneität, war gleichzeitig auch unsere größte Schwäche. Ich war ein grottenschlechter Promoter, es gab keine Schedule, keine Buchhaltung, wenn wir uns für etwas entschieden haben, haben wir es durchgezogen. Zum Verständnis: Die allermeisten (lame-ass) Underground-Vinylproduktionen entstehen in einem weitgehend anonymen Prozess, wo es oftmals eine rein wirtschaftliche Verbindung zwischen Musiker und Label gibt. Man einigt sich auf einen Deal, dann wechseln Dateien den Besitzer, ein Tontechniker und ein Grafiker machen ihren Job und finally steht irgendwann eine Platte beim Händler im Regal. Sowas gab es bei uns schlicht nicht. Manchmal saßen Peter (Koerfer) und ich abends bei Kerzenlicht im Schaufenster und haben gegessen, was ich im Hinterzimmer gekocht habe, während wir neue Projekte ausgeheckt haben.

Vorausgehen vs. Verschleiß 

Damit kann wohl nur der was anfangen, der schon längere Zeit in dem Business tätig ist. Neben der Normalität, die im Laufe der Zeit dazu führt, dass Energie in gleichem Maße abnimmt wie Verschleiß zu, kommt die politische Ausrichtung des sogenannten Westens. Preiserhöhungen, Abgaben, Zölle, Krisen setzen unabhängigen Selbständigen mehr und mehr zu. Der Käufer, egal ob er eine Konzertkarte oder eine Platte kauft, ächzt, weil mit der Kaufkraft auch das Interesse schwindet. Das Angebot ist völlig ausufernd und damit unübersichtlich. Als Beispiel nehme ich die Neuheiten-Box meiner Kölner Kollegen von A-Musik. Wenn ich das durchblättere, denke ich immer, wer zur Hölle soll das alles kaufen? Kein Wunder, dass die Auflage so mancher Nischen-Platte, von der irgendjemand überzeugt ist, dass die Welt sie braucht, am Ende unter irgendeinem Bett oder im Keller ungehört vergammelt.

V. l. n. r.: Richard Bishop, Michael Stahl, Hisham Mayet © Unrock

Weggefährt*innen

Im Grunde war und bin ich ein Einzelgänger, aber Weggefährten gab es über die Jahre einige. Ich lasse hier bewusst die Seite der Musiker außen vor, das ist ein anderes Thema. An erster Stelle möchte ich hier aber Peter Koerfer und Philip Lethen nennen, die mich zu jeder Zeit unterstützt haben. Peters Hingabe für Unrock war fast bedingungslos, Philip war immer ein loyaler freundschaftlicher Begleiter durch Jahrzehnte und wir treffen uns immer noch sehr regelmäßig. Ohne Peter und Philip wäre das Label nicht zu dem geworden, was es ist. Auch Achim Bartsch, quasi der Hausmeister und Mädchen für alles, hat sich zwar nicht für die Musik interessiert, umso mehr aber für das Konstrukt, gehört unbedingt zu den Unrock All-Stars. 

XY – ungelöst: Zusammenarbeit, zu der es nie kam

In der Tat sind wir einem befreundeten Musiker ein versprochenes Projekt am Ende schuldig geblieben. Wir haben seinerzeit Paul Metzger komplett akustisch in einer sehr intimen Atmenosphäre in Essen aufgenommen. Eine glasklare Aufnahme einer wirklich virtuosen Performance. Es hätte UnrockLP018 werden sollen, ich habe es aber bisher nicht realisiert. Paul ist ein großer Meister auf seinen vielen Saiteninstrumenten, aber ihm fehlt der Bekanntheitsgrad und die Sexyness eines Richard Bishop. Gerade in Europa ist er beinahe völlig unbekannt. Ich habe oft gezuckt, aber am Ende den Schwanz eingezogen. Asche auf mein Haupt. Eine weitere Herzensangelegenheit ist eine Tonspur von Sharif Sehnaoui, ebenfalls entstanden im Ivory Tower am Bismarckplatz in Krefeld. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sharif hat mir freie Hand gelassen. 

Zuhause/Zumachen/Zukunft/Zeit

Das hört sich ganz furchtbar nach in Rente gehen an. Ich denke, ich werde mich vor den Fernseher setzen, dritte Hockey-Damen-Liga schauen, zocken, fett werden und meine üppige Rente verprassen. Nein, Quatsch. Ich stehe mitten im Job. Was die meisten nicht wissen, Hotellerie zieht sich genauso durch meine Leben wie Musik. Also ich werde im kommenden Jahr Alan in Kairo in seiner neuen Wohnung besuchen, die Dwarfs Of East Agouza sind beim Moers Festival 2026, was wir ganz hart feiern werden. Die Linie der Lathe-Cuts auf »El Burro’s Inscrutable Intentions« wird ebenfalls weitergehen. Außerdem bleibe ich natürlich als Ambassador für die Brüder Bishop aktiv.

Home / Musik / Artikel

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
17.12.2025

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen