Vorneweg: Biografische Randnotizen dienen der Einordnung, dem besseren Verständnis von Zeitumständen. Diese erschließen sich vor allem durch die Lektüre von »Interessant, du, faktisch …«, bei der der Autor dieser Zeilen immer wieder mal laut auflachen musste. Edek Bartz ist eine Institution, die eigentlich nichts aus der Fassung bringen konnte. Trotz nicht weniger Desaster sind seine Erinnerungen aus seinem vielseitigen Leben als Wurstsemmel-, Buch- und Plattenverkäufer, DJ, Musiker, Konzertmanager, Tourbegleiter oder Kunstkurator stets amüsant. Und berichten über die allmähliche Entstehung einer Musik- und Kunstszene, die in den 1960er-Jahren auf nur wenige Lokale in der Wiener Innenstadt und zentral gelegene Konzertschauplätze beschränkt war. »Interessant, du, faktisch …« weist als Co-Titel auf die Nonchalance und witzige Reflexionskraft des Pop-Zeitzeugen hin. Die langen Gepräche, aufgezeichnet von »Falter«-Redakteur Klaus Nüchtern für den im Residenz Verlag erschienen Band »Edek Bartz und Wiens Aufbruch in die Pop-Moderne«, sind darüber hinaus in lässig klingende Kapitel strukturiert. Zäumen wir das Buch also von hinten auf. »Als Wien international Anschluss gefunden hatte, wurde es eigentlich uninteressant«, lautet das letzte Kapitel wenig verheißungsvoll. Die Fülle an Möglichkeiten (auch, weil zu große Veranstalter wie Barracuda hauptsächlich »sichere Banken« veranstalten) macht faul: »Das könnte man so sagen. In gewisser Weise tötet sie die Kreativität« sagt Bartz, der das gestiegene Niveau der Musiker*innen kühl konterkariert: »Aber ein Taylor-Swift-Konzert ist eben nicht Woodstock«. Noch etwas ist symptomatisch für die teuren, grassierenden Gigantomanien. 1992 oder 1993 brachte Bartz für den Tourneeveranstalter Stimmen der Welt erstmals Metallica in die Wiener Stadthalle. Infolge einer Einladung besuchte Bartz kürzlich das Metallica-Konzert in Ebreichsdorf, wo die Crew der Band 160 Leute umfasste und 27 Lkws das Equipment herankarrten: »Wenn man aber nicht, so wie ich, Karten für den berüchtigten ›Snake pit‹ hat, von wo aus man den Musikern in die Nasenlöcher schauen kann, sieht man auf solchen Konzerten so gut wie nichts. Die Leute schauen nur noch auf die Video-Walls.«

Friedrich Gulda und Pink Floyd beim Musikforum Ossiach, 1971
Heutzutage entspricht die Materialschlacht, die Bartz 1971 fürs Engagement von Pink Floyd in Kärnten aufwenden musste, »dem Niveau einer x-beliebigen Vorband«. Friedrich Gulda programmierte damals das Musikforum Ossiach und Pink Floyd wurden extra zum ersten Österreich-Gig eingeflogen, um mit der Zagreber Philharmonie mit Chor und Orchester die »Atom Heart Mother«-Suite live aufzuführen. Auch Weather Report traten dort auf und es war normal, dass man im Café oder im Wirtshaus mit den Musikern reden konnte. Eine Kolonne von Tausenden Autos bewegte sich auf Ossiach zu, weshalb das bereits ausverkaufte Konzert nach außen übertragen wurde, mit einer Technik, die damals keineswegs den lauten Standards von Ebreichsdorf entsprach. »Nach dem Konzert, das sehr schön war, hat Ossiach freilich nicht mehr wie Ossiach ausgesehen. Sämtliche Geschäfte waren leer gekauft, man konnte im ganzen Ort keine Wurstsemmel und kein Joghurt mehr kriegen. Die Restaurants haben weniger profitiert, die waren für das Gros des Publikums einfach zu teuer, und die deutschen Touristen haben sich gefürchtet. So viele Langhaarige hatten die noch nie gesehen, und in jedem Gebüsch lagen die Kids und haben gevögelt. Das war dann auch das Ende des Musikforums Ossiacher See.« Gulda, der für sein Mozart-Vorprogramm endlich kein Anzugträger-Pubikum hatte, kannte Bartz von seinem Schallplattenverkäufer-Job im Musikhaus 3/4 und seinen Jams in Fatty Georges Club. Bartz schätzt ihn für seine Offenheit: Als Klassik-Pianist berühmt, trat Gulda nach einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall unangekündigt beim Newport Jazzfestival auf, improvisierte mit Paul und Limpe Fuchs, spielte als Albert Golowin Wienerlieder als Support von Randy Newman und erkannte auch die Bedeutung von House, wenngleich ein Gig mit Ibiza-House-DJ Pippi nur schiefgehen konnte.

Anekdoten von The Mothers of Invention (1967) bis Falco (1986)
Zahlreiche Schnurren ziehen sich durch Bartz’ Veranstalterleben, etwa dass Jimi Hendrix nicht verstand, warum sich bei seinen zwei 1969er-Konzerten im Wiener Konzerthaus viele Fans auf den Boden legten, um die ungewohnte Lautstärke auszuhalten. Nichts gegen die Mothers of Invention 1967 im Wiener Konzerthaus, wo als Vorprogramm zunächst ein Quartett in Ku-Klux-Klan-Kutten unter anderem Palestrina-Bearbeitungen spielte, was nach kurzer Zeit »Schleicht’s euch!«-Rufe evozierte. Nach einer kurzen Pause kommen die Ku-Klux-Klan-Verkleideten wieder auf die Bühne, weshalb ein Tumult losbricht. Das jetzige Quartett entpuppt sich als die Mothers of Invention, doch nach Frank Zappas legendärer Publikumsbeschimpfung wird es noch ärger: »In diesem Moment hört man, dass die Eingangstüren eingedrückt werden und das ausgesperrte Publikum das Konzerthaus stürmt. Die Polizei war vollkommen überfordert, die hatte so etwas noch nicht erlebt. Zappa schimpft, die Menschen laufen in den Saal, die Polizei hinter ihnen her. Währenddessen schwingt sich der Keyboarder Don Preston auf einem Seil, das von der Decke hängt, über die Bühne und beginnt, die Orgelempore zu erklimmen, haut in die Tasten und der Rest der Mothers setzt ein.« Jedoch: »Zappas Image als böser Bube war eine Mythos. Seine Musiker mussten sich vertraglich verpflichten, keine Drogen zu konsumieren«. Bartz hielt sich pragmatisch davon fern, verantwortlich auch für Geld oder Reisepässe der Musiker*innen, galt er als verlässlich, musste aber einige Tiefpunkte ertragen. 1980, drei Monate vor dem Tod von Drummer John Bonham, spielten Led Zeppelin wegen eines Cold Turkey ein grauenhaft schlechtes Konzert in der Wiener Stadthalle – der von der Band engagierte Mafioso konnte wegen Polizeipräsenz keine Drogen deponieren …

Doch Bartz hatte in London längst mitbekommen, dass Punk das neue große Ding ist. Bereits 1976 holte er für Stimmen der Welt, die Agentur des 2013 verstorbenen deutschen Konzert- und Tourneeveranstalters Fritz Rau, The Clash und Blondie nach Wien und wenig später die Patti Smith Band. Bartz kannte auch die New Yorker Szene. Nach einer Lesung, an der auch Alan Ginsberg teilgenommen hatte, war er in einem Lokal »und die komplett überdrehte Patti Smith hat mir prophezeit, dass ich ein ganz großer Rockstar würde und ein Konzert von ihr organisieren müsste«. Dass New York eine vielschichtige, boomende Avantgarde-Szene hatte, erkannte auch Radiolegende Wolfgang Kos (damals Ö3 »Musicbox«), der an ihn herantrat, um im Rahmen der Wiener Festwochen in der Secession die »Musikausstellung« Töne & Gegentöne aus der Taufe heben zu können. Nicht nur Konzerte von Glenn Branca über Terry Riley bis Meredith Monk, sondern auch eine Aufführung mit Werken von Wolfgang Rihm fanden ungeheuren Nachhall. Bartz’ Faible für Ethnomusik im weitesten Sinne – »weil ich Sehnsucht nach der weiten Welt hatte« – gipfelte im darauffolgenden Welttöne Festival, mit famosen Auftritten von Nusrat Fateh Ali Khan und 1995 mit finnischem Wahnsinn, reichend von Joik-Sänger Wimme Saari, erstmals Jimi Tenor, bis zu M.A. Numminen und dem Chor der Schreienden Männer Mieskuoro Huutajat. Einem Himmelfahrtskommando der anderen Art glich sein letzter Musikbiz-Job für Falco. Bartz sorgte für den richtigen Style, doch »hinter der Glamour-Fassade war Hans Hölzel ein Kleinbürger«. 1986 geriet aufgrund Falcos Alkoholkonsum die Japan-Tour zum Fiasko. Immerhin hatte Bartz dabei als Tourmanager und Butler wie Kindermädchen auch Lustiges zu bewältigen. Falco kam im Osaka anfangs gleich von der Bühne zurück: »Ich hab Halluzinationen. Im Saal sitzen lauter Falcos. Ich kann nicht auftreten.« »Was war passiert? Die Fans, die vorne saßen, hatten sich alle auf Falco gestylt: geiches Sakko, gleiche Frisur, gleiche Sonnenbrille.«

Vom Musik- zum Kunstkurator via Remise Floridsdorf
Otto Mühl begegnete Bartz schon früh zufällig im Zug und ließ sich als 14-Jähriger dessen Einladung zu einer Performance mit nackten Frauen, die angeschüttet wurden, nicht entgehen. Im Hawelka, neben dem Café Sport, dem Alt Wien, dem Koranda und einem Fernfahrerlokal am Naschmarkt Mittelpunkt der überschaubaren Kunstwelt, eignete sich Bartz durch Zuhören (Oswald Wiener oder Gerhard Rühm verkehrten dort ebenfalls) ein großes Wissen über die Welt der Kunst an und profitierte von einer Freundschaft zum Maler Kurt Kocherscheidt. Als Anfang der 1990er-Jahre eine Gruppe von Künstlern die aufgelassene Remise Floridsdorf auftrags der Stadt Wien übernahm, wurde Bartz eingebunden. Mike Kelley ließ dort 28 Schlagzeugsolos aus der Rockgeschichte nachspielen und der spätere Turner-Prize-Träger (1994) Antony Gormley »hat sich die Remise angesehen und ein Projekt namens ›Critical Mass‹ mit sechzig Skulpturen entwickelt. Interessanterweise war das keine allzu große Herausforderung: Man geht in eine Gießerei und erklärt, was man möchte. Die Figuren haben nicht mehr gekostet als 800 Schilling pro Stück!« Erst die Übernahme der Ausstellung durch die Royal Academy of Arts machte Gormley, der in der Remise erstmals in großem Maßstab arbeiten konnte, zum Shooting Star und zum Türöffner für Bartz. Von 2005 bis 2009 amtierte er als künstlerischer Leiter der Viennafair, einer zeitgenössischen Kunstmesse mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa. Sein Engagement als Lektor für die Angewandte Kunst durch Paolo Piva, der eine Klasse für Industrial Design übernommen hatte, geht aber nicht, wie Wolfgang Kos behauptete, auf seine modischen Pullover zurück, sondern auf organisatorische Fähigkeiten. Jahrelang kuratierte der längst pensionierte Edek Bartz die Jahresausstellungen auf der Angewandten. In den 1990er-Jahren ebenso Vertrautes: die Vienna Jewish Festival Week. Womit sich der Kreis zur Musik wieder schließt: 2016 hielt sich Bartz im Jüdischen Museum Wien als Ausstellungsmacher devot im Hintergrund. »Stars of David. Der Sound des 20. Jahrhunderts« war eine gelungene Schau über jüdische Künstler*innen, die das Musik-Business prägten, von Leonard Bernstein über Amy Winehouse bis Gene Simmons …

Vom Klezmorim zum New-Wave- und Schmuse-Jazz-Crooner
Zunächst Bezeichnendes aus dem Musikhaus Doblinger, wo Bartz nach dem Meinl am Stubenring als Schallplattenverkäufer arbeitete: »Eines Tages schneit der Peter Weibel herein und meint: ›Tauschen wir?‹ Sage ich: ›Was?‹ Sagt er: ›Na, ich geb dir ein Buch, und du gibst mir dafür die Platte vom Dylan.‹ Und nachdem ich geschaut habe, ob eh niemand zusieht, haben wir das gemacht. Damals hat ja kein Mensch Geld gehabt.« Das Druckwerk war übrigens ein Bildkompendium zum Wiener Aktionismus, das Weibel gemeinsam mit Valie Export herausgegeben hat. Bartz und Weibel haben als biografische Gemeinsamkeit, dass sie in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden. Weibel, dessen Herz ebenso für Kunst wie Musik (Hotel Morphila Orchester) schlug, 1944 in Odessa, Bartz 1946 in einem Internierungslager in Kasachstan. Nach einer Kindheit in Krakau und Wałbrzych (Waldenburg, Niederschlesien) kehrte seine Mutter Irene, getrennt von ihrem polnischen Mann, 1958 mit ihrem Sohn nach Wien zurück. Die jüdischen Feiertage wurden in Polen nur im Geheimen begangen und sein jüdischer Background wurde erst im Trio Les Sabres, das Bartz mit seinem Hauptschulfreund Albert Misak und Willi Weigl gründete, virulent. Live spielten Les Sabres eine Mischung aus Folk- und Klezmermusik und entfernten sich, weil die Exotik des Jiddischen mehr Aufmerksamkeit nach sich zog, von der Folkie-Ästhetik. Einerseits spielten Les Sabres in Pfarrheimen, Klöstern, katholischen Kulturzentren oder für Feste der Sozialistischen Partei. Andererseits: »Mit Les Sabres waren wir Dauergäste in jüdischen Altersheimen. Das war die Härte! Weil die Insassen die Lieder natürlich viel besser kannten als wir.« Erst später spielten Misak und Bartz auf jüdischen Hochzeiten, als Geduldig und Thimann, deren Benennung auf die Mächennamen ihrer Mütter zurückzuführen ist.

»Was Klezmer ist, hat damals niemand gewusst. Ein Freund hat uns auf Jospeh Greens Film ›Der Jidl mit der Fiedel‹ (1936) aufmerksam gemacht, in dem an zentraler Stelle auch das Wort ›Klezmer‹ (Anm: eine aus dem aschkenasischen Judentum stammende weltliche, nicht liturgische Volksmusiktradition) fiel. Der Drive und die Energie dieser Musik, die überhaupt nichts Trauriges hatte, haben uns umgehauen.« 1975 erschien das Debütalbum »Kum aher du filosof« auf André Hellers Mandragora-Label, 1992 das bislang letzte, »A haymish groove«, auf Extraplatte, ein Meilenstein der Modernisierung jiddischer Lieder, eingespielt mit Musiker*innen der New Yorker Downtown-Szene. Bartz produzierte übrigens auch die Langspielplatte »Hermann Nitsch – Akustisches Abreaktionsspiel« (1973) und bildete auf Betreiben von Ö3-Moderator Eberhard Forcher (Tom Pettings Herzattacken) mit Wolfgang Kos das New-Wave-Duo Leider keine Millionäre, mit mindestens zwei herausragende Songs. »Was zählt« oder »Wer nicht weggeht« haben kein Ablaufdatum. Dank der Neuen Deutschen Welle waren deutsche Lyrics in der Popmusik rehabilitiert und Bartz zog sein Vorhaben durch, einen Longplayer mit deutschen Texten – unter anderem von der Filmwissenschaftlerin Birgit Flos wortwörtlich (!) übersetzte Jazz-Standards – aufzunehmen. Mit Spitzenmusikern, etwa Arrangeur Ingfried Hoffmann, der für Klaus Doldinger arbeitete, Streichern des Kölner Rundfunkorchesters und dem Wiener Saxofonisten Karl Drewo: »Eine Platte, die einfach nur so dahinschleicht und die man sich zum Schmusen und Vögeln auflegen kann. Das hatte ich natürlich nicht erfunden, sondern es gab Vorbilder, Alben von Jazzmusikern wie Ben Webster, Chet Baker oder Horace Silver die alle ›Music for Lovers‹ hießen … Für mich war ›Ich habe Lust auf Liebe‹ eine feministische Platte. Ich habe quasi als Frau gesungen. Aber wenn ein Mann ›The Man I Love‹ mit dem Text ›Der Mann für mich‹ singt, ist das natürlich eine schwule Geschichte.« Bartz bekam Fanpost von seiner Plattenfirma EMI ausgehändigt. »Da standen Sachen drin wie: ›Ich liege gerade in Santa Monica am Strand, im Hintergrund läuft Ihre Platte, und ich werde von einem Gefühl der Lust überschwemmt.‹«

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