Teil 1 von »Europa am Abgrund« beschäftigte sich mit der Disruption des menschlichen Orientierungssinns durch Desinformation von autokratischen Großmächten und Big Tech, die in den USA die Demokratie erodieren ließen. Teil 2 zeigt gewisse Parallelen zwischen der Russischen Föderation und den USA auf. Wo wenig Kontrolle stattfinden kann und es an Regulierung mangelt, zerstört »das Krebsgeschwür der Kleptokratie« Demokratie bzw. macht diese beste aller Regierungsformen unmöglich. Im abschließenden Teil 3, wo sich unweigerlich die Frage nach der Macht stellt, sollen Perspektiven und Auswege aufgezeigt werden. Von Kontrollverlust Geplagten muss die Menschenwürde zurückgegeben werden, damit sie nicht auf die Heilsversprechungen der Rechtspopulisten hereinfallen.
Das aktuelle Buch dazu kommt vom C.H.Beck-Verlag: Eine Verschriftlichung eines Gespräches von Thomas Piketty, Sozial- und Wirtschaftshistoriker sowie Professor für Ökonomie an der École des hautes études in Paris, mit Michael J. Sandel, Professor für Regierungslehre an der Harvard University und politischer Philosoph. In »Die Kämpfe der Zukunft« wird auf höchstem Niveau über »Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert« diskutiert. Pikettys vorweggenommene Conclusio ist, was schon Jean-Jacques Rousseau 1754 im »Diskurs über den Ursprung der Ungleichheit« verdeutlichte: »das Problem ist die unfassbare Eigentumskonzentration in den Händen einiger weniger, die zu einer Machtkonzentration führt. Die einen haben die große Macht und die anderen verlieren die Kontrolle.«
Sandel und Piketty legen Leitlinien vor, doch wie und auf welche Weise die Macht für einen gerechten Sozialstaat zurückgewonnen werden kann, dafür gibt es keine Handlungsanleitung. Was faschistoide Präsidenten zerstört haben, wird sich nicht so einfach wieder zurückgewinnen lassen. Noch dazu in Form einer mafiösen Verbindung mit den Tech-Milliardären, die ihre Pfründe absichern wollen. Wie inhuman diese ticken, ist einem diesem dritten Teil der Serie eingefügten Gesprächsauszug mit Medientheoretiker Douglas Rushkoff, Autor von »Survival of the Richest – Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind«, transkribiert aus einer 3sat-»Kulturzeit«-Sendung, zu entnehmen.
Schweden: Demokratie in Faschismuszeiten der 1930/40er-Jahre
Immer wieder stellt sich die Machtfrage. Thomas Piketty beantwortet eine gelungene Dekommodisierung, also Entmarktung durch demokratische Umverteilung am Beispiel Schweden. »Bis zum ersten Weltkrieg war Schweden ein Land, in dem nur die obersten 20 Prozent der männlichen Bevölkerung wählen durften. Und innerhalb dieser 20 Prozent hatte man je nach Reichtum zwischen einer und hundert Stimmen […] Als die Sozialdemokraten mithilfe der Gewerkschaftsbewegung im Schweden der 1930er und 1940er Jahre an die Macht kamen, traten sie den Beweis an, dass der Staat als solcher weder pro Ungleichheit noch pro Gleichheit ist. Es kommt darauf an, wer den Staat kontrolliert, was man aus dem Staat und mit ihm macht. […] Die schwedischen Einkommensregister dienten jetzt dazu, je nach Einkommen und Vermögen nicht mehr Stimmrechte zu verteilen, sondern stark progressive Steuern zu erheben. So lässt sich ein System finanzieren, einschließlich eines Bildungssystems, das keiner geld- und gewinnorientierten Logik mehr gehorcht.«
Dekommodifizierung bedeutet also, ganzen Wirtschaftssektoren die Macht des Gewinnstrebens zu entreißen. Während in den USA die Bürger privat 20 Prozent des BIP nur für Gesundheit ausgeben müssen, beträgt es im Nicht-Shareholder-Modell durch Steuerumverteilung in westeuropäischen Demokratien bis zu 25 Prozent, bei weitaus qualitativerer Versorgung der Bevölkerung. Trumps Disruptionsexzess hat leider nur das eigene Wohl im Kopf und es wird keineswegs verstanden, dass die Schließung des Bildungsministeriums und der ideologische Wokeness-Kampf gegen Universitäten und Wissenschaft den Abstieg der USA beschleunigen wird. Gegenüber 90 Prozent der jüngeren Generation, die in den 1950er-Jahren die Highschool besuchten, waren es »in Deutschland, Frankreich und Japan damals 20 oder 30 Prozent, und es sollte bis zu den 1980er Jahren dauern, bis es diesen nahezu allgemeinen Zugang zur höheren Schuldbildung gab. Das ist der Schlüssel zum Wohlstand. Dass es Mitte des 20. Jahrhunderts den erwähnten Steuersatz von 80 oder 90 Prozent auf Spitzeneinkommen und sehr große Erbschaften gab, hatte am Ende keinerlei negative Auswirkungen auf irgendetwas von Belang. Diese Reduktion des Einkommens-, Vermögens- und Lohngefälles war nicht nur der progressiven Besteuerung, sondern auch den Mindestlöhnen und der stärkeren Rolle von Gewerkschaftsvertretern geschuldet, denen ich auch in Zukunft sehr viel mehr Macht in den Aufsichtsräten wünschen würde.«
Ganz entscheidend für einen Sozialstaat ist die Regulierung der Bezahlung im öffentlichen und privaten Sektor. Diese ist leider aus dem Ruder gelaufen: »Wenn man staatliche Regulierungsbehörden mit den richtigen Leuten besetzen will und ihnen zwanzigmal weniger zahlt als Google oder sonstwer, dann hat man ein Problem. Die Lösung liegt offenbar in der Verringerung der Einkommensunterschiede. Das ist jedenfalls das, was sich historisch bewährt hat.« Piketty verweigert zu Recht die Bezeichnung des Programms von Bernie Sanders und Elizabeth Warren als »linkspopulistisch«, das eingefleischte Mitte-Rechts-Sozialdemokraten eher als Schimpfwort gebrauchten. »Letztlich sieht die Position für mich sehr viel mehr nach einem demokratischen Sozialismus oder, wenn Sie so wollen, einer Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert aus.«
Ökonomische Schieflagen
Europa hatte es sich bequem eingerichtet, doch rächt sich nun, dass sich viele EU-Staaten trotz scharfer Warnungen in eine Energieabhängigkeit gegenüber der russischen Föderation verstrickt haben. Außerdem, damit musste man rechnen, ist der Schutzschirm von »Weltpolizist« USA über Europa passé. Dass die regierende techno-faschistoide Trump-Clique rechtsextreme Parteien in EU-Europa sogar verbal befürwortet, Putin ohne Einforderung von Sicherheitsgarantien entgegenkommt, NATO und Ukraine desavouiert und einen Diktat-Frieden anstrebt, verschärft die Lage. Dass dem Terror-Mafia-Staat Russland, wie einst Nazi-Deutschland, das über weite Teile Europas eine Gewaltherrschaft – wie Russland genozidal gegen die Ukraine und gegen die eigene kritische Bevölkerung – etablierte, leider keineswegs mit Appeasement-Politik, sondern nur durch Rüstung beizukommen ist, ist mehr als bitter.
Die Welt ist aus dem Gleichgewicht. Profit verheißende Investitionen waren den Eliten in den westlichen Demokratien wichtiger als das Bedenken von Auswirkungen gegen Umwelt und Geopolitik. Bereits die vom Neoliberalismus und Ideologen der Neocons angestoßenen Kriege (Irak etc.), die keine Demokratie, sondern Flüchtlinge brachten, zogen immense Destabilisierung nach sich. Es scheint, dass die Eliten im Kapitalismus zyklisch Kriege heraufbeschwören, um so sein Fortleben zu garantieren. Doch ist erwiesen, dass letztlich nur Zusammenarbeit und Gemeinschaftssinn die Menschheit weiterbrachten. Glücklich leben lässt es sich nur durch Kooperation und nicht durch Schüren von Konkurrenz. Dieses neoliberale Paradigma ist leider auch Teil der EU-Agenda. Beispielsweise sind die Europa-Headquarters fast aller Big-Tech-Konzerne, die mit ihren Algorithmen rechtsextreme Tendenzen verstärken, hauptsächlich in Irland situiert, weil diese dort am geringsten besteuert werden.
Die Machtergreifung der Rechtspopulisten ist nur Symptom, nicht Ursache der Polykrise. Gleichheit und Gerechtigkeit gab es in frühen Phasen des Kapitalismus viel weniger als heute. Was vor über hundert Jahren durch soziale politische Kämpfe errungen wurde, beseitigen durch demokratische Wahlen an die Macht gekommene rechtsextreme Populisten wie Argentiniens Milei und Trump mit eigentlich ungesetzlichen Maßnahmen, mit Verordnungsfederstrichen.
Kapitalverkehrsfreiheit killt Gemeinwohl
Der speziell aus kriegswirtschaftlichen Gründen in den USA während des Zweiten Weltkriegs angehobene Steuersatz für Reiche betrug bis zu 90 Prozent und wurde lange beibehalten, was den sozialen Aufstieg für einen Großteil der Amerikaner*innen ermöglichte. Es ist eine Mär der neoliberalen Erzählung, dass dadurch die Produktivität eingeschränkt worden wäre. Vielmehr war dies auch in europäischen Gesellschaften eine Notwendigkeit, allen Menschen, selbst unteren Schichten, ein würdiges Leben zu ermöglichen. Dass Überreiche schon seit Jahren kaum noch zum allgemeinen Wohlstand beitragen, führt dazu, dass Bürger*innen des Mittelstandes nicht mehr solidarisch zu niedrigeren Klassen sind, weil sie im Gegensatz zu den Überbegünstigten nicht einmal genug Kapital hätten, um dieses in Steueroasen verschwinden lassen zu können, sondern meist nur über ein Lohneinkommen verfügen, das im Vergleich enorm hoch versteuert wird. Superreiche hingegen nutzen die Infrastruktur und das Rechtssystem, und entziehen sich gemeinschaftlicher Pflichten.
Dazu Thomas Piketty: »Und dann steht es ihnen frei, einen Knopf zu drücken und den ganzen Reichtum in ein anderes Land mit anderer Rechtsprechung zu transferieren, ohne dass die Regierung ihnen folgen könnte, um sie zu besteuern. Also sagt die Regierung ihren Bürgern: ›Tut uns leid. Wir wissen auch nicht, wo der ganze Reichtum hin ist. Wir können da nichts tun.‹ Nur dass sie selber mitgeholfen hat, dieses unglaublich ausgeklügelte Rechtssystem aufzubauen, in dem jemand einen Knopf drücken kann, um all das Geld auf Nimmerwiedersehen zu verschieben. […] Das ist das Schlimmste, was sie der Idee des Internationalismus antun können, ein Rezept zur Erzeugung von Hass auf den Internationalismus. […] Die schiere Tatsache, dass es eine republikanische Regierung unter Trump brauchte, um einem von den Demokraten verabschiedeten NAFTA (North American Free Trade Agreement, von Bill Clinton vorangetrieben) eine soziale und lohnpolitische Komponente hinzuzufügen, spricht Bände darüber, wie sehr die Welt Kopf steht.
Das Gleiche passierte in meinem Land, als die Sozialistische Partei die rückhaltlose Integration der europäischen Märkte und den Eintritt Chinas in die World Trade Organisation befürwortete. Noch heute ist einer der besten Prädikatoren des Votums für Le Pen die Neinstimme beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag von 2005, der als Verherrlichung des Freihandels und der freien Kapitalflüsse galt. Es sind tatsächlich jene Kleinstädte vor allem im Nordosten Frankreichs, die sehr unter dem Verlust von Arbeitsplätzen nach dem Eintritt Chinas in die WTO gelitten haben, die 2005 überproportional mit Nein gestimmt hatten und heute noch für Le Pen stimmen. Ähnliche Studien für die USA zeigen, dass Trump den größten Zuspruch in den Gemeinden und Countys mit den größten Arbeitsplatzverlusten durch die chinesische Konkurrenz erfahren hat.«
Rückgewinnung der Kontrolle über Kapital- und Handelsströme
Die nationalen Sonderwege, die rechtsextreme Regierungen einschlagen, sind garantiert die falsche Alternative. Piketty denkt, »wenn wir so etwas wie die Kontrolle der Kapital- und Handelsströme nicht in Angriff nehmen, dann sieht die Alternative so aus, dass wir den Nativisten, die den Zustrom von Arbeitskräften eindämmen wollen, und denen, die auf Identität fixiert sind, das Feld überlassen. Das wird dann hässlich enden. Und die Sozial- und Umweltprobleme, die wir lösen müssen, wird es auch nicht lösen.«
Aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit dem Kolonialismus und Extraktivismus der westlichen Industriestaaten werden die Länder des Südens nur schwer für eine gemeinsame Auswegstrategie zu gewinnen sein: »Darum muss die ganze Bemühung um eine Transformation des globalen Wirtschafts-, Finanz- und Steuersystems wie der Umweltauflagen immer beidem dienen, der Aussöhnung der Menschen im Norden mit der Globalisierung und Internationalisierung, aber auch der Versöhnung von Süd und Nord, wenn man so sagen kann, durch ein gemeinsames Projekt. Andernfalls werden wir in eine extrem konfliktgeladene Situation hineingeraten.« Internationale Kooperation ist dringend nötig, die Bedürfnisse des Südens müssen endlich berücksichtigt werden. Statt viel zu niedrige Ausgleichszahlungen für Klimaschäden »brauchen wir einen zielgenauen, zweckgebundenen Anteil einer globalen Steuer für die reichsten Milliardäre und multinationale Unternehmen, der direkt an Länder im Süden fließt, proportional zu ihrer Gefährdung durch den Klimawandel.«
Viel Zeit bleibt nicht mehr, da auch in Kerneuropa immer mehr reaktionäre Regierungen gewählt werden, die wider die Erkenntnisse aus der Geschichte die Problemlösung in nationalem Handeln sehen. Piketty schlägt einen Sozialföderalismus vor, um das drohende Abgleiten in faschistischen Autoritarismus abzuwehren: »Ich habe mich für eine andere, auf die nationalen Parlamente gestützte Form des Europäischen Parlaments eingesetzt. In der ohne die Einstimmigkeitsregel, also durch Mehrheitsbeschluss, eine europaweite CO2-Steuer und Vermögenssteuer beschlossen werden könnte. Ich würde auch eine gemeinsame Versammlung von EU und Afrikanischer Union befürworten, um eine gemeinsame Besteuerung zur Finanzierung öffentlicher Güter im Mittelmeerraum einzuführen. Kurzum: Ich bin bekennender Internationalist und Föderalist, aber ich glaube, dass wir zugleich unilaterale Strategien einzelner Länder brauchen, damit die Dinge in Gang kommen.«
Wertschätzung, Würde und Respekt
Politiker links der Mitte, von Tony Blair bis Gerhard Schröder, tragen große Schuld an der Malaise, weil sie die Ideale der Sozialdemokratie verraten haben. Sie haben keineswegs bedacht, dass, wenn formale und materielle Gleichheit zu weit auseinanderdriften, sich die Demokratie immer weniger aufrechterhalten lässt. In den USA hätte Bill Clinton an der Macht die Möglichkeit gehabt, die Internetgiganten und den TV-Markt zu regulieren. Barack Obama hat die Chance, die Finanzindustrie nach dem Zusammenbruch 2007 an die Kandare zu nehmen, verstreichen lassen. Steuerzahler*innen mussten weltweit die Banken retten. Doch sollten Märkte dem Gemeinwohl dienen.
Das Paradigma Leistungsgesellschaft hat leider wesentlich die Polarisierung befeuert. Als aufgrund der Globalisierung sich Arbeitsplatzverluste häuften und Löhne stagnierten (CEOs verdienen bis zu 5.000 Mal mehr als gewöhnliche Arbeitnehmer*innen), wurden sie von Mitte-Rechts- bis Mitte-Links-Politikern mit wohlmeinenden Ratschlägen abgespeist. Was man verdient, hänge von Bildung ab, aber selbst Leute mit Uni-Abschluss haben Probleme. Außerdem ist die Ansage, man könne es schaffen, wenn man es nur wolle, generell falsch, weil in einer kapitalistischen Pyramide nicht jeder aufsteigen kann. Michael Sandel schlussfolgert über die drei Aspekte der Gleichheit: »Einer ist ökonomischer Natur und betrifft die Verteilung von Einkommen und Vermögen. Ein zweiter ist politischer Natur, da geht es um Mitsprache, Macht und Partizipation. Dann gibt es eine dritte Kategorie, bei der es um ›Würde‹, ›Status‹, ›Respekt‹, ›Anerkennung‹, ›Ehre‹ und ›Wertschätzung‹ geht. Meine Vermutung ist, dass die dritte Dimension politisch und vielleicht auch moralisch die größte Kraft ist.«
Wo das eine gute Zukunft versprechende Narrativ der neoliberalen Leistungsgesellschaft längst nicht mehr eingehalten werden kann, haben die Stimmen der Gedemütigten, Gekränkten und Verunsicherten große Sprengkraft. Rechtspopulistische Parteien manipulieren und verstärken diese Gefühle und weil auch der Mittelstand den Kontrollverlust über das eigene Leben zusehends verspürt, können Demokratien kippen. Linke Sozialdemokraten hätten Rezepte, doch propagiert die Dominanz von konservativen Medien und Social Media die Denunziation von Vermögens- und Erbschafssteuern als »kommunistisch«.
Hybris der Überreichen
Neben Globalisierung und Finanzialisierung ist die Meritokratie gemäß Sandel die dritte Säule der neoliberalen Ära. Es geht nicht nur um die Kluft der Einkommens- und Vermögensungleichheiten: »Die an der Spitze gelandet sind, leben in der Überzeugung, dass ihr Erfolg ihre eigene Leistung, die Messlatte ihrer Verdienste ist und sie darum auch die Belohnung verdient haben, die der Markt ihnen beschert. Und im Umkehrschluss müssen alle, die auf der Strecke bleiben und sich schwertun, ihr Schicksal ebenfalls verdient haben. Dies leistet der Überheblichkeit der Gewinner Vorschub und der Demütigung derer, die zurückbleiben und darüber belehrt, ja vielleicht davon überzeugt werden, es sei ihre eigene Schuld, wenn sie auf der Strecke bleiben und sich schwertun.« Dass die wenigen Aufsteigenden ihre Privilegien staatlichen Ausbildungsstätten, funktionierendem Recht und weiteren Institutionen des Staates verdanken, wird von den Plutokraten gern verdrängt.
Douglas Rushkoff, der von fünf Tech-Milliardären in ein Gated Wüstenresort eingeladen wurde, lässt im Buch »Survival of the Richest – Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind« tief blicken. In einem Interview mit 3sat »Kulturzeit« am 3. März 2025 brachte der US-Medientheoretiker das libertäre Denken der Transhumanisten, die nur ihre eigene Freiheit meinen, auf den Punkt: »Wovor sie eigentlich fliehen, sind die Konsequenzen ihres eigenen Handelns. Sie wollen genug Geld verdienen, um der Realität zu entfliehen, die sie selbst geschaffen haben. […] Da gibt es den Dominierenden und die Dominierten. Hier ist der Tech-Übermensch und dort die Massen unter ihnen.«
Faschistoides Mindset der Techno-Feudalen
Der Umgang der Thiels und Musks mit unserer Welt ist absolut menschen- und umweltfeindlich. Alles wird einer Verwertungs- und Profitlogik unterworfen. Die Techno-Feudalen können ihren Geschäften unreguliert nachgehen und die Nutzer*innen bezahlen dies noch dazu mit ihren Daten. Und fatalerweise betreibt die faschistisch denkende und handelnde Trump-Clique die Zerstörung demokratischer Strukturen, ein wichtiger Teil des schamlosen Mindsets der Techno-Milliardäre. »Als Geschäftsmänner glauben sie an die kreative Zerstörung. Dass jedes neue Ding etwas anderes zerstören und ersetzen muss. Und so blicken sie auch auf Regierungssysteme. Sie denken, das sind die repressiven Dinger, die uns ausbremsen, mit Regulierungen und all dem, und die uns entfesseltes Wachstum und Fortschritt verwehren. […] Das Problem ist, wenn du an Orten lebst, die wie öffentliche Räume sind, aber eigentlich die privaten Plattformen einzelner Milliardäre sind, dann gewöhnst du dich daran, die Welt als einen Raum zu sehen, der Milliardären gehört. Und das erzeugt eine passive, nicht staatsbürgerliche, nicht partizipatorische Beziehung zur Welt.«
Alles ist eine Frage der Macht. Wie den faschistoiden Plutokraten, die kaum ein Gericht oder Staatsorgan aufhalten kann, diese tyrannische Züge aufweisende Allmacht wieder entreißen? Wie bei den Administrationen/Regierungen von Erdogan bis Orbán handelt es sich um eine skrupellos mafiöse Kleptokratie. Straflos wird Insiderhandel ausgenutzt, werden Günstlinge bedient, die den weltweiten Rechtsruck für ihre Reichtumsmehrung nutzen, werden Machtinstrumente wie Erpressung aufgefahren und werden Kritiker*innen ausgeschaltet. Alles, was Piketty und Sandel sagen, ist richtig, doch wenn der demokratische Rahmen gebrochen, weggeputscht ist, ist Widerstand der Bürger*innen geboten. Der 83-jährige, parteilose Bernie Sanders, seit Wochen mit der demokratischen Kongress-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez auf »Fighting Oligarchy Tour«, rief am 13. April 2025 am Coachella-Festival dazu auf: »Dieses Land steht vor sehr schwierigen Herausforderungen und die Zukunft Amerikas hängt von eurer Generation ab. […] Wir brauchen euch, um für Gerechtigkeit einzustehen – wirtschaftliche Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und ethnische Gerechtigkeit.«
Momentan kann mensch nur hoffen, dass die kleptokratische Bande, welche die einst funktionierende Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika ruiniert, sich durch ihre inferiore Unfähigkeit selbst ausschaltet. Denn es ist auch eine Idiokratie, die aus einer veralteten Wirtschaftstheorie die falschen Schlüsse (Zölle) zieht, EU-Europa als Parasit beschimpft und den absolut reaktionären Anti-Wokeness-Feldzug auch europäischen Firmen aufzwingen will.
Literatur:
- Thomas Piketty/Michael J. Sandel: »Die Kämpfe der Zukunft – Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert« (C.H.Beck)
- Douglas Rushkoff: »Survival of the Richest – Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind« (edition suhrkamp)
- Douglas Rushkoff Interview: »Kulturzeit«, 3sat, 3. März 2025











