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Emmanuel Mieville

»Nippon-yaki«

Self-Release

Der französische Komponist Emmanuel Mieville ist Grenzgänger zwischen Musique concrète, Field Recordings und elektroakustischer Poesie. Auf dem kürzlich erschienenen Album »Nippon-yaki * Two organic pieces inspired by Japan« wendet er sich der klanglichen Essenz Japans zu. »Nippon-yaki« bedeutet sinngemäß so viel wie »japanisches Keramikbrennen«. Genau so wirken die beiden Stücke: klangliche Objekte, langsam im Feuer geformt, mit Sprüngen, Spuren und Unregelmäßigkeiten, die ihnen Schönheit verleihen. Der erste Track »Tenri« entfaltet sich über gut 18 Minuten als flirrende Klangreise. Ausgangspunkt ist die Stadt Tenri in der Präfektur Nara – ein Ort mit religiöser, historischer und spiritueller Bedeutung. Der Track beginnt mit kaum hörbarem Rauschen, einer akustischen Nebelwand, aus der sich langsam konkrete Geräusche herausschälen: Schritte, Glockenläuten, Vogelrufe. Es folgt ein ritueller Strom aus Gebrumm, von dem man nicht weiß, ob es mehr an Obertongesang, Gebetsstimmen oder Didgeridoo erinnert; ferner hören wir Flötentöne, Synthesizerflimmern. Es scheint, als würde der Tempel, in dem man sich aufhält, sich langsam in elektronische Partikel auflösen. Die Ökologie des Hörens, die Mieville hier praktiziert, beeindruckt: Kein Sound ist »Effekt«, alles ist Teil einer organischen Struktur. Die Mischung aus dokumentarischer Nähe und artifizieller Bearbeitung erzeugt eine fragile Spannung, wie ein Glaskörper im Resonanzraum. Während »Tenri« in Klangschichten einen Ort umkreist, ist »Murasaki« abstrakter und zugleich poetischer angelegt. Der Name könnte eine Reverenz an die legendäre Autorin Murasaki Shikibu sein, die mit dem »Genji Monogatari« im 11. Jahrhundert den ersten Roman der Weltliteratur schrieb. Vielleicht gemahnt er auch an die Farbe Violett, welche im japanischen Kulturkreis für spirituellen Reichtum und Würde steht. Mieville entfaltet das Stück wie ein auditives Textil: Feine Fasern aus bearbeiteten Naturaufnahmen, modifizierten Stimmen und elektroakustischem Material verweben sich zu einem vielschichtigen Klanggewebe. Es beginnt mit unruhigen Impulsen, Tropfgeräuschen, knisterndem Rauschen. Wir hören in ein Gewebe, das sich permanent verändert. Klangräume öffnen sich … und schließen sich wieder. Wasserelemente und metallisch-perkussive Klangobjekte begegnen sich wie Natur und Ritual. Man hört entferntes Stimmengewirr – ein Erinnerungsrest? Eine Halluzination? Ein Spiegelbild? Mieville interessiert sich nicht für klare Bedeutungen. Darin liegt eine Stärke dieser Komposition. Gegen Ende verliert sich der Track in einer Art akustischem Dunkelviolett: Ein Abtauchen ins Ungewisse, getragen von Klangfetzen, die sich jeder Festlegung entziehen. Für Liebhaber*innen von Luc Ferrari, Toshiya Tsunoda oder Akio Suzuki ist dieses Album ein stiller Schatz. Für andere ein Fall von konzentrierter Kontemplation zwischen Elektronik, Ethnografie und Empfindung. Für skug Leser*innen in jedem Fall eine lohnende Herausforderung.

Home / Rezensionen

Text
Sepp Wejwar

Veröffentlichung
08.08.2025

Schlagwörter

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