Manche Leute hatten Angst vor ihrer Ausstrahlung, denn sie versetzte die Menschen in Trance«, sagt Heinz Brandtner und erwähnt noch, dass die Künstlerin zu jedem Kleid einen andersfarbigen Ring trug. Die Kärntner Bildhauerin Meina Schellander richtete mit viel Mühe und Anstrengung ihrer alten besten Freundin ein Memorial-Konzert aus: Ingrid Elisabeth Fessler vertonte und sang lyrische Texte von SchriftstellerInnen, die ihr gefielen und die sie zum Teil persönlich kannte. Die früh verstorbene Musikerin ist seit 25 Jahren tot und wäre dieses Jahr siebzig geworden. In den neuen Musikräumlichkeiten im Keller der Alten Schmiede drängen sich nun alte Freunde von Ingrid Fessler und ihr Unbekannte zum Gedenkkonzert dicht auf dicht und hören ehrfürchtig ihrer Stimme über Lautsprecher zu. »In kalten Zeiten wie diesen, wenn es immer kälter und kälter wird in dieser Stadt, in diesem Land, in dieser Welt. Die Menschen frieren, sie hüllen sich ein und sind – allein.« Es geht viel um Liebe, Sehnsucht, aber nicht auf kitschige Art, vom Tod ist auch immer wieder die Rede, aber ohne Pathos. Friederike Mayröcker und Ernst Jandl gehörten zu den Lieblings-ProtagonistInnen Fesslers, vom Jandl Archiv erhielt Meina Schellander eine gut erhaltene Fessler-Schallplatte »So nah sind wir am Untergang. So nah sind wir am Licht«, aus der die CD-Aufnahmen entstanden, inklusive der Kratzer und Geräusche.
Ältere Widerspruchsgeister
Eine Frau im roten Kleid spielt auf einem riesigen Holzteil, eine andere hat ebenfalls ein ähnliches Holzgerät vor der Nase und bläst hinein. Man sieht nur die Finger auf den überdimensionalen Löchern. Was ist das, ein Fagott? Beim skug-Fest im rhiz sah es im Dunkeln so aus, als ob Maja Osojnik mit einem Roboter knutschen würde, von vorne sah die Riesenflöte wie ein roboterähnliches Wesen aus, hinter dem die Musikerin verschwand. Anschließend zerlegte sie es und sperrte es in einen Kasten. In der Alten Schmiede improvisiert das Low Frequency Orchestra nun zu »Ton-Bildern« von Ingrid Fessler. Maja Osojnik trägt ein rotes ausgestelltes Kleid zu schwarzem Sakko und schaut ganz anders aus als im rhiz. Angelica Castello bedankte sich zu Beginn bei Meina Schellander für den Mut, sie dieses Experiment wagen zu lassen. Und es ist ein gewaltiger Sprung von den 1970-er Jahre -Gedichte-Liedern von Ingrid Fessler, die sich dem Ausdruck »Liedermacherin« verwehrte, zu dieser spontanen Orchestermusik hier. Viele Widerspruchsgeister sind da, flüster, flüster, kritische ältere Semester, die sich amüsieren und nicht leise sein wollen. »Musik!«, ruft einer. Geräusche von dem Holzinstrument, wie von Wassergurgeln, Luft dazwischen, Tuckerei. Matija Schellander streicht vorsichtig den Kontrabass und hält sich zurück. Die Musik hat etwas Langsames, Feierliches, etwas von Schiffsmusik, Rohrleitungen, Gegurgel – auch im Vorraum sind Lautsprecher und die Musik wird übertragen, gleichzeitig werden noch immer Fessler-CDs an Fans verkauft. »Bliblibli«, die nächsten älteren Ladys, die sich unterhalten, die Geräuschkulisse klingt lustig und passt zu der Musik, den Damen ist es zu wenig Action und sie sorgen selbst für die Atmosphäre.
Uraltes Geplätscher
Ingrid Fessler studierte bei einem konservativen Professor Musik, der sie nicht ermutigte und ermunterte, mehr und andere Sachen zu machen und auszuprobieren, erzählte die Musikwissenschaftlerin Irene Suchy in ihrer Einführung. Fessler hätten diese Pätzold-Blockflöten sicher gut gefallen, sie selbst spielte gerne auf der Sitar. »Man muss die Flöten sowieso elektronisch verstärken, dann landet man ziemlich schnell ganz bei der Elektronik«, erklärt Maja Osojnik später. Wie eine Stimme tönt die Riesenholzflöte, man kann über die und durch die hindurch singen. Man hört Töne, die Erinnerungen wachrufen, die man aber nicht genau fest machen oder definieren kann, man kann sich nicht genau erinnern, wo man schon so etwas Ähnliches gehört hat, aber es kommt einem vage bekannt vor. Sanftes Geplätscher in der Fruchtblase? Bei den hohen Tönen halten sich einige die Ohren zu. Sehr mutig, Meina. Ein blinder Junge, der sich bei Fesslers Stimme unruhig vor und zurück wiegte und immer wieder laut aufseufzte, ist jetzt ganz ruhig und spitzt seine Ohren, hört aufmerksam zu.
Der Vater legt ihm seine Hand auf den Rücken. Maja spielt mit elektronisch verstärktem Becken und einem Schlegel. Entspannend, es klingt nach Ur-irgendwas, uralter Musik, Weltall-Musik – der Meteorit ist aber am Vortag in Russland eingeschlagen, in eine Schule. Wäre das Konzert gestern gewesen, wäre er wohl angelockt worden. Am Schluss spielen Maja und Angelica auf Gläsern voller Wasser, laufen im Publikum herum und geben Gläser weiter. Die ZuhörerInnen beginnen selbst zu spielen. Wie zwei Hohepriesterinnen auf Stöckelschuhen verteilen die beiden Musikerinnen die Gläser. Die Musik daraus klingt ganz fein und ziseliert. Permanente Störgeräusche, wie in der Schule klingt es hier, unruhiges auf den Stühlen herumrutschen. Meine Sitznachbarin gibt erst Ruhe, als sie selber ein Glas in den Händen hält und mit nassem Finger auf dem Rand herum fährt. Gott sei Dank keine Teller mit Kratzgeräuschen von Löffeln. Nur ein Sirren, ein Flirren hängt in der Luft, wie von Insekten. Jetzt spielen alle selber. Endlich Ruhe. Lautes Lachen. Endlich Entspannung. Die kann gar nicht aufhören zu spielen.
Falsche Frequenz und Lufttanz
»Das eine Glas klingt höher«, sagt eine Dame. »Hängt wohl mit der Glasdichte zusammen. Und mit der Dauer. Doch wenn man es schnell macht, wird der Ton höher. Hat wohl mit Resonanz zu tun. Ja, mit Resonanzkörpern. Man müsste das zu Hause üben.«
»Da baut sich Spannung auf, dann kommt die Welle und whoosh, falsche Frequenz«, erklärt ein Mann ein anderes Soundphänomen, das ihn begeistert. In der ersten Reihe tanzt der über 90-jährige Dichter Heinz Brandtner mit durchsichtigen Händen und fragilen Fingern in der Luft. Ein Lufttanz. »Abgetan. Schlagt tot eure Melancholie, denkt nicht zurück an Harmonie, es ist verlorene Müh«, vertonte ihn Fessler auf der CD. Später im Café Engländer zieht Brandtner für Meina dann Fotos aus der Innentasche seines Sakkos, die er bei einem Fessler-Konzert machte und die sie noch nicht kannte. Vergangenheit wird lebendig. »Ich muss protestieren. Sie war nicht nur politisch!«, hatte Brandtner vorher im Vorübergehen in Richtung Meina moniert. »Sie war nicht auf die Gesellschaft bezogen, sondern auf den Menschen. Sie kritisierte die extreme Mitte, die immer die Tarnkappe auf hat und keine Verantwortung übernimmt. Die extreme bürgerliche Mitte lässt die Puppen tanzen und redet dabei immer vom Bösen. Wie es im »Vaterunser« heißt: »Erlöse uns von dem Bösen«, hält ein anderer Künstler Ingrid Fessler seine Version einer Gedenkrede. Sie bleibt vielen Menschen hier ziemlich präsent bis heute.
»Denn ich höre den Regen und fühle den Wind auch ohne dich, aber die Lichter des Himmels vergessen ihr Leuchten, wenn ich alleine bin.« (Lilly Sauter)