Auf John Faheys Takoma Label erschien »Contemporary Guitar – Spring ’67«, das ist bald 60 Jahre her! In Richtung dieser Veröffentlichung, die Robbie Basho, John Fahey, Max Ochs, Harry Taussig und Bukka White versammelte, sendet »An Anthology of Contemporary Solo Guitar«, zusammengestellt vom finnischen Gitarristen Lauri Manner, einen Gruß und überbrückt so über ein halbes Jahrhundert Fingerstyle Guitar Music. Die Umstände sind heute andere als im Frühling 1967, die Musik hat sich hingegen weniger verändert. Das kann man schon so sagen, ohne den hier vorzustellenden zeitgenössischen Vertretern des so genannten American Primitive zu nahe zu treten. Kaffee trinkt man heiß und schwarz, Bier kalt und vermeidet sogenannte Biermischgetränke, und um Fingerstyle-Gitarre zu spielen, braucht es eine akustische 6- oder 12-Saitige, zwei gesunde Hände, ein wenig Ruhe und Inspiration: Das Rezept hat sich bewährt, warum etwas daran ändern? In der Beschränkung liegt die Kraft. Die Tradition hat so starke Wurzeln und Äste wie der Baum, abgebildet auf dem Cover der vorliegenden Veröffentlichung. Die eröffnet der aus Lettland stammende Edgars Rubenis, dessen sehr am Blues orientiertes Spiel an Faheys »Erzfeind« Stefan Grossman und den Katalog seines Kickin’ Mule Labels erinnert. Veröffentlichungen von Kickin’ Mule lagen häufig Tabulaturen zum Nachspielen bei, das wäre natürlich der Insider-Witz schlechthin gewesen, käme »An Anthology of Contemporary Solo Guitar« um eine solche Beilage ergänzt, aber man kann nicht alles haben. Aus Estland stammt der zweite Gitarrist der Zusammenstellung, dessen »Painted Storm« musikalisch eher an die Ruhe vor oder nach dem Sturm gemahnt. Nach dieser dunkel grundierten, repetitiven, rund 10-minütigen Klangmeditation folgt Kadonnut Manner (bürgerlich Lauri Manner), dessen Musik stilistisch deutlich am klassischen Stil Faheys orientiert ist, also die Art von Fingerstyle Guitar Music repräsentiert, die sich nicht durch Hinzunahme von Field Recordings oder zusätzliche Orchestrierung auszeichnet – experimentelle Elemente, die Fahey immer wieder in seiner Musik integrierte, Kadonnut Manner sich für seine hier veröffentlichten Kompositionen aber schenkt. Mit dem in Wien ansässigen Exil-Amerikaner Eric Arn kommt abschließend dann ein experimentellerer Stil, Gitarre zu spielen zum Ausdruck. Die kurze Skizze, »Silenian Dialectic«, enthält einige dezent eingesetzte elektronische Spielereien, und so erweitert Arn seine Ausdrucksmöglichkeiten, ohne mit seinen Kompositionen aus dem stilistischen Rahmen der Zusammenstellung zu fallen. Insgesamt stellt »An Anthology of Contemporary Solo Guitar« eine abwechslungsreiche und unterhaltsame Weiterführung in der musikalischen Tradition der Fingerstyle Guitar Music dar. Wer dem immergrünen Genre etwas abgewinnen kann, sollte zugreifen.

»An Anthology of Contemporary Solo Guitar«
Edgars Rubenis / Kalle Tikas / Kadonnut Manner / Eric Arn
Creative Class War
Text
Holger Adam
Veröffentlichung
27.03.2025
Schlagwörter
Creative Class War
Edgars Rubenis
Eric Arn
Kadonnut Manner
Kalle Tikas

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