»Wirklich? Deine Mutter ist Künstlerin? Das muss ja voll spannend sein!« Jein, ist meine Antwort. Ambivalent ist wohl die bessere Wortwahl, wenn es darum geht nachzuzeichnen, wie es sich anfühlt, in einer Künstler*innen »Bubble« aufzuwachsen. Wenn man sich einmal so arrangiert hat, die Klischees von der einen wie von der anderen Seite zu eigenem Ansporn umzuformen, dann hat man schon einmal viel erreicht: Denn wenn man dann am Ende des Tages die angenommen »mittellose«, aber natürlich »wahnsinnig talentierte« Rolle der Tochter einer »Künstlerfamilie« eingenommen hat, dann kann man sich zumindest endlich mit den wirklichen Resonanzen beschäftigen, die die Arbeit und das Werk einer Mutter, wie meiner Mutter, in einem auslösen. Und diese zeugen von großer Anerkennung und Respekt.
Die Skizze eines Lebens
Joanna Gleich, 1959 in Polen geboren, emigrierte nach ihrem Abschluss am Lyzeum der bildenden Künste in Opole 1979 nach Österreich, um dort nach einem anfänglichen Studium der Philologie ab 1985 endlich die angestrebte Ausbildung als Malerin an der Akademie der bildenden Künste bei Prof. Wolfgang Hollegha zu absolvieren. Neben der seit 1990 unbeirrten Arbeit als freischaffende Künstlerin in Wien ist ihre lehrende Tätigkeit als Dozentin in diversen Mal-Sommerakademien ein ebenso wichtiger Aspekt ihrer künstlerischen Laufbahn. Seit 2017 ist Joanna Gleich außerdem fester »Bestandteil« des Künstler*innen-Repertoires der Galerie Amart, in deren Räumlichkeiten noch bis zum 22. Juni 2019 eine Einzelausstellung ihrer Werke zu sehen ist.
Der Kunst ihre Freiheit
Im Rahmen der laufenden Ausstellung »Colourspell« luden am 6. Juni 2019 Elmar Zorn, Ausstellungskurator und Publizist, sowie Manfred Schneckenburger, Kunsthistoriker und künstlerischer Leiter zum »Artist Talk« mit Joanna Gleich ein, um über ihre Arbeit zu sprechen. In seiner Eingangsrede bemerkte Schneckenburger, wie sehr er sich freue, »endlich wieder über Bilder und nur über Bilder sprechen zu können, ohne politische und soziologische Überbauten und ohne ästhetische Theorie«. Wie passend diese Worte auf das Werk von Gleich zutreffen, kann man schlussendlich nur wirklich verstehen, wenn man eines der großen Ölbilder tatsächlich vor sich hat. Denn nur dann wird klar, dass bei jeder Beschreibung dieser Art von Malerei der wirklich fundamentale Aspekt derselben verloren geht: ihre Freiheit. Und es ist, wie auch am Podium heftig diskutiert wurde, nicht so einfach zu sagen, welche Richtung die Freiheit in der Betrachtung der Bilder einnimmt. Schlussendlich kann man es aber dann doch zu folgender Überlegung bringen: Es ist nicht die Freiheit der Vorstellung, die man braucht, um die Bilder zu verstehen, sondern eigentlich versteht man die Freiheit selbst erst, wenn man vom »Sog« der Bilder erfasst wird. Der Ereignischarakter derselben löst es aus, dass man nach ihrer Betrachtung neue Möglichkeiten in seiner eigenen Wahrnehmung entdeckt. Elmar Zorn beschreibt es in einem früheren Interview als »Erlebnisse in einer Farblandschaft«, die mitunter über den Bildrahmen hinausgehen und die eigenen Erlebnisse transformieren können.
Auch wenn Gleich ihren Bildern zwar nie selbst diesen Aspekt als intrinsisch zusprechen würde, so sollte doch erwähnt werden, dass ihr Werk gerade vor dem Hintergrund der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts, welche immer das Bedürfnis nach Befreiung bieten wollte, im Gegensatz zu den beispielsweise amerikanischen »Colourfield Paintings« die Befreiung nicht erst auf der Leinwand, sondern schon im Kopf geschehen lässt. Wenn Joanna Gleich meint, dass sie jahrelang aufgrund politischer wie sozialer Barrieren nicht die Möglichkeit hatte, ihrem Bedürfnis nach Befreiung Ausdruck zu verleihen, sie dabei aber immer bereits die Befreiung als ihre künstlerischen Motive im Kopf hatte, dann beweist dies wohl, dass die Kraft der Freiheit der Auseinandersetzung mit der Realität im Kopf wesentlich mächtiger ist als die realen Restriktionen einer Gesellschaft. Und dabei ist die Farbe allein schon genug »Gegenwelt gegen die heutige Gesellschaft«, wie Schneckenburger anmerkt.
Abbild versus Motiv
»Jedes Mal, wenn ich probiert habe, etwas aus der Natur zu malen, habe ich versucht, es aus dem Kopf zu zeichnen und das, was ich im Kopf gesehen habe, schien mir interessanter. Das Bild macht sich im Kopf selbstständig, es bekommt ein eigenes Leben. (…) Da stört die Natur.« Was Joanna Gleich hier in einem Gespräch mit ihrer Verlegerin Ulrike Damm beschreibt, ist etwas, das von Menschen, die sich nur wenig mit bildender bzw. abstrakter Kunst befasst haben, oft missverstanden wird: Durch Abstraktion wird nicht vorwiegend eine Verzerrung der Wirklichkeit vollzogen, sondern vielmehr werden andere Aspekte gezeigt, die in der figurativen Malerei keinen Einzug finden können. Es werden Atmosphären und Empfindungen eingefangen, die schon aus einer Befreiung des Motivs im Kopf der Künstlerin resultieren und so eine Art »medialen Prozess« durchlebt haben. Es ist prinzipiell klüger, im Kontext dieser Malerei von Motiv statt von Abbild zu sprechen. Denn der Begriff des Motivs ist weiter auslegbar und ermöglicht andere Perspektiven. Wenn Gleich davon erzählt, dass nie zwei Personen dasselbe in einem ihrer Bilder sehen, dann unterstützt das nur die Auslegbarkeit des Begriffs Motiv. So bekommen Körper und Dinge andere Räumlichkeiten und farbliche Dimensionen und erlangen auf den flachen Bildträgern eine seltsame Dreidimensionalität. Und wenn Joanna Gleich in ihrem künstlerischen Selbstverständnis das Wort »arbeiten« gerne durch den Begriff »schaffen« ersetzen würde, dann bekommt auch die Motivwerdung eine ganz andere Dimension für ein Bild: Die Realität schafft es, zum Motiv zu werden, durch die Augen der Künstlerin. »Meine Malerei ist zwar kein Spiegelbild der Wirklichkeit, bleibt jedoch mit ihr in vielfacher Hinsicht verflochten«.
Die Galerie
Als ich vergangenen Donnerstag für den »Artist Talk« die Galerie betrat, machte jemand die Anmerkung, dass eine derart schöne Ausstellung in diesen beeindruckenden Räumlichkeiten doch eigentlich am besten zu einem Museum werden müsste. Ich widersprach diesem Argument ohne die Prämissen abzulehnen: Wenn die Ausstellung zum Museum würde, dann würde die Galerie ihre Bedeutung verlieren, ohne deren Wirkung uns die Bilder Joanna Gleichs gar nicht in dieser Weise zum Nachdenken bringen würden, denn ein Museum macht die Bilder zu Artefakten, die sich der spontanen Lesbarkeit entziehen … Eine Galerie kann als ein Rahmen für die Bilder verstanden werden, die in ihr hängen. Und wie man bekanntlich weiß, hat der Rahmen eine nicht unwichtige Bedeutung für dessen Inhalt.
Die von Benedikt Mairwöger und Elena Kristofor geleitete Galerie Amart im 7. Bezirk kann in diesem Sinne als sehr positives Beispiel eines Rahmens betrachtet werden. Obwohl erst im Jänner 2016 von Mairwöger gegründet, erfreut sie sich jetzt schon einer großen Beliebtheit. Das ist vor allem den Initiativen zu verdanken, die Mairwöger und Kristofor durch ihr beiderseitiges Interesse an bildender wie auch darstellender Kunst veranlassen. So gibt es während einer laufender Ausstellung auch ständig andere Veranstaltungen, wie etwa Performances, Lesungen (Gäste waren u. a. schon Helmut Seethaler, Frederike Mayröcker oder Bodo Hell), ebenso wie Konzerte, wie kürzlich der Auftritt der Jazzband Stefan Pelzl’s JUJU. Ebenso wollen die beiden Betreiber auch besonders jungen Künstler*innen die Möglichkeit der Präsentation ihrer Werke ermöglichen, weshalb die Galerie am 27. Juni 2019 um 18:00 Uhr eine Ausstellung eröffnet, die, durch einen Wettbewerb begleitet, allen eingereichten Bewerber*innen die Gelegenheit gibt, eines ihrer Bilder in den Räumlichkeiten auszustellen.
Abschließend soll noch erwähnt werden, dass die Finissage der Ausstellung »Colourspell« von Joanna Gleich am 22. Juni 2019 um 18:00 Uhr eine Lesung von Andrea Pauli und Raimund Brandner unter dem Titel »Sinnliche Geschichten aus aller Welt« mit musikalischer Begleitung durch Walter Nikowitz an der Gitarre bietet.
Und wer sich immer noch nicht sicher ist, ob ihr*ihm eine derartige bildhafte Befreiung plausibel erscheint, der*dem kann geraten werden, sich zurückzulehnen, sich irgendein Bild der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen und einfach nur darauf zu schauen. Denn wenn ich eines von meiner Mutter gelernt habe, dann ist es ein Leitspruch, der für mich im Verständnis von allen Formen der Kunst über die Jahre eine besondere Bedeutung erhalten hat: »Die Erinnerung an das Gesehene ist lebhafter als das Gesehene selbst«.