Ich kam mir vor wie auf einem Kiss-Konzert. Am Klo die letzten Mädchen, die Hand an sich legen, sich weiße Schminke ins Gesicht klatschen, um sich am DD-Lookalike-Contest zu beteiligen. Die ersten Zuschauerreihen sind von Enfant terribles in schwarz-weißen Blockstreifen dominiert. Die Absperrung vor der Bühne, die gestern allzu frenetische Fans vom Erklettern derselbigen abhalten sollte, ist nicht mehr da.
Uniform
Von der Musik des ersten Acts, der pünktlich um halb zehn startete, hab ich wenig mitbekommen. Das erste Künstlerpärchen des Abends setzte nämlich zur Unterstützung ihres elektronischen, schwer zugänglichen Sounds auf interaktionistische Kunst: Klang und Erlebnis sozusagen, um die Wiener Stadtwerbung zu zitieren. Und auch hier kiss’sche Parallelen: Es mischten sich nämlich Pantomimen unter die Menschen unter der Bühne, gewandet wie griechische Statuen (= fast nackt mit Windel), kreideweiß angemalt. Ich fürchte mich bei so was ja immer ein bisschen. Aber nach und nach gewann die Performance mein Herz, genauso wie das der anderen Zuseher. Die »Statuen« waren einfach zu nett, die Zuseher verloren nach und nach ihre Scheu, wurden zum Lachen gebracht, die Situation war fulminant entspannt.. Und dann kam eine Band die mit ihren Fans wohl genauso viel interagiert wie die zuvor besprochenen griechischen Statuen.
»You’re so sexy Amanda«
Ein Abend der Superlative, zumindest für mich. Kaum dass die Dresden Dolls die Bühne betreten hatten, bereits nach dem dritten Song, kam auf einmal Peaches on stage und sang Amanda ein Geburtstagsständchen: auf Jiddisch. Und das sollte nicht die letzte Coverversion des Abends gewesen sein, denn, ja, Amanda hatte Geburtstag. Ihren dreißigsten, erzählte sie. Und dieses kritische Jubiläum beging sie dementsprechend: Es wurde ein Konzert mit rauen, wilden, leisen und melancholischen Momenten, mit einem ironischen Unterton mit Blick auf die Vergangenheit. Das Publikum war Länge mal Breite hingerissen. Die Dresden Dolls wühlten in ihrer alten Plattenkiste: Songs von Marc Bolan, Jeff Buckley und Jaques Brel wurde neues Leben eingehaucht, mit dabei ein fulminantes Remake eines Grauzone-Songs. Für diese Darbietung gebührt vor allem Brian Viglione höchster Respekt: Das unerbittliche elektronische Hämmern von Grauzones »Eisbär« organisch nachzuspielen und dem Original dabei in Ohrwurmqualität in nichts nachzustehen: Ich ziehe meinen Hut vor diesem Schlagzeuger. Vor allem weil der gute Mann noch eine pantomimische Gesichtsakrobatik obendrein ablieferte! Die Dresden Dolls spielten lange. Wie lange? Ich weiß es nicht mehr. Sie nahmen sich auf jeden Fall genug Zeit für neuen Stück wie alte Nummern und für die Popperlen dazwischen. Nach »Hallelujah« hab ich fast geheult. Doch dann kam Peaches für eine Zugabe noch einmal auf die Bühne, da blieb für Weltschmerz keine Zeit. Und dann gingen die Lichter aus bzw. an. Und ich wollte nichts wie nach Hause. Um mir Marc Bolans »Cosmic Dancer« anzuhören. Um mich meinem Weltschmerz hinzugeben und darauf zu warten, dass die Dresden Dolls nach ihrem neuen Album noch eines, das nur Coverversionen beinhalten wird, veröffentlichen.