Die neapolitanischen Posse 99 machen deutlich: In Italien herrscht Unmut gegenüber den VolksvertreterInnen © YouTube
Die neapolitanischen Posse 99 machen deutlich: In Italien herrscht Unmut gegenüber den VolksvertreterInnen © YouTube

Die Zukunft Italiens steht in den Sternen

Unser geschätzter thinkable-Autor Gianluigi Segalerba befindet sich gerade in Genua. Wir haben ihn gebeten, für skug eine Einschätzung der italienischen Verhältnisse nach den Parlamentswahlen vom 4. März 2018 zu geben.

In Italien darf die aktuelle Situation als im Fluss befindlich bezeichnet werden, und zwar in dem Sinne, dass es noch nicht klar ist, ob überhaupt eine Regierung entstehen kann oder nicht. Ich würde hier keine Vorhersage wagen, auch weil das neue Wahlgesetz eben deshalb gemacht wurde, um das Entstehen einer Regierung zu verunmöglichen (dies scheint eine Überlegung aus dem Irrenhaus zu sein, aber dem ist so). Die Partito Democratico (PD), also die Demokratische Partei, ist längst eine Partei, die wirklich mit der Linken oder auch mit Mitte-Links meiner Meinung nach nichts mehr zu tun hat, auch wenn es gewisse Fassade-Handlungen geben mag. Die PD hat dieses neue Wahlgesetz »Legge elettorale italiana del 2017« (bekannt unter dem Kosenamen »Rosatellum bis«, nach dem PD-Politiker Ettore Rosato) deswegen gewollt, um die absehbare Niederlage so weit wie möglich einweichen und abmildern zu können.

Fünf Sterne
Der Erfolg der Fünf Sterne (MoVimento 5 Stelle) ist meiner Meinung nach auf die fast absolute Verachtung der BürgerInnen zurückzuführen, die sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat. Man denke nur an das Bankwesen und all die Betrügereien, die zugunsten der Banken und zuungunsten der BürgerInnen passiert sind. Keine der italienischen Parteien außer den Fünf Sternen thematisierte, dass die kleinen SparerInnen fortschreitend betrogen worden sind (Parmalat, Cirio, Tango-Bonds, Banca Popolare di Vicenza, Veneto Banca, Banca Etruria usw.) und ihre Ersparnisse verloren haben. Ich weiß nicht, wie die Fünf Sterne sich jetzt entwickeln werden. Persönlich war ich nie einverstanden mit denjenigen Analysten, die besagten, sie seien eine Gefahr für die Demokratie. Das Referendum vom 4. Dezember 2016 über die Verfassungsänderung, das von der Demokratischen Partei vorangetrieben wurde, hat man im Ausland als eine Erneuerung zu höherer Effizienz präsentieren wollen. Es war aber, bei Licht besehen, eine Art Ermächtigungsgesetz für jedwede Regierung. Natürlich hat die Demokratische Partei gedacht, sie würde es für sich selbst und ihren Machterhalt schreiben. Das Parlament wäre infolge dieser Änderung praktisch nicht mehr existent gewesen, zumal diese Verfassungsänderung mit einem Wahlgesetz verbunden worden wäre, das Ähnlichkeiten mit dem »Legge Acerbo« des Faschismus gehabt hätte, bei dem im Jahr 1924 der Partei mit den meisten Stimmen sogleich die Zweidrittelmehrheit zugesprochen werden sollen hätte. Zum Glück ist das Referendum abgelehnt worden.

Ich kann sowohl Zweifel als auch Kritiken an den Fünf Sternen verstehen, aber ich frage mich, wer in Italien wirklich gefährlich ist. Die Fünf Sterne sind eine Art ausgeweitete Bürgerinitiative gewesen, die versucht haben, sich gegen verschiedene Formen von reiner Ausnützung der BürgerInnen zu schützen, und sie haben eine starke Verwurzelung in jenen LinkswählerInnen, die von der Demokratischen Partei enttäuscht worden sind. Denn wie kann man, und dies ist nur ein Beispiel, die Privatisierung des Wassers mit gleichzeitiger konsequenter Erhöhung der Kosten als ein linkes Programm ausgeben? Vielmehr war es so, dass die Demokratische Partei auf eine Reihe von Privatisierungen abzielte, die Privatisierung des Wassers eingeschlossen, die in jedem Land als reine, klar rechtsgerichtete Maßnahme eingestuft worden wären. Ich habe keine Ahnung, was passieren kann: Eine Diktatur seitens der Fünf Sterne scheint mir allerdings wirklich unwahrscheinlich. Um ein Bild zu bekommen, sollte man jetzt auf die Wahl der beiden Präsidenten der Kammern des Parlaments warten. Daraus werden sich die zukünftigen Entwicklungen ablesen lassen. Die Möglichkeit von Neuwahlen ist hierbei immer miteingeschlossen.

Ausblick
Als Fazit würde ich sagen: Die Linke müsste sich ihrer Grundauffassungen erinnern und sich gemäß dieser wieder begründen. Die aktuelle Krise hat ihre Ursache in Entwicklungen, die mindestens 20 Jahren alt sind. Damals suchte die Linke ständig nach »moderaten« Leuten, die ihre HauptkandidatInnen werden sollten. Sie hoffte sich dadurch legitimieren zu können. Es war ein strategischer Fehler, mit dem sich die Linke vielmehr selbst delegitimiert hat. Denn was soll eine Partei sein, die es nicht wagt, ihr eigenes Personal an erster Stelle zu reihen, sondern stetig anderswo sucht, um präsentablere Kandidaten zu finden? Wenn man sich schon selbst nicht für präsentabel hält, was sollen dann die WählerInnen von einem denken?

Home / Kultur / Thinkable

Text
Gianluigi Segalerba

Veröffentlichung
16.03.2018

Schlagwörter

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