Faber © Justus von Karger
Faber © Justus von Karger

Die Welt ist voller Fabers

Der Schweizer Künstler Julian Pollina alias Faber ist bekannt für Lieder, die haarscharf über die Grenze des Unsagbaren hinausgehen. Seit Beginn seiner Karriere steht der 31-Jährige in der Kritik. Aber hat er diese auch verdient?

Seit seinem ersten Album »Sei ein Faber im Wind« (2017) bin ich verknallt in Faber. So verknallt, wie ich während der Hochphase meiner Pubertät in Niall Horan und später in Matty Healy war. Ich war Fan von Faber: Von seiner Stimme, seinen dicken Schals, den braunen Locken, die ihn aussehen ließen wie den deutschsprachigen Harry Styles und von seiner Musik (klar). Mit Posaune, Bass, Gitarre und Trompete erschafft er tanzbare Rhythmen und eine beflügelnd-ironische Atmosphäre. Es durfte kein Lied geskippt werden, die Texte kann ich immer noch auswendig. Faber ist dreckig, seine Stimme rotzig und rau und die Strophen sind grob, sexuell, grenzüberschreitend. Das gefiel mir. Mein 18-jähriges Ich kam sich spontaner vor, wenn ich seine Lieder auf Dauerschleife hörte, als ich es in Wirklichkeit war. Gefährlicher, cleverer, unbekümmerter.

Mit Fabers zweitem Album »I fucking love my life« (2019) entstand der Running Gag in meiner Freundesgruppe, dass ich mit Faber schlafen müsse, sollte ich ihm jemals über den Weg laufen. Der Gag wurde maßgeblich von mir geschürt und auch meine Beziehungspartner waren darüber informiert, dass der Sänger für mich auf der »Ich darf«-Liste stand. Als nach 2019 lange nichts mehr von Faber zu hören war, bis auf seine wundervoll sanften Lieder mit Sophie Hunger und Nino Brandão, entliebte ich mich von ihm. Wie über jeden großen Star hörte man auch über Faber Gerüchte: Faber sei ein Arschloch, er wäre frauenfeindlich und herablassend. Faber sei arrogant, geldgeil, habe klebrige Hände und verbreite ein aufdringliches Odeur. Wie alle Fan-Verliebtheiten wurde auch meine Liebe von den Gerüchten geschwächt und ich nahm ihn von meiner Freebie-Liste. Ich denke heute nicht mehr viel an Faber. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich seine Lieder trotzdem nicht skippen würde.

Musik abseits der Massenkompatibilität

Nun erschienen erste Tracks von Fabers neuem Album »Addio«. Das Single-Cover zum Titelsong ist ein Ausschnitt aus dem Cover des am 7. Juni 2024 erscheinenden Albums: ein Ölgemälde von Faber mit offenem Mund. Entweder schreit er, hat Schmerzen, oder bekommt einen Blowjob – es würde alles zu ihm passen. Sein Profilfoto auf Spotify zeigt ihn in einem milden Lichtkegel, er trägt ein rotes Gewand, zeigt ein bisschen Brust und blickt andächtig in den Himmel. Faber war schon immer gut darin, sich als jemand zu inszenieren, der Leute aufregt. Auf »I fucking love my life« war er der neureiche FDP-Wähler, der seine Sommer auf einer Yacht in einem spanischen Hafen verbringt und schlecht zu seinen Mitarbeiterinnen ist. Auf »Addio« ist er nun also der selbsternannte Heiland, der in den Kampf zieht – ob gegen sich selbst oder die Gesellschaft, ist nicht direkt ersichtlich. Ich freue mich, hoffe auf kontroverse Lieder und setze meine Kopfhörer auf. Und mal wieder überzeugt er mit schlagkräftigen Melodien, chorischen Gesängen und smarten Zeilen, die so besonders und charakterlich sind, dass es ein zweites Hören braucht, um zu begreifen, dass da nicht unbedingt Julian Pollina zu einem spricht, sondern die Kunstfigur Faber. 

Diese hat in den letzten Jahren so einiges an Kritik eingeheimst. Fast wie damals Falco, wird ihm in Interviews vorgeworfen, ein herablassender Sexist zu sein. Er wurde gefragt, ob er wirklich so denkt, wie seine Texte es aussagen, oder ob er doch noch einen Funken menschlicher Moral in sich trägt. Julian Pollina, das Gesicht, Gehirn und die Stimme hinter der Kunstfigur, entgegnet immer und immer wieder resigniert: »Das ist Ironie. Kunst soll aufregen, oder hältst du das Publikum für so dumm, die Texte wörtlich zu nehmen?« (»Musikexpress«, 2019) Man muss leider zugestehen, dass viele Menschen scheinbar wirklich so »dumm« sind, seine Worte auf die Goldwaage zu legen. Erst vor Kurzem führte ich eine Diskussion mit einem Freund, der tatsächlich glaubte, der Text zu »Vivaldi« (2019) sei ernst gemeint und würde Pollinas wahres Ich darstellen. 

Dabei ist Faber lediglich eine unsympathische Rolle mit mannigfaltigen Charakterzügen. Mal masochistischer Sexist mit pädophilen Vorlieben, mal der verlassene Junggeselle, der seine Trennung in Eifersucht und Herabsetzung tränkt, mal der gebrochene Mann, der sich seinen Selbstwert durch leere Befreiungsversprechungen für Sexarbeiterinnen holt. Faber ist ein Mann, der sich auf der kapitalistischen Spielwiese des Patriarchats austobt und selbst nur in schwachen Nuancen merkt, wie der weiche Sand auch ihn in die Tiefe zieht. Fabers Texte sind bewusst provokant, bewusst kontrovers und sie regen deshalb so auf, weil die Dinge, die er sagt, wahr sind. »Vivaldi« (2019) ist eine genaue Dokumentation der Sätze, die man oft genug zu hören bekommt – auf Dates, auf der Arbeit, in der U-Bahn. Und auch Julian Pollina selbst wurde scheinbar auf eine solch degradierende Art und Weise konfrontiert, spricht er doch im Lied sich selbst an. »Generation YouPorn« (2019) ist beunruhigend akkurat, ebenso wie »Top« (2019), und über »Das Boot ist voll« (2019) müssen wir gar nicht erst sprechen. Pollina trifft exakte Beobachtungen und verarbeitet sie in Musik, die trotz des Gewichts der Worte zum Tanzen anregt. In seinem neuen Album verhandelt er nicht bloß gesellschaftliche Abbilder der Menschen per se, sondern vor allem sich selbst – als Mensch, als Künstler. So ist »Du kriegst mich nicht zurück« (2024) nicht bloß ein Trennungslied, sondern eines, dass die Trennung von den eigenen Persönlichkeiten thematisiert. Gänsehaut für das Gehirn!

Das Paradox der Gesellschaftskritik

Spannend ist, dass alle Welt bei Nacht auf Fabers Paukenschläge abgeht, aber die Texte erst am Tag danach verkatert beim Frühstück zersetzt und ihm dann Pädophilie oder Arroganz vorwirft. Das Paradox liegt auf der Hand: Julian Pollina hält uns und sich selbst den Spiegel vor, wir erkennen uns darin und machen ihn dann dafür fertig. Das ist typisch für den gesellschaftlichen Umgang mit Kritik: Statt das ganzheitliche Bild zu zersetzen, mündet die Verantwortung beim Einzelnen. Dabei werden die dutzenden Lieder ignoriert, die einfach nur Stimmungen und menschlich-verirrte Gefühle bei zeitgleich real werdenden Dystopien verarbeiten. Niemand spricht über »Sag mir wie du heisst (Pt. 2)« (2019), »In Paris brennen Autos« (2017) oder die kleinen Intermezzi an träumerischer Blasmusik, die er uns zwischen seine provokanten Hymnen steckt wie kleine Liebesbriefe zwischen Rechnungsumschlägen. 

Julian Pollina gibt durch Faber den Menschen eine Stimme, die unsere Gesellschaft prägen. Und das sind nun mal reiche Sexisten, unsichere Narzissten mit Patek Phillippes am Handgelenk und einfache Bürger*innen des globalen Nordens mit egoistischen Tendenzen. Die Rollen, die dank Pollina durch Faber sprechen, regen auf, weil sie genau das tun sollen. Teile der Texte sind unsagbar ekelhaft und degradierend und es wäre verkehrt, würde man sich davon nicht angegriffen fühlen. Warum schreit man aber da auf, wo bewusst inszeniert wird, und nicht im realen Leben, wo genau solche fleischgewordenen Rollen genüsslich die Bühne der Wirklichkeit einnehmen? Jede*r von uns kennt unbewusst mindestens eine*n ungeoutete*n Pädophile*n. Jede*r von uns hat Pornos gesehen und dabei ignoriert, dass die Frauen in den Videos unter furchtbaren Bedingungen arbeiten. Jede*r von uns weiß, wie viel Blut an Koks klebt, und trotzdem haben wir alle schon mal eine Line des kristallinen Privilegs gezogen. Unsere Gesellschaft ist voll mit Fabern, vermutlich steckt in allen von uns ein kleiner Teil dieser Persona. Pollina zeigt mit Fabers Finger auf uns und das ist es, was seine Kritiker*innen empört. 

Sie werfen ihm Abgehobenheit vor, ich sage: Bravo! Seine Musik ist Popkultur und Politik, Ignoranz und Hoffnung, perfektioniert mit einer gehörigen Portion Grips und Talent. Ob Julian Pollina wegen seines Erfolg – oder auch davor schon – ein arrogantes Arschloch mit klebrigen Händen und stinkendem Parfüm ist, kann man nicht wissen. Dafür müsste man ihn persönlich kennenlernen. Er selbst singt 2017 in »Es könnte schöner sein«: »Du kritisierst auch keinen Film, bevor du ihn nicht kennst.« Bis ich Julian Pollina irgendwann mal über den Weg laufe und mir selbst ein Bild machen kann, vertraue ich auf meinen gesunden Menschenverstand und glaube daran, dass seine Lieder clevere Satire und Gesellschaftskritik sind, zu denen man gleichermaßen tanzen wie diskutieren kann. Musik, die bewegt – das ist Faber. Für alle, die sich zumindest vom Künstler ein eigenes Bild machen wollen, besteht die Möglichkeit, ihn am 28. August und am 29. August (ausverkauft) 2024 beim Arena Open Air zu sehen.

Home / Musik / Artikel

Text
Francesca Valentin

Veröffentlichung
06.06.2024

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen