März 2016. Federico Sánchez alias Pico Be alias Pacifico Boy steht auf einer Bühne im Münchner Untergrund vor vollem Haus und rezitiert Texte über Tracks, die er von einem neben ihm platzierten DJ-CD-Player abfeuert. Man kapiert ihn nicht sofort. Und nach zehn Minuten ist einem das herzlich egal, weil man fasziniert ist von diesem Charakter, weil man sich eingeladen fühlt. In eine musikalische Welt unter den glatten Oberflächen des Pop, da wo starke Strömungen vorherrschen, in ein textliches System zwischen politischem Bewusstsein, Unschuld und Slogan. Klare Kante, ohne Belehrung. Ein bisschen verschlurft wie der sehr sympathische Mensch hinter den Pseudonymen und Klarnamen, der aber irgendwie auch in der Lage ist, doppelt so schnell zu schalten wie der Mainstream – der Sánchez, wenn man seinem Facebook-Feed folgt, bei diversen Themen immer ein bis zwei Wochen hinterherhinkt. Dann kommen auch noch drei Bobby-Cars auf die Bühne …
Szenenwechsel, Juli des gleichen Jahres. Ein Festival für Noise und freie Musik, mit karitativem Zweck, organisiert von Matthias Stadler (TAM TAM) und Federico Sánchez, mit Künstlern unter anderem aus Österreich, England, Südkorea und den USA. Am Nachmittag wird klar, dass kaum Gäste kommen werden. Ein Idiot schießt an einem Einkaufszentrum auf Menschen und die ganze Stadt dreht völlig durch, öffentliche Verkehrsmittel fahren nicht mehr, Polizei über Polizei, alles steht still.
Formate neu formatieren
So könnte man lange weitermachen, nicht mit dem Stillstand, sondern den Szenenwechseln, denn Sánchez taucht immer wieder, immer anders auf. Der Mann mit den krausen Haaren ist der Sprecher einer Reihe grandioser Low-Budget-Filme, steht hinter Plattentellern und kredenzt Außergewöhnliches, veranstaltet Abende, an denen gute oder merkwürdige Alben in Gänze gehört werden, spielt Bass in einer Band, die sich ihren Weg durch München improvisiert, verblüfft mit einem großartigen Text: Im Mail-Magazin »ULTRA SOFT« erscheint im Januar 2018 die erste Fassung von »MK ULTRA SOFT MASCHINE«.
Es ist eine extrem gut komponierte Arbeit, voller Assoziationen und Fährten, verschiedenen Materialien und Ebenen, die Sánchez in hoher Frequenz verschaltet, immer musikalisch, oft unerwartet. Den Orgelton liefern persönliche Erinnerungen des Autors an Spanien und die spezielle spanische Geschichte. Zwischen Kindheit, Urlaub und antifaschistischem Blick auf Vergangenheit und Gegenwart. In seinen Fluss aus Narration und mühelos wirkenden lyrischen Konstrukten, webt Sánchez historische Begebenheiten und Querverweise ein, die weniger den Zeigefinger hochhalten, als das Gefühl eines realen Hintergrundes und der Kontinuität gewisser Probleme vermitteln. Wie er selbst zusammenfasst: Die Geschichte ist nie abgeschlossen, sondern geht immer weiter. So behält sich der Autor auch das Recht vor, »MK ULTRA SOFT MASCHINE« weiterzuentwickeln, sei es für verschiedene Lesungen oder auch für eine Veröffentlichung als Poster und Hörstück bei Cosima Pitz.
Wissen gegen Wissen
Das Sampling von Popkultur, der Verweis auf bemerkenswerte geschichtliche Hintergründe oder die Hyperlink-Struktur lassen beim Lesen des Textes oftmals an Thomas Meineckes Meilenstein »Hellblau« denken, wobei Sánchez in Form und Ausdruck freier agiert. Dessen ernstgemeinte Unbeschwertheit für gewisse Bereiche – ob bei der Berufsbeschreibung oder der ästhetischen Oberfläche von Kunst – ist Teil eines Charakters, den man gerade in seinem Wohnort München oft schmerzlich vermisst. Besonders in Verbindung mit einem ausgeprägten Bewusstsein für Ungerechtigkeit und dem Versuch, diesem in der eigenen Arbeit Rechnung zu tragen. Überhaupt zurzeit viel zu wenig vorhanden: Emphatisches Wissen und nicht klugscheißendes Dauerfeuer. Vielleicht fühlt sich deshalb Federico Sánchez Textarbeit gerade so richtig an.
skug präsentiert und Cut Surface empfiehlt Federico »Pico Be« Sánchez’ »Spanische Skizzen« am Samstag, 17. März 2018, 20:00 Uhr im AU Vienna, danach »Galatic Township #15«. https://skug.at/e/galactic-township-15/
Termin in Bayern: 13. März, 20:00 Uhr im Theater Augsburg (+ Jovana Reisinger, Benno und Sarah Käsmayr und Franz Dobler) www.theater-augsburg.de
»ULTRA SOFT«, Hg. Mira Mann und Florian Kessler, mit Texten von Fatma Aydemir, Sophie Domenz, Yves-Michele Sass und Federico Sánchez. Mit einem Bild von Anna McCarthy. Zu beziehen unter: ultra-soft@ultra-soft.de
»MK ULTRA SOFT MASCHINE«, Text von Federico Sánchez, Hörposter, ab 9. März 2018 im Verlag Cosima Pitz erhältlich: http://cosimapitz.de/