Die Renaissance gilt als prägnante Stilepoche und bedeutet übersetzt bekanntlich so viel wie Wiedergeburt. Die französische Bezeichnung bekam diese Epoche um das 15. und 16. Jahrhundert erst im 19. Jahrhundert zugeschrieben. Die Renaissance kennzeichnet sich durch eine Rückbesinnung der Kunst und Kultur auf die griechisch-römische Antike aus und überführte das Europa der damaligen Zeit aus dem Mittelalter hinein in die Neuzeit. Das italienische Florenz unter dem Regime der Kunstfördererdynastie der Medici gilt als Wiege dieser Epoche und war zugleich als Melting Pot für Künstler so etwas wie das Berlin der damaligen Zeit. Neben herausragenden künstlerischen Leistungen und wissenschaftlichen Fortschritten war es eine große Zeit der Entdecker und Weltumsegler. Die Bedeutungsperspektive hatte ausgedient und man entdeckte mit der Zentralperspektive die dritte Dimension in der Malerei. Aber auch in der Musik wagte man sich in komplexere Gefilde. So gilt die Renaissance als die Geburtsstunde der polyphonen, also mehrstimmigen Musik, denn man begann, neben homophonen Klängen (nein, das ist nichts Schlimmes) unterschiedliche, harmonisch sich ergänzende Melodieverläufe gleichzeitig zu spielen. Das dürfte damals ziemlich heißer Scheiß gewesen sein, denn das Spiel mit Akkorden war geboren und auch die Moll-Dur-Tonalität wurde in dieser Zeit vorbereitet.
Anschließend zur Renaissance kam die von verschwenderisch gestalteter Formfülle ausgezeichnete Stilepoche des Barocks mit der nächsten grandiosen musikalischen Erfindung: Der sogenannte Generalbass, also die Bassline, wurde geboren und somit zog nicht nur ein neues Stilmittel, sondern auch ein komplett neuer Frequenzbereich in die Musik ein. Der Generalbass, eine fortlaufende Melodie im tieferen Frequenzspektrum, wurde zum Fundament und harmonischen Gerüst der barocken Musik. Getragen wurde der Bass von damaligen Instrumenten wie der Kirchenorgel oder dem Cembalo. Ein gängiges musikalisches und kompositorisches Stilmittel, das sowohl in der Renaissance als auch im Barock auftrat, war zudem die sogenannte Imitation. Hierbei handelt es sich um ein Kompositionsprinzip, bei dem ein Hauptthema im Verlauf des Musikstücks in verschiedenen Variationen von unterschiedlichen Instrumenten einmal mehr und einmal weniger abgeändert wiederholt oder interpretiert wird.
Fast forward
Rund dreihundert Jahre später haben Polyphonie, Basslines sowie Imitation als Stilmittel nichts von ihrer Brisanz eingebüßt und vermögen weiterhin zu beglücken. Das weiß Dorian Concept mit seinem neuen Album »The Nature of Imitation« eindringlich zu beweisen. Dorian Concept erlangte 2006 große Aufmerksamkeit über die damals noch neue Plattform YouTube, wo er in kurzen, selbsterstellten Videos seine unglaubliche Fingerfertigkeit auf einem microKORG demonstrierte. Seine Hände huschten dabei dermaßen schnell und gekonnt über die Tasten und Knöpfe, dass es nahezu unmöglich war, mit den Augen zu folgen. Das hörbare Ergebnis offenbarte die außergewöhnliche Freiheit und Eigenständigkeit des damals noch jungen Künstlers. Der Begriff »Wunderkind« ließ berechtigterweise nicht lange auf sich warten und der erste Release auf dem von ihm mitgegründeten Label Affine Records erblickte 2008 das Licht der Welt. Schon 2009 erschien sein erstes Album »When Planets Explode« auf dem niederländischen Label Kindred Spirits. Es folgten eine Vielzahl an Live-Auftritten und Kollaborationen mit Größen wie Flying Lotus und The Cinematic Orchestra. Neben Flying Lotus, Hudson Mohawke und Rustie war Dorian Concept Anfang der 2010er-Jahre maßgeblich an der Entwicklung des Wonky-Sounds beteiligt. 2014 folgte dann das zweite Album »Joined Ends« auf dem englischen Label Ninja Tune.
Mit »Joined Ends« nahm Dorian Concept den cluborientierten Druck etwas heraus, jedoch nur, um seiner Virtuosität und Kreativität noch mehr Raum zu verschaffen. Die Gesamterscheinung des zweiten Albums war leichter, organischer in den Klängen und etwas zurückhaltender als seine vorangegangenen Releases. Mit Tracks wie »Draft Culture« zeigte Dorian Concept, dass er nicht nur seinen Keyboards sämtliche Energie zu entlocken vermag, sondern dass er auch ein Meister der Komposition ist, der es versteht, geschickt mit Dynamiken zu arbeiten, um daraus kraftvolle Spannungsbögen zu entwickeln. Denn bei gehobenen Kompositionskünsten geht es nicht nur darum, dem Klang besondere Gestalt zu verleihen, sondern auch, den Raum, die Stille zwischen den Klängen zu formen. Aus dem Keyboard-Wizard-Wunderkind Oliver Thomas Johnson wurde so innerhalb weniger Jahre ein weit über die Grenzen Österreichs hinaus äußerst renommierter Musiker und Producer.
»The Nature of Imitation«
Mit »The Nature of Imitation« verbindet Dorian Concept die Energie seines ersten Albums mit der organischen Anmutung und der Kompositionsstärke des Nachfolgewerkes »Joined Ends«. Herausgekommen ist ein wahres Kraftpaket, das in seiner überlagerten Vielschichtigkeit und minutiösen und detaillierten Verspieltheit an barocke Kunstwerke erinnert. Nahezu das gesamte Album wurde von Oliver Johnson händisch eingespielt, Programmierung kam nur am Rande zum Einsatz. Dass von dem autodidaktischen Keyboarder hierbei wieder haufenweise komplexe, polyphone Soundstrukturen geliefert werden, dürfte keine Überraschung sein. Unterfüttert wird das ganze gewohnt mit ordentlich satten Basslines und polyrhythmisch verspielten Drumpatterns. Dabei liegt dem Album, wie der Titel suggeriert, ein Konzept zugrunde: Zur Komposition der einzelnen Tracks griff Oliver Johnson das Prinzip der Imitation in seiner Produktionsmethode auf. Die Idee war, ein improvisiertes Thema über mehrere Takte einzuspielen, zu gestalten, abzumischen und aufzunehmen, um es dann einen oder mehrere Tage ruhen zu lassen. Dann setzte Oliver Johnson sich erneut hin, um dasselbe Thema lediglich aus seiner Erinnerung nachzuspielen und es komplett neu zu gestalten. Dieses Spiel wurde mehrmals wiederholt, bis dasselbe Thema in verschiedensten Variationen vorlag. Die unterschiedlichen Variationen wurden schließlich abschnittsweise zu einem Track arrangiert und montiert.
Sehr schön lässt sich diese Arbeitsweise schon im Album-Opener »Promises« erkennen. Daraus ergibt sich neben der Dichtheit der einzelnen Aufnahme-Sessions bzw. Abschnitte der Tracks auch ein äußerst abwechslungsreiches Gesamtarrangement das für Hörer*innen durchaus fordernd sein kann. Dieser Anspruch ist vom Künstler jedoch gewollt, und eine gewisse intellektuelle Herausforderung will Oliver Johnson seinen Hörer*innen durchaus abringen. Obwohl man seine Musik nicht als sonderlich politisch bezeichnen kann, ist Dorian Concept an etwas Reibung und Diskurs rund um sein Musikprojekt nicht abgeneigt. Dennoch kommt »The Nature of Imitation« nicht verkopft daher, sondern sehr schmissig, poppig und mit Dorian Concepts gewohnt positiv aufgeladener Frische und Quirkiness. Hierbei muss sich der Wonky-Altmeister keineswegs vor aktuellen Nachwuchstalenten wie zum Beispiel Iglooghost verstecken. Die Gesamterscheinung von »The Nature of Imitation« wirkt durch die ausladende, überbordende Geste sowie die dichte Struktur und Verspieltheit wie ein barockes Meisterwerk. Trotz der Vielschichtigkeit und Komplexität schafft es Dorian Concept, durch eine gewisse Fokussiertheit stets ein klares und stimmiges Bild zu zeichnen.
Generation Loss
Die Idee mit dem Spiel der Imitation auf dem nun vorliegenden Album ist mitunter auch Oliver Johnsons Interesse an dem Phänomen der sogenannten Generation Loss geschuldet. Als Generation Loss bezeichnet man die zunehmende Zersetzung von Information, die bei wiederholtem Kopieren von verlustbehafteten Daten entstehen kann. Man stelle sich zum Beispiel ein analoges Videoband vor, das stets aus vorangegangener Quelle weiterkopiert wird. Das eigentliche Bildmaterial verliert an seiner ursprünglichen Qualität, aber erhält durch Störungen und Interferenzen womöglich eine neue Art von Charme. Ein anschauliches Beispiel für das Spiel mit der Generation Loss von Audiodaten stellt zum Beispiel William Basinskis Werk »The Disintegration Loops« dar. Der Unterschied bei Dorian Concepts Umsetzung ist, dass hier kein technisches Medium, sondern seine eigene Erinnerung auf mögliche und gewollte Generation-Loss-Effekte getestet wird. Als inspirierende und prägende Einflüsse für seine musikalische Entwicklung nennt Oliver Johnson die zweite Hälfte der 1990er-Jahre. Insbesondere 1998 empfindet er als persönliches musikalisches Schlüsseljahr und verweist hier etwa auf Squarepusher’s »Music Is Rotted One Note«. Aber auch unbekanntere Artists dieser Zeit wie das Album »Earprints« der Gruppe Conjoint zieht Oliver Johnson als Einfluss heran. 2018 beeindruckte ihn bisher vor allem die Produktion des Albums »Oil Of Every Pearlʼs Un-Insides« der amerikanischen Künstlerin SOPHIE.
Auf die Frage, wo er sich in fünf Jahren sieht, antwortet Oliver Johnson im Gespräch mit skug weise, dass es in Anbetracht der äußerst ereignisreichen und teils überraschenden Weltgeschehnisse der letzten Jahre nahezu unmöglich sei, vorauszusagen, was in den kommenden Jahren global, aber auch für ihn persönlich geschehen werde. Nicht selten gilt im Leben, dass man eher von den äußeren Umständen weitergeschubst wird, als selbst die Möglichkeit hat, seinen Plänen geradlinig zu folgen. Er empfindet es als Privileg, derzeit die Möglichkeit zu haben, kompromisslos seiner großen Leidenschaft, dem Musizieren, nachgehen zu können. Dabei geht es ihm bei seiner musikalischen Entwicklung erfrischenderweise nicht unbedingt darum, von Album zu Album immer größer zu denken, sondern auch neue Aspekte aus dem großen Pool des Ist-Zustandes zu fischen. Derzeit bereitet Dorian Concept seine Solo-Live-Show vor, welche ihn noch dieses Jahr durch Asien, Amerika und Europa führen wird. Live erweitert er sein Setup auf insgesamt drei Synthesizer und eine Loopstation, was auch für ihn eine spannende neue Herausforderung darstellt. Eine Wien-Show ist für Ende dieses Jahres geplant, war aber zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht fixiert. Es gibt allerdings Gelegenheit, Dorian Concept am 7. September 2018 live beim JazzWerkstatt Wien Festival im Wiener Porgy & Bess zu sehen. Dort tritt Oliver Thomas Johnson zusammen mit seinen Freunden und Affine-Labelkollegen Clemens Bacher (Cid Rim) und Paul Movahedi (The Clonious) als Formation Fluxuskompensator auf. Dabei bekommen sie Unterstützung von dem sehr interessanten Jameszoo Quartet aus den Niederlanden sowie DJ Sofie.
Das Album »The Nature of Imitation« erscheint am 3. August 2018 in digitaler Form, am 17. August als CD-Version und am 14. September auf Vinyl.