Alfred Nungesser: »Stillleben mit Musikinstrumenten«, 1935 © Foto: Hubert Auer
Alfred Nungesser: »Stillleben mit Musikinstrumenten«, 1935 © Foto: Hubert Auer

Die Max-Beckmann-Lehrlinge

Verschollene Kunst in Salzburg. Weitläufige Recherchen führten zum Erwerb von 101 Bildern aus der ehemaligen Meisterklasse der Städelschule, der Frankfurter Hochschule für bildende Kunst. Die Klasse leitete der berühmte Maler Max Beckmann. Die Ausstellung ist noch bis 5. Oktober 2024 zu sehen.

»Sie sind allesamt verschollener als verschollen«, sagt die junge Frau, die die Führung gibt. Im Salzburger Museum Kunst der verlorenen Generation geht es um den Frankfurter Maler Max Beckmann und seine verschollenen Lehrlinge. »Es existiert keine Liste der Beckmann Schüler und Schülerinnen, da die Akten der Städelschule, in der die Meisterklasse stattfand, bei ihrer Auflösung 1933 zerstört wurden«, heißt es. Das Salzburger Museum hat 101 Werke von zwölf Beckmann-Künstler*innen aufgetrieben und gekauft, die unter dem Titel »Beyond Beckmann – Von der Meisterklasse bis zur Sammlung Böhme« von 10. Mai bis 5. Oktober 2024 in zwei Ausstellungen gezeigt werden.

Immer wieder kommt in den Bildern die geliebte Stadt Frankfurt vor – wie der hellblaue, grün und lilafarbene »Blick auf Frankfurt« (nach 1972) von Theo Garve. Die gemalten Aussichten aus der Städelschule heraus, wie das Bild »Blick von der Städelschule im Winter« (um 1928/29) von Anna Krüger, sind wunderschön. Das 1815 als Stiftung eines Bankiers und Kaufmannes gegründete Städel Museum am Schaumainkai 63 ist bis heute bekannt und beliebt. Allein im Jahre 1980 erfolgte die erste Ausstellung zur Beckmann-Meisterklasse im Frankfurter Karmeliterkloster.

Theo Garve: »Blick auf Frankfurt«, nach 1972 © Foto: Hubert Auer

Bilderverbrennung

Ein hagerer alter Mann mit schwarz umrandeten Augen. Seine Hände sind ausgestreckt, die Finger alle seltsam abgespreizt. »Nach Theresienstadt« (1945) heißt das Bild. Es ist eine Kaltnadelradierung von Leo Maillet, der wegen der Nazis ein sehr anstrengendes Leben führen musste. Schwarze Flecken überziehen das Bild. »Künstler der Meisterklasse nutzten die Kunst, um die Erlebnisse und Zerstörung des NS-Regimes sowie des Krieges zu verarbeiten. Manche Kunstwerke stellen dies ungeschönt dar, während andere symbolische oder mythologische Motive aufweisen«, steht mit etwas Understatement im Katalog.

Leo Maillet war der Sohn des jüdischen Kaufmanns Eduard Mayer. Der junge Leopold Mayer wollte erst Modezeichner werden, wurde dann aber in die Beckmann Meisterklasse aufgenommen. Sein Bericht: »Es war immer eine große Spannung im Raum, wenn Beckmann kam. Er sprach nicht allzu viel. Betrachtete oft lange unsere Produkte.« Maillets Bilder wurden großteils 1933 bei der Bücherverbrennung am Römerberg verbrannt. Er selbst wurde wegen mangelnder Arbeitserlaubnis aus Luxemburg ausgewiesen und arbeitete danach in Paris neben Joan Miro und Pablo Picasso als Radierer in einer Werkstatt.

Als Leo Maillet nach Auschwitz deportiert werden soll, steigt er als Kleinster zuletzt in den Zugwaggon. Er entkommt durch eine sich öffnende Luke am Dach, verliert beim Sturz aus dem fahrenden Zug aber alle Zähne und ein Auge. Schon vorher konnte er seine Frau aus dem Lager Gurs befreien. Nun durchschwimmt er den Fluss Cher und findet unverhofft seine Frau wieder. Die Widerstandsgruppe Cimade verpasst ihm einen Pass mit neuem Namen: Leo Maillet. 1950 wird er in Zürich Herausgeber der Kunstzeitschrift »Matière«.

Leo Maillet: »Nach Theresienstadt«, 1945 © Foto: Hubert Auer

Kuhglocken und Autohupe

»Diese Geschichten gibt es noch, wir wollen ihnen Raum in unserem Museum geben«, heißt es bei der Führung. Die Ausbeute der nächtlichen Recherchen des Direktors mit einzigartigem Sammelanspruch ist groß. So gibt es ein »Indisches Paar« (1951) von Marie-Louise von Motesiczky, aber auch ein Porträt des lesenden Elias Canetti. Ein modernes, ziemlich abstraktes Selbstporträt von Carla Brill, »Selbstbildnis vor der Staffelei« (ohne Datum). Ein orange-blaues »Stillleben mit Musikinstrumenten« (1935) von Alfred Nungesser (der parallel im Frankfurter Zoo arbeitete) oder ein Porträt von »Paul Hindemith mit Bratsche« von Rudolf W. Heinisch.

»Ich liebe den Jazz so. Besonders wegen der Kuhglocken und der Autohupe. Endlich eine vernünftige Musik«, soll Beckmann gesagt haben. Nach dem Krieg leitete der Beckmann-Schüler Walter Hergenhahn die Städel-Abendschule, seine Frau Inge Hergenhahn-Dinand ist mit dem »Bildnis einer Rauchenden« (1953) in der Ausstellung vertreten. Dass es sich hierbei um eine junge französische Journalistin handelt, ist erst seit Kurzem bekannt. Inge Hergenhahn-Dinand kam bereits mit achtzehn Jahren 1925 an die Städelschule. Ab Ende der 1920er-Jahre bis 1933 war sie Meisterschülerin Max Beckmanns. Sie schätze an Beckmann, dass er auf den Eigenheiten seiner Schüler bestand, wird die Künstlerin zitiert. Die Recherchen des Museums zur Kunst der verlorenen Generation dauern noch an. Wer weiß, was Direktor Böhme bei seinen nächtlichen Internet-Ausflügen noch so alles findet!

Epilog

Die Mutter der Autorin war Schülerin von Walter Hergenhahn, also Schülerin eines Schülers von Max Beckmann in der Städel-Abendschule. Die »Baumlandschaft« (1932) von Karl Tratt erinnert sie gleich an Beckmanns Bilder. »Wann werden denn die Schüler der Beckmann Schüler ausgestellt?«, fragt sie mich mit schiefem Lächeln.

Link: https://verlorene-generation.com/ausstellung/beyond-beckmann-part-ii/

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