Bildausschnitt Paul Gauguin: »Heugarben in der Bretagne«, 1890 © National Gallery of Art, Washington, Geschenk der W. Averell Harriman Foundation
Bildausschnitt Paul Gauguin: »Heugarben in der Bretagne«, 1890 © National Gallery of Art, Washington, Geschenk der W. Averell Harriman Foundation

Der Wilde Gauguin

Das schöne Wiener Kunstforum soll aus finanziellen Gründen geschlossen werden. Doch bis zum 18. Jänner 2024 leuchten dort noch die Bilder des Malers Paul Gauguin, der kolonialistische Verhältnisse gleichzeitig kritisierte und auslebte. In der Ausstellung findet sich Erstaunliches und Neues.

In der französischen Bretagne fand Paul Gauguin auch schon vor Tahiti »das Wilde, Einfache«, das er in der Malerei suchte. »Den tauben Ton, dunkel und mächtig, des Widerhalles seiner Holzschuhe auf granithartem Boden«, steht an der Wand in der Ausstellung »Gauguin: Unexpected« im Wiener Kunstforum. Bretoninnen, in schwarzem Gewand, mit der klassischen Haube auf dem Kopf, stehen samt Kühen in einer Landschaft vor der Kulisse des Meeres. Gesichter sind keine zu erkennen. »Herbst in der Bretagne – Die Weide«, aus 1889, nennt sich das Bild.

Ein rosa Weg, Bäume mit orangem Laub, hellgrüne Wiesen vor einem lila Berg. Ein kleiner, brauner, nackter Mann mit Hut wandert den Weg entlang, mit einer Stange auf den Schultern, über die zwei Beutel hängen. »Berglandschaft auf Tahiti«, aus 1891, heißt das Bild. Es sind erstaunlicherweise dieselben Farben, die der Maler bereits in der Bretagne verwendete, die er nun auch in Tahiti sieht: ein rosa Weg, orange Bäume – nur das dunkelblaue Meer weicht dem Himmel.

Paul Gauguin: »Wiese auf Martinique«, 1887 © Arche Noah Museum, Sammlung Kunst & Kultur, Hohenems, Foto: Clemens Rhomberg

Die Blaustrumpf-Oma

Im Dezember 1894 kündigte Gauguin an, für immer nach Tahiti gehen zu wollen, da er »vor die Wahl zwischen den Wilden hier und dort gestellt, sich für Tahiti entschieden habe«. Er verließ im Juli 1895 Frankreich für immer. Zum allerersten Mal war Gauguin 1887 mit einem anderen Maler nach Martinique und Panama gereist: »Seine romantische Vorstellung von Französisch-Polynesien weicht einer realistischen Sicht auf eine Kolonie, die die indigene Bevölkerung missioniert hat und ihre Sitten und Gebräuche kontrolliert« (Kunstforum). 1889 besuchte er auf der Pariser Weltausstellung mehrmals die zentrale Ausstellung »Exposition des Colonies«. In Frankreich war er sehr gut vernetzt mit verschiedenen Künstlergruppen wie den Nabis oder den Symbolist*innen.

Bereits als Baby hatte der kleine Paul Frankreich verlassen müssen, denn seine Familie wanderte wegen der Revolution 1848 nach Peru aus. Sein Vater Clovis – ein Journalist, der in Peru eine Zeitung gründen wollte – starb jung schon auf der Schiffsfahrt. Gauguins Mutter Aline war die Tochter eines auf Lithografie spezialisierten Graveurs, Gauguins Großmutter Flora berühmt und berüchtigt: »Es ist anzunehmen, dass sie nicht kochen konnte. Sie war ein sozialistischer, anarchistischer Blaustrumpf. Ihr ganzes Vermögen opferte sie für die Sache der Arbeiter, war unaufhörlich unterwegs, und zwischendurch reiste sie nach Peru, um ihren Onkel zu besuchen«, schrieb Paul Gauguin über seine Großmutter, von der er die Abenteuerlust und die Sehnsucht nach fernen Ländern geerbt zu haben scheint.

Paul Gauguin: »Interieur mit Aline«, 1881 © Sheffield Museums Trust, Foto: Rheinisches Bildarchiv, Marc Weber

Selbsternannter Sauvage

Im Wiener Kunstforum ist man der Ansicht, dass sich Paul Gauguin auch auf den Marquesas-Inseln, auf die er sich ab 1901 wegen größerer Ursprünglichkeit zurückzog, einer »romantischen Wiederkehr des Franzosen, der sich zum Wilden stilisiert«, hingab. »Le Sauvage«/»Der Wilde«, wie er sich selbst bezeichnete, publizierte aber auch in den satirischen Zeitungen Tahitis »Les Guepes«/»Die Wespen« beziehungsweise »Le Sourire«/»Das Lächeln«. 1887 versuchte Gauguin sich wegen starker Schmerzen und Geldnot mit Hilfe von Arsen umzubringen, was aber misslang. Dem Buch »Paul Gauguin« der Fondation Beyeler zufolge machte er den Selbstmordversuch, nachdem er vom Tod seiner Tochter erfahren hatte. Er wünsche sich aber grundsätzlich kein anderes Leben als dieses, ließ Gauguin verlauten.

Seine Oma Flora Tristan y Moscoso soll zahlreiche Affairen gehabt haben. Ihr Mann, Paul Gauguins Opa, versuchte sie sogar einmal in einem Eifersuchtsanfall zu ermorden, steht zumindest im Buch »Gauguin und die Nabis« von Arthur Ellridge. Mutter Aline war mit dem mittlerweile siebenjährigen Paul aus Peru nach Frankreich zurückgekehrt und brachte ihre Kinder ganz alleine als Schneiderin durch. Paul Gauguin erfuhr als siebzehnjähriger Marine-Offizier in Indien vom Tod seiner Mutter. Der Maler selbst starb schon 1903 nach einer großen Dosis Morphium und wahrscheinlich einem Herzanfall. Manche Bilder erscheinen aus heutiger Sicht rassistisch und sexistisch, aber andere sind wunderschön. Beispiele: Verschiedene selbstbewusste Reitende auf lila Sand vor der Kulisse des Meeres: »Reiter am Strand«, 1902. Ein oranger Hund vor gelbem Stroh, dahinter lila Berge und das Meer, »Ernte«, 1890, heißt das Bild.

Paul Gauguin: »Frau vor einem Stillleben von Cézanne«, 1890 © bpk/Art Institute of Chicago/Art Resource, NY/Elyse Allen

Epilog

Auf aufstehen.at gibt es eine Petition zum Erhalt des Bank Austria Kunstforums Wien. Es ist schlimm, dass in diesen unsicheren Zeiten so eine tolle, bewährte Kunst-Institution nicht auf eine zugeneigte Kulturministerin verlassen kann.

Bücher:

Arthur Ellridge: »Gauguin und die Nabis«, Finest S.A. Editions Pierre Terrail, Paris 2001, Deutsche Ausgabe: Komet Verlag, Frechen 2001

Fondation Beyeler (Hg.): »Paul Gauguin«, Hatje Cantz, 2015

Link: https://www.kunstforumwien.at/de/ausstellungen/500014 

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