In der totgesagten Suppe namens Facebook tut sich etwas. Gottlob tut sich da etwas. Schon länger brodelt es im Topf, doch jetzt läuft die Suppe mit einem Scheppern über. Eine überschaubare Gruppe von Schriftsteller*innen rund um Autor*innen des »Titanic«-Magazins und andere Kapazitäten der Humorarbeit schwimmen darin herum wie Suppenklößchen und bilden die geistige Elite des deutschsprachigen Raums. Ungelogen. Und eine dieser Kapazitäten ist Benjamin B. Weissinger, der in seinen mal sehr kurzen und mal etwas längeren Beiträgen mit Geschichten, Wortwitzen, Satzfetzen, feisten Behauptungen, interessanten Ideen, tiefgründigen (»nachdenklichen«) Fragen, bizarren Träumen und allerlei anderen Seltsamkeiten um sich wirft und eine stetig wachsende Anhängerschaft erfreut, die mit Lachsalven und Kommentaren oder bloß Wut-Likes in Echtzeit darauf reagiert.
Weissingers erstes richtiges Buch zeigt: er kann wirklich alles. Von der Liebesgeschichte zum Gedicht, vom biblischen Motiv bis zur Meta-Ebene, mal über sich selbst, mal als er selbst, mal mit Hasenkopf und mal als Marabu spielt er Wortspielschach auf russischem Niveau: Zur Trockenheit der bizarren und äußerst seltsamen, in ihrer Logik äußerst anspruchsvollen, die Leser*innen teils gar bis an ihr Äußerstes fordernden Geschichten kommt eine sprudelnde Fantasie und Quatschsalberei hinzu, ein Verdrehen und Verwirren, belustigt wie Max Goldt, mit Versatzstücken von Helge Schneider, die sich zum Glück niemals abnutzt. Der Titel der grandiosen Story »Mit Melonen gebowlt« könnte durchaus von genanntem Kolumnenschreiber stammen, doch im von Weissinger konzipierten Universum geht es noch viel, viel wilder zu.
Weissinger beobachtet sich selbst und die Welt und holt mit Hilfe der Fantasie das Beste aus beidem heraus. Das Ganze hat aber auch etwas zutiefst Melancholisches. Er schreibt vom Scheitern, von Hoffnung und der Seltsamkeit des Seins generell. Man merkt, es gibt schlimmeres als den Tod, das wird in einigen Geschichten sehr deutlich. Fragen bleiben offen, Dinge passieren, die man vorher nicht für möglich hielt, bis man sie liest und sie wahr sind. Man ist bei seinen Texten mit ihren überraschenden Wendungen mitunter geneigt, an den Russen Daniil Charms und seine Kurzepisoden zu denken, doch Weissinger setzt immer noch einen drauf, mit Witz und Charme. Und im Unterschied zum Russen ist sein Oeuvre gefühlt bereits doppelt so groß und mindestens genau so witzig. Das ist tröstlich. Die Geschichten lassen offene Fragen zurück wie im anderen Leben. Manche Geschichten sind einfach herzzerreißend, wie die mit dem Tukan. Sein erstes Buch gibt einen Überblick über sein Schaffen, das auf Facebook, seinem Blog und auch live zu begutachten ist. Was er selbst dazu zu sagen hat, haben wir im Rahmen des folgenden Star-Interviews herausgefunden.
skug: Herzlichen Glückwunsch erstmal zu deinem wirklich tollen Debüt. Ist es eigentlich dein Debüt? Du hast ja schon viele Texte über Facebook rausgehauen. Was bedeutet es da für dich, ausgewählte Sachen jetzt mit Werktitel herauszugeben?
Benjamin B. Weissinger: Und auf meinem Blog! Da übertrage ich ja unregelmäßig, aber oft, viele Texte von Facebook drauf. Also habe ich schon das Gefühl, dass meine Texte irgendwie schon … hinterlegt sind, im Internet, was ganz schön ist. Und dieses Buch bedeutet mir etwas, ja. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Überlegungen, mal ein Buch zu machen, also Überlegungen von anderen und mir selbst, und diese Zusammenstellung ist letztlich das, was vor allem mir gut gefällt – weshalb ich es auch selbst herausbringen musste.
Stimmt! Da ist auch noch der Blog. Aber als Faisyaner ist man ja schon bemüht, zumindest auf deiner Facebook-Wall mitzuhalten, so groß ist dein Output. Aber nochmal für Aliens im Weissinger-Universum: Was genau hat es eigentlich mit deiner Online-Arbeit auf sich? Du hast ja einmal deinen Privat-Account auf Facebook und dann die Seite »Jeden Tag eine Informatuin« und verkaufst nebenbei wunderschöne, seltsame Malerei an Fans. Zudem ist da eine Reihe von bekannteren und unbekannteren Follower*innen, die deinen »Content« regelmäßig befeuern. Ist das so eine Art Online-Stammtisch, als dessen Rädelsführer du dich siehst, oder hast du es als freischaffender Künstler einfach geschafft, das zeitgemäße Medium zu nutzen?
Ich weiß ehrlich gesagt bis heute nicht so genau, was ich da mache, weil es ja auch so unterschiedlich ist und sich jeden Tag ein bisschen ändert. Es fühlt sich auf jeden Fall nicht wie Arbeit an. Es war im Gegenteil eher eine Flucht vor verschiedenen Sachen, dieses exzessive Schreiben und Posten, und das hat manchen sehr gut gefallen, und mir gefielen ihre Sachen, und daraus sind dann teils richtige Freundschaften entstanden; ich habe spaßeshalber mal gesagt, Facebook ist für mich ein soziales Netzwerk geworden.
Interessante Beschreibung. Apropos: Amazon ist ja auch so ein »soziales Netzwerk«. Und da hat dein Buch bisher (Stand: 5. Februar 2019, 12:00 Uhr) bereits drei positive Bewertungen erhalten. Drachenstark! Wahrscheinlich auch wegen des äußerst ansprechenden Buchtitels. Magst du kurz versuchen, zu erklären, was der Titel bedeuten könnte und auf was sich deine Leser*innen gefasst machen müssen, wenn sie einmal in deinem Universum gefangen sind?
Ja, die Rezensionen sind auch inhaltlich bisher sehr erfreulich, etwa die eine von Noki Hasenbein: »ja,«. Bedeutet mir was. Ist natürlich immer Luft nach oben, ich hätte auch beileibe nichts dagegen, wenn es fünf werden. Der Titel gefiel mir einfach so, hat keine tiefere Bedeutung. Natürlich spielt Nonsens in dem Buch eine Rolle, ansonsten kleine Gefühle, die Miniaturen wurden, aber auch Nachdenkliches und Wissenswertes fand seinen Platz. Es ist für jeden was dabei, haha.
Apropos Universum: In deinen Texten tauchen immer wieder dieselben Figuren auf, wie der Mann mit dem Hasenkopf, der Marabumann oder du selbst, der hier und da einspringt und navigiert. Alles seltsame Tiere. Und auch apropos tiefere Bedeutung: Ist der Mensch für dich auch in gewisser Weise ein seltsames Tier wie der Marabu, dieser schöne Vogel, den man auf beweglichen Stäben aufstellt, mit einem großen Schnabel und einem mehr oder weniger großen, bizarren Sackgehänge in der Kehlkopfregion?
Andere Menschen und ich selbst, ja, das ist so. Sie sind für mich rätselhaft und etwas erschreckend, aber auch liebenswürdig und anziehend, dann möchte ich aber auch wieder allein irgendwo sein und aus der Ferne beobachten, wie diese Geschöpfe seltsam umherwandeln und sich gegenseitig Gutes und Schlechtes tun. Ich schreibe häufig über Annäherungen und wünsche mir, dass sie gut ausgehen.
Doch die Geschichten gehen weiß Gott nicht immer gut aus! Im Gegenteil, oft enden sie ja in der Katastrophe oder noch schlimmer: Es bleibt vollkommen offen, was da eigentlich passiert. Ist das von deiner Tageslaune abhängig, kompensierst du da vor allem den Alltag, der meist mehr Fragen als Antworten aufs Leben gibt? Ist das für dich etwas Positives?
Ich denke schon, dass ich da Dinge verarbeite. Es macht einfach Spaß, ein leeres Statusfenster zu haben und nicht genau zu wissen, was jetzt rauskommt. Und dann ist wieder irgendeine kleine Geschichte oder irgendein Text, eine Satire oder eine Liste oder ein Dialog dabei herausgekommen und ich freue mich darüber.
Auch deine Fans freuen diese wirklich sehr, sehr seltsamen Begebenheiten, die mal überraschen, mal verstören, mal herzerwärmen, aber vor allem seltsam sind!
Och, alles auch wieder nicht. Mir liegen ja z. B. auch ein paar gesellschaftliche und politische Themen am Herzen, über die ich ganz ernsthaft und unironisch auch auf Facebook schreibe, und ich glaube, diese Mischung, diese Freiheit, nicht irgendetwas aufführen oder erarbeiten, sondern sich frei bewegen und ausdrücken zu können, auch von einem Moment auf den anderen, das mag ich am liebsten.
Last but not least möchte ich noch nach dem Fortsetzungsroman von dir und Leo Fischer fragen, den ihr auf Patreon schreibt und bald fertigstellt. Was hat es damit auf sich? Wie kam es zur Zusammenarbeit zweier solcher Kapazunder und welche Rolle spielt Patreon dabei?
Leo und ich haben uns ganz klassisch auf Facebook beim gegenseitigen Abliken kennengelernt und er hat mich auch ziemlich gepusht, sehr verdienstvoll. Weil wir uns so blendend verstanden haben, auch außerhalb von Facebook, hatten wir dann die Idee eines Fortsetzungsromans, der momentan pausiert, den wir aber in Kürze fertigstellen, es fehlen sowieso nur noch ein bis zwei Kapitelchen. Wir hatten auf Facebook etwa 20 bis 30 trashige Titel zur Wahl gestellt und sie fiel auf »Waschmaschinen über Prag«. Ein richtig schöner Mist ist das geworden, freue mich schon, wenn er für ein breiteres Publikum erscheint. Patreon ist gut, weil man uns da schon mit nur wenigen Dollars ein bisschen unterstützen kann, wenn man will.
Erhältlich ist das sehr gute »Es klappert die Mühle am Rauschmuhlbauchbaum: Seltsame Geschichten und Texte« von Benjamin B. Weissinger z. B. als E-Book auf Amazon. Denn, so weiß Weissinger selbst: »Ein gutes Buch ist mehr als nur Geist Genuss es ist Versand + Emotionen«.